Ende der Atomkraftwerke: 1200 Windräder für ein AKW – oder eben Kohle
Es ist soweit: Am 15. April 2023 werden die letzten drei Atomkraftwerke abgeschaltet. Die wichtigsten Fragen zum Atomausstieg hier im Überblick.
Berlin – Die Atomkraft ist in Deutschland nun offiziell Geschichte. Am 15. April werden die letzten drei AKWs Isar 2 in Bayern, Neckarwestheim 2 in Baden-Württemberg und Emsland in Niedersachsen abgeschaltet. Damit ist der Atomausstieg, der nach der Katastrophe von Fukushima beschlossen wurde, vollbracht. Das Thema erhitzt bis zum Schluss die Gemüter – und sorgt bei vielen Menschen für Unsicherheit. Können Windräder wirklich die Atomkraft ersetzen? Was passiert mit dem Atommüll? Wie machen es andere Länder? Wir geben Antworten auf die wichtigsten Fragen.
Wie viele Atomkraftwerke hatte Deutschland?
Deutschland hat insgesamt 34 Atomkraftwerke betrieben. Zu Hochzeiten waren davon 20 gleichzeitig in Betrieb. Das erste Kraftwerk wurde 1958 gebaut und 1963 in Betrieb genommen. Die letzten verbliebenen drei AKWs werden am 15. April 2023 abgeschaltet. Danach beginnt der Stilllegungsprozess, der bis 2041 abgeschlossen sein wird.
Welche Leistung hat ein AKW?
Ein modernes Kernkraftwerk hat eine Bruttoleistung von rund 1400 Megawatt. Sie erzeugt 11 bis 12 Milliarden Kilowatt pro Stunde (kWh) an Strom pro Jahr. Zur Einordnung: Ein Einfamilienhaus verbraucht jährlich durchschnittlich 3000 bis 4000 kWh. Ein Kernkraftwerk kann also für drei bis vier Millionen Einfamilienhäuser im Jahr Strom erzeugen.
Allerdings haben die letzten drei AKWs in Vorbereitung auf den Ausstieg nicht mehr so viel zur Stromerzeugung beigetragen. Es ist also nicht so, dass von jetzt auf dann 11 Milliarden kWh im Jahr fehlen werden. Der Atomausstieg wurde lange vorbereitet.
Die Geschichte der Atomkraft in Deutschland
Mitte der fünfziger Jahre begann auch in Deutschland das Zeitalter der Atomenergie. Die 66 Jahre seither waren immer wieder geprägt von teils heftigen öffentlichen Debatten und Protesten. Eine Chronologie:
1957: Erster Atomreaktor in Deutschland wird in Betrieb genommen - der Forschungsreaktor der Technischen Universität München
1961: Das Atomkraftwerk Kahl in Bayern beginnt als erster deutscher Meiler mit der Einspeisung von Atomstrom in das öffentliche Netz.
1966: Das erste Akw in der DDR geht im brandenburgischen Rheinsberg in den Leistungsbetrieb.
1974: Der weltweit erste 1200-Megawatt-Block im hessischen Biblis geht ans Netz.
1975: Erste große Proteste gegen den Bau eines Atomkraftwerkes im südbadischen Wyhl - mit Erfolg. Von Mitte der siebziger bis Mitte der achziger Jahre gibt es weitere Massenproteste vor allem in Brokdorf, Gorleben, Kalkar und gegen eine damals geplante Wiederaufarbeitungsanlage für Atommüll in Wackersdorf.
1984: Das Brennelement-Zwischenlager Gorleben für schwachradioaktive Abfälle wird in Betrieb genommen. Es soll die Zeit bis zum Bau eines in der Nähe geplanten Atommüll-Endlagers überbrücken. Wenige Jahre später wird das Projekt der Wiederaufarbeitung von Atommüll in Deutschland angesichts der Proteste aufgegeben.
1990: Die ostdeutsche Atomindustrie wird nach der Wiedervereinigung wegen Sicherheitsbedenken abgewickelt. Die Reaktoren in Greifswald und Rheinsberg werden stillgelegt.
1995: Die ersten Castor-Transporte rollen aus Frankreich, später auch aus Großbritannien mit zurückgebrachtem Atommüll nach Gorleben. Wie in den folgenden Jahren werden die Transporte von heftigen Protesten begleitet.
1998: Nach dem Wahlsieg schreiben SPD und Grüne den Atomausstieg als Ziel im Koalitionsvertrag fest.
2002: Atomausstieg wird dieser langen Verhandlungen gesetzlich festgeschrieben. Für die Atomkraftwerke wird eine Gesamtlaufzeit von rund 32 Jahren festgelegt. Damit sollte das letzte Akw rechnerisch im Jahr 2022 abgeschaltet werden.
2009: Die CDU/FDP-Koalition verlängert unter Kanzlerin Angela Merkel (CDU) wieder die Laufzeiten für die noch verbliebenen 17 Akw um acht bis 14 Jahre. Grundsätzlich bleibt der Ausstiegsbeschluss aber bestehen.
2011: Nach der Reaktorkatastrophe 2011 im japanischen Fukushima kommt die Kehrtwende. Acht ältere deutsche Atomkraftwerke werden sofort vom Netz genommen beziehungsweise bleiben abgeschaltet, für die übrigen neun Anlagen werden feste Daten für eine schrittweise Abschaltung bis Ende 2022 festgelegt. (AFP)
Können wir den Strom aus den AKWs ersetzen? Geht das wirklich mit Windkraft?
In den Tagen kurz vor der Abschaltung haben Politiker, Bundesnetzagentur und Atomenergiebehörden immer wieder betont, dass die Energieversorgung in Deutschland gesichert ist. Wir können also den Strom, den wir jetzt nicht mehr von den AKWs bekommen, relativ problemlos ersetzen. Die Frage ist nur, wie.
In Deutschland werden aktuell 141.959 Megawatt aus erneuerbaren Energien erzeugt, 90.001 Megawatt aus konventionellen Energiequellen. Die erneuerbare Energie entsteht größtenteils aus Windkraft und Solarenergie, bei den konventionellen verteilt sich die Stromerzeugung auf Braunkohle, Steinkohle und Erdgas.

Aktuell geht es also weniger darum, die Atomkraft zu ersetzen – das haben wir schon geschafft. Aber ab 2030 soll auch die Kohle in Deutschland nicht mehr benutzt werden. Diese zu ersetzen, wird viel schwieriger, vor allem weil sie jetzt den Ausstieg aus der Atomenergie abfängt. Um ein modernes Atomkraftwerk zu ersetzen, braucht es verschiedenen Anhaben zufolge zwischen 800 und 1200 Windräder. Um die Kohle zu ersetzen, braucht es noch mehr.
Wie viele Windräder wir in den nächsten Jahren brauchen werden, ist nicht klar. Das liegt zum Teil daran, dass der Strombedarf steigen wird, zum Teil aber auch daran, dass modernere Windräder deutlich mehr Leistung erzeugen als ältere. Unterschiedlichen Quellen zufolge wird Deutschland bis 2030 zwischen 24.000 und 35.000 Windräder brauchen. Aktuell stehen rund 28.000 Anlagen im Bundesgebiet. Um das Ziel zu erreichen, muss schnell gearbeitet werden.
Wie viel CO₂ produziert ein AKW im Vergleich zum Kohlekraftwerk?
Ein Atomkraftwerk produziert über seine Lebensdauer Treibhausgasemissionen. Das Umweltbundesamt schreibt, dass vor allem beim Bau und bei der Herstellung der Brennelemente hohe Emissionen verursacht werden. Doch sie können sehr unterschiedlich ausfallen. Laut Umweltbundesamt fallen über die Lebensdauer eines AKW 12 Gramm CO₂-Äquivalenten pro Kilowattstunde an. Ein Kohlekraftwerk stößt hingegen rund 1000 Gramm pro Kilowattstunde aus.
Was passiert mit dem Atommüll?
Die Frage nach dem Atommüll ist ungelöst. Aktuell werden die 1900 Atommüll-Behälter zwischengelagert, während man nach einem Endlager sucht. Aktuell werden 90 Gebiete untersucht, die als Endlagerstandort infrage kämen. 2034 läuft die erste Frist für eines der Zwischenlager aus. Ob bis dahin ein Endlager gefunden sein wird, ist fraglich.