Forum Entwicklung im Video: Das Erbe des Kolonialismus korrigieren
Die Podiumsgäste diskutieren beim „Forum Entwicklung“ über neue Wege beim Kakaoanbau - und wie diese helfen, Armut zu bekämpfen.
Es ist ein Knochenjob. Und miserabel entlohnt. Umgerechnet etwa 80 Cent am Tag verdient ein Kakaobauer, der in Elfenbeinküste oder in Ghana lebt. Weniger, als eine einfache Tafel Milchschokolade in Deutschland im Supermarkt kostet. Eine in der Tat „bittersüße Bohne“, die da geerntet wird, so der Titel des jüngsten „Forum Entwicklung“, das von FR, der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) und hr info in der Evangelischen Akademie Frankfurt veranstaltet wurde.
Eine Familie kommt mit der Arbeit in ihrer meist drei bis fünf Hektar großen Plantage auf rund 180 Euro pro Monat, berichtete in der Diskussion GIZ-Projektleiterin Sonia Lehmann. „Das existenzsichernde Einkommen liegt in Elfenbeinküste aber bei 450 Euro.“ Die Familien, meist mit drei oder vier Kindern, erreichen also nur ein Drittel davon. Sie leben schlicht in Armut.
Kakao: Niedriger Weltmarktpreis führt zu Armut in Westafrika
Westafrika, wo Elfenbeinküste und Ghana liegen, ist eines der wichtigsten Zentren der Kakaoproduktion weltweit. Allein in diesen beiden Ländern leben fünf Millionen Menschen von dem Sektor. Und weil die Einkommen wegen des niedrigen Weltmarktpreises so niedrig sind, ist Kinderarbeit dabei gang und gäbe, die verhindert, dass der Nachwuchs auf die Schule gehen kann. Die Bauern können keine Lohnarbeiter bezahlen. Und im letzten Jahrzehnt hat die Verbreitung der Kinderarbeit sogar noch zugenommen, wie eine Studie der Universität Chicago 2020 erbrachte – trotz der Zusagen vieler Schokolade-Hersteller, diese zurückdrängen zu wollen.

Diskussionsteilnehmerin Evelyn Bahn von der NGO Inkota unterstrich das Problem. Über die Probleme beim Kakaoanbau werde mit den Herstellern bereits seit 20 Jahren diskutiert, unter dem Strich habe sich aber kaum etwas verbessert. Die großen Schokolade-Unternehmen sorgten nicht für eine wirklich nachhaltige Produktion, konstatierte sie. Erst durch die Debatte über ein Lieferkettengesetz in Deutschland und auf EU-Ebene bewege sich nun etwas. „Mehr Unternehmen schauen, wo kommt der Kakao her“, sagte die Expertin. Vor fünf Jahren sei das noch nicht der Fall gewesen.
Freilich sei das Ganze ein Wettlauf gegen die Zeit. Tatsächlich nehmen die Probleme im Kakaoanbau zu. Es würden mehr Pestizide und Kunstdünger eingesetzt, und der Klimawandel erschwere die Produktion. So seien Regen- und Trockenzeiten nicht mehr verlässlich. „Die Bauern sagen: Das Wetter spielt verrückt“.
Kakaoanbau: Schulungen erhöhen die Produktivität
Trotzdem kann auch unter den aktuellen Bedingungen die Situation der Landwirt:innen verbessert werden. Das zeigt die Arbeit der GIZ, die etwa in Elfenbeinküste Schulungen durchführt, um die Produktivität der Betriebe zu erhöhen. Schon 30.000 Kleinbauern und -bäuerinnen haben davon profitiert. Die Kakaoerträge stiegen durch recht einfache Maßnahmen, wie angepassten Baumschnitt, andere Bodenbearbeitung, bessere Erntetechnik, um bis zu 60 Prozent, wie Lehman berichtete. „Und das ohne große Investitionen.“
Für ein gutes Leben der Kakaobauern und -bäuerinnen freilich reichen solche Maßnahmen alleine nicht aus. Wie es viel besser gehen kann, zeigt der Schokoladen-Hersteller Ritter Sport mit einer eigenen Plantage in Nicaragua. Diese ist über 2200 Hektar groß, wobei die Hälfte der Fläche aus Naturschutzgründen unberührt bleibt, wie Merit Buama, Leiterin Kakao-Programme bei dem Unternehmen berichtete. Stichworte: auskömmliche Löhne, keine Kinderarbeit, nachhaltiger Anbau. Ein „tolles Projekt“ sei das, lobte NGO-Vertreterin Bahn, die allerdings anmerkte, dass auch Ritter Sport mehr als die Hälfte des insgesamt in den quadratischen Tafeln verwendeten Kakaos nicht von der Vorzeige-Plantage, sondern aus Westafrika importiere.
Buama räumte das ein. Und nannte es als Ziel, auch von dort einen wirklich nachhaltig produzierten Rohstoff zu beziehen. Bis 2025 will Ritter Sport für den gesamten Kakao, den die Firma bezieht, langfristige Partnerschaften mit Kakaobauern etablieren. Allerdings sei der Einfluss des Unternehmens aus Waldenbuch in Württemberg auf die Gesamtsituation eben auch begrenzt. Man sei in Westafrika „ein kleiner Fisch“, sagte die Managerin. Man verarbeite jährlich 20.000 Tonnen Kakao, der Weltmarkt aber betrage rund fünf Millionen Tonnen.
Kakaoverarbeitung vor Ort: Die Wertschöpfung im Land halten
Einen noch konsequenteren Weg geht der Schokoladenhersteller „Fairafric“. Er kauft nicht nur die Rohstoffe nachhaltig und bio ein, sondern produziert auch das Endprodukt, die verzehrfertigen Tafeln, direkt im Anbauland – in Ghana. Gründer Hendrik Reimers hält das für den richtigen Weg, um zum fairen Wirtschaften zu kommen. Fairafric hat derzeit rund 80 Mitarbeiter. Sie erhalten, so Reimers, sehr viel höhere Löhne als sonst üblich, haben eine Kranken- und eine Rentenversicherung. „Viele davon das erste Mal im Leben.“
Laut Reimers landen bei einer herkömmlichen Schokolade pro Tafel vom Verkaufspreis nur sechs bis sieben Cent in dem Land, in dem die Kakaoplantage liegt. Bei der Fairafric-Tafel dagegen seien es 92 Cent. „Es ist wichtig, die Wertschöpfung im Land zu halten, die sonst im Ausland stattfindet“, sagte Reimers im Forum Entwicklung. Mit anderen Worten: Wer in eine solche Tafel beißt, der hilft ein wenig mit, das Erbe des Kolonialismus zu korrigieren.
Forum Entwicklung
Das Forum Entwicklung ist eine gemeinsame Debattenreihe von Frankfurter Rundschau, hr-info und der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ).
Dreimal jährlich laden wir in Frankfurt zur Diskussion über ein entwicklungspolitisches ein Thema ein. Auf dem Podium debattieren Expertinnen und Experten aus Politik und Wirtschaft, von Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen unter Leitung von Tobias Schwab, Ressortleiter Wirtschaft der Frankfurter Rundschau. Dann geht es zum Beispiel um Kaffeeanbau, Textilproduktion, Biodiversität, vernachlässigte Krankheiten, Rohstoffe, Wildtierhandel, die weltweite Plastikverschmutzung, Tourismus, Wasserknappheit oder Digitalisierung.
Die Gäste der Diskussionsrunde auf einen Blick
- Hendrik Reimers (Gründer von Fairafric in Ghana),
- Evelyn Bahn (Expertin für Wirtschaft und Menschenrechte bei Inkota),
- Merit Buama (Leiterin Kakao-Programme bei Ritter Sport und Vorstandsvorsitzende des „Forum nachhaltiger Kakao“),
- Sonia Lehmann (GIZ-Projektleiterin in der Côte d’Ivoire).
- Moderation: Jens Borchers von hr-info.



