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Arbeitskampf in Ghana: „Solidarität stellt sicher, dass Gleichheit über Grenzen hinausgeht“

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Von: Valerie Eiseler

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Frauen, die ihre Waren auf dem Markt verkaufen, werden nicht selten von den Behörden schikaniert, berichtet Bashiratu Kamal.
Frauen, die ihre Waren auf dem Markt verkaufen, werden nicht selten von den Behörden schikaniert, berichtet Bashiratu Kamal. © afp

Gewerkschafterin Bashiratu Kamal will Arbeitsplätze in Ghana zu sicheren Orten für alle machen. Dabei könnte auch Solidarität aus Deutschland helfen.

Frau Kamal, welchen Sicherheitsrisiken sind die meisten Arbeiter:innen, die Sie gewerkschaftlich vertreten, ausgesetzt?

Das ist ganz unterschiedlich. Einige sind gefährlichen Chemikalien ausgesetzt. Einige haben keine geeignete Schutzkleidung. Andere sind, je nach Standort, mit Mückenstichen konfrontiert, weil sie während der Regenzeit auf einer Farm arbeiten müssen. Manche Arbeiter:innen sind von Gewalt und Belästigung betroffen. Im informellen Sektor, etwa auf den Märkten, werden die Menschen durch die Behörden schikaniert. Sie werden verdrängt oder misshandelt. Ihre Waren können beschlagnahmt oder zerstört werden.

Welche Probleme gehen von Arbeitgebern aus?

Vor allem Ausbeutung. Sei es ein selbständiger Landwirt, der eine andere Person angestellt hat, oder ganz normale Angestellte in einem Unternehmen. Der Arbeitgeber beutet sie aus und zahlt ihnen weniger als den Mindestlohn (14,88 Cedis pro Tag, etwa 1,14 Euro, Mai 2023, Anm. d. R. ) , welcher schon nicht ausreichen würde, um die Menschen durch den ganzen Monat zu bringen. Ein weiteres Problem ist die Zunahme der Zeitarbeit. Die Arbeitgeber stellen nicht mehr auf dem Arbeitsmarkt, sondern über einen Vermittler ein. Für die Vermittler geht es um das Geld, deshalb wollen sie keine große Verantwortung für die Arbeiter:innen übernehmen und setzen sie schlechten Löhnen und Bedingungen aus. Es gibt dabei keinerlei sozialen Schutz, weder das Recht, einer Gewerkschaft beizutreten, noch einen Betriebsrat zu gründen, oder als Gruppe Tarifverhandlungen zu führen.

Also ein Leiharbeitsmodell, bei dem der Vertrag zwischen Agentur und Arbeitnehmer:in besteht?

Ja, der Vermittler ist der Arbeitgeber, stellt sie für das Unternehmen ein, und behält dafür dann Verwaltungskosten ein. Zahlt das Unternehmen beispielsweise 100 Euro, landen bei den Arbeiter:innen nur etwa 30 Euro. In diesem Verhältnis werden die Verträge alle sechs Monate erneuert. Wenn man in Ghana sechs Monate lang ununterbrochen für denselben Arbeitgeber arbeitet, gilt man als unbefristet. Aber die Vermittler beenden die Verträge nach fünf Monaten und stellen Arbeiter:innen dann wieder neu ein, um dies zu umgehen. Eine schwangere Frau wird nach fünf Monaten nicht wieder eingestellt.

Ist es für Frauen generell schwerer auf dem Arbeitsmarkt in Ghana?

Viele Arbeitgeber wollen die Kosten, die mit der Einstellung einer Frau verbunden sind, nicht tragen. Wenn Sie zum Beispiel eine Frau beschäftigen, besteht die Möglichkeit, dass sie heiratet, schwanger wird und ein Kind bekommt. Der Arbeitgeber befürchtet, dass ein Mutterschaftsurlaub die Arbeitsleistung mindert. Er rechnet damit, dass Frauen irgendwann ein Vakuum hinterlassen werden. Und dies geschieht sowohl im formellen als auch im informellen Sektor.

In ihrer Gewerkschaft organisieren Sie Beschäftigte aus den formellen und informellen Sektoren. Was ist der Unterschied?

Die formellen Sektoren sind die klassischen Lohnarbeiter:innen. Sie haben einen klaren Arbeitgeber, sie gehen um acht Uhr zur Arbeit und hören um fünf Uhr auf, sie sind diejenigen, die durch die Arbeitsgesetze und -vorschriften geschützt sind. Sie arbeiten 40 Stunden pro Woche und haben Tarifverträge, die ihr Verhältnis zu ihren Arbeitgebern regeln. Der informelle Sektor besteht aus Menschen, die auf eigene Faust arbeiten, meist selbstständig. Sie haben keinen gesetzlichen Schutz. In diesem Sektor gibt es also Landwirte und Landwirtinnen, Landarbeiter und Marktfrauen, die nicht in einer Gewerkschaft organisiert sind.

Auf der Suche nach Solidarität: Bashiratu Kamal.
Auf der Suche nach Solidarität: Bashiratu Kamal. © Privat

Als Gender Spezialistin kümmern sie sich vor allem um den Schutz von Frauen. Wo sehen Sie da die größten Probleme auf dem Arbeitsmarkt in Ghana?

Gewalt und Belästigung sind einige der dringendsten Probleme. Sie können der Grund dafür sein, dass viele Frauen ihre Arbeit aufgeben oder sich weigern, überhaupt erst ins Berufsleben einzusteigen. Leider gibt es in Ghana derzeit keine Gesetze zum Schutz von Arbeitnehmer:innen vor geschlechtsspezifischer Gewalt und Belästigung am Arbeitsplatz. Seit einigen Jahren setzen wir uns daher für die Ratifizierung der IAO-Konvention 190 ein, in der es um die Beseitigung von geschlechtsspezifischer Gewalt und Belästigung am Arbeitsplatz geht (auch von Deutschland nicht ratifiziert, Anm. d. R.) . Darüber hinaus ist schon der Zugang zu Arbeitsplätzen nicht gleichberechtigt. Diese geschlechtsbasierte Diskriminierung findet auch zu Hause oder in der Gemeinde statt. Wir haben erlebt, dass Frauen ihre Arbeit aufgeben, weil ihre Ehemänner ihnen sagen, sie sollen nach Hause kommen und sich um die Kinder kümmern. Und selbst dann werden viele immer noch von ihrer Gemeinde verunglimpft. Das ist eine der größten Herausforderungen.

Was erhoffen Sie sich genau von der Ratifizierung der Konvention 190 ?

Nun, zumindest wird sie uns bei der Bildung, Sensibilisierung und Bewusstseinsbildung der Arbeiter:innen unterstützen. Sie bietet auch die Möglichkeit, Rechtsmittel anzuwenden, wenn Arbeiter:innen misshandelt werden. Dann wird es vor allem für uns als Gewerkschaften leichter sein, die Arbeitgeber zur Rechenschaft zu ziehen. Wir können die Konvention nutzen, um die nötigen Systeme und Strukturen einzurichten.

Zur Person

Bashiratu Kamal ist Gewerkschafterin in der General Agricultural Workers Union von Ghana. Sie arbeitet dort als Gleichstellungsbeauftragte und kümmert sich insbesondere um den Schutz von Frauen vor geschlechtsspezifischer Gewalt. Im Rahmen der Gewerkschaft entwickelt Kamal Strategien für zusätzliche Schutzmaßnahmen und berät bei relevanten Policy-Entscheidungen.

Als Aktivistin nimmt Kamal auch an der anstehenden Global Assembly in Frankfurt teil und wird dort mit den anderen Teilnehmer:innen über transnationale Solidarität, Schutz von Arbeiter:innen und Feminismus diskutieren. vale

Wie stark sind die Gewerkschaften vor Ort? Welche Rolle spielen sie im Alltag?

In Ghana sind die Gewerkschaften sehr wichtig und präsent. Sie genießen seit ihrem Bestehen Anerkennung und sind in vielen Ausschüssen und Kommissionen, als Arbeiter:innenvertreter in Betrieben und auf nationaler Ebene vertreten. Aber alle sozialen Fragen sind für die Gewerkschaften von Interesse. Jemanden wie mich, obwohl ich hauptberuflich in einer Gewerkschaft arbeite, kennen die Menschen außerhalb dessen als Feministin und Aktivistin. Ich spreche über Themen, die Frauen als Arbeiterinnen und Menschen betreffen. Wenn zum Beispiel eine Frau von ihrem Mann misshandelt wird, kann sie nicht zur Arbeit gehen. Und wenn sie nicht zur Arbeit erscheint, kann es sein, dass sie eine Abmahnung erhält oder sogar ihren Job verliert. Und das macht sie noch verletzlicher. Als Gewerkschaft sind wir auch Mitglied der Frauenbewegung in Ghana. All diese Themen, die mit Arbeit zusammenhängen, machen die Gewerkschaften weiterhin sehr relevant.

Eines dieser Themen über die sie sprechen ist zum Beispiel auch die psychische Gesundheit von Arbeiter:innen in Ghana. Psychische Gesundheit wird in Deutschland bisher nur wenig besprochen, wie sieht es in Ghana aus?

Es gibt viel Widerstand gegen Fragen der psychischen Gesundheit. Die Menschen sprechen nicht offen darüber. Selbst Menschen, die gefährdet sind und Hilfe brauchen. Denn das Erste, was man hört, ist: „Kümmere dich nicht um diese Person, sie ist verrückt!“ Die Menschen sprechen nicht darüber, was eine große Herausforderung darstellt. Das damit verbundene Stigma bedeutet Ablehnung, Entfremdung und Isolation.

Wichtig ist, dass Frauen Schutz brauchen. Überall.

Bashiratu Kamal

Ist dies ein weiteres Problem, das Frauen stärker betrifft?

Ich möchte Ihnen dafür ein Beispiel geben: Niemand würde seinen Familienangehörigen erlauben, eine Frau zu heiraten, die eventuell an einer PTBS (posttraumatische Belastungsstörung, Anm. d. R.) leidet oder eine Depression durchgemacht hat. Bei einem Mann würde die Gesellschaft dies vielleicht akzeptieren, aber bei einer Frau würden sie es komplett ablehnen.

Sie waren an mehreren Social-Media-Kampagnen beteiligt. Was halten Sie davon als Organisationsmittel?

Soziale Medien sind ein großartiges Instrument, aber leider haben wir sie in Ghana nicht so sehr als Organisationsmittel nutzen können, wie in den USA oder Deutschland. Als feministische Aktivistin habe ich soziale Medien genutzt, um auf verschiedene Themen aufmerksam zu machen. Aber die Gewerkschaften sind noch nicht so weit, dass sie sich die sozialen Medien zunutze machen. Wir halten immer noch an den traditionellen Organisationsmethoden fest, wir gehen an den Arbeitsplatz, sprechen mit den Arbeiter:innen und ihren Arbeitgebern. In anderen Ländern wie China nutzt man Whatsapp und soziale Medien, um Arbeiter:innen zu organisieren. Das tun wir hier nicht wirklich.

Was möchten Sie auf der Global Assembly zu den Lektionen, die Sie im Arbeitskampf in Ghana gelernt haben, berichten?

Eines der wichtigsten Themen, über die ich sprechen möchte, ist die transnationale Solidarität. Wir waren bisher nicht in der Lage, diese auf ein Niveau zu bringen, auf dem wir die Arbeiter:innen besser schützen können. Es gibt zum Beispiel Unternehmen, die in Deutschland und in Ghana tätig sind. Aber warum werden die Arbeiter:innen in Deutschland besser behandelt als die in Ghana? Wenn diese Unternehmen erfahren würden, dass es eine Verbindung zwischen der ghanaischen und der deutschen Gewerkschaft gibt, würde das den Druck auf sie erhöhen, sich besser zu verhalten. Diese Solidarität könnte es den Arbeiter:innen auch erleichtern, in den Streik zu treten.

Gibt es bereits transnationale Gewerkschaftsarbeit in Ghana?

Nein, bisher nicht. Aber erst letzte Woche war die deutsche Gewerkschaft IG Metall in Ghana um eine potentielle Zusammenarbeit zu prüfen. Wir stehen also noch ganz am Anfang. Die Solidarität ist einer der wichtigsten Punkte für mich. Die Global Assembly bietet mir die Möglichkeit diese Verbindung aufzubauen. Ob mit anderen Gewerkschaften oder Frauenbewegungen. Dabei geht es mir auch um Ressourcen, nicht nur Geld, sondern auch andere Dinge, die unseren Aktivismus und unsere Interessenvertretung stärken können. Seien es materielle Mittel oder andere Dinge.

Wie genau könnte die Solidarität einer deutschen Gewerkschaft Ihnen helfen und umgekehrt?

Nun, die transnationale Solidarität stellt sicher, dass die Gleichheit über die Grenzen hinausgeht und das Wohlergehen der Arbeiter:innen an erster Stelle steht. Wenn die Arbeitgeber selbst wissen, dass es eine internationale Bewegung ihrer Arbeiter:innen für bessere Bedingungen gibt, erzielen sie bessere Löhne und Abkommen. Wir können dies auch als Gelegenheit nutzen, die Regierungen dazu zu bringen, bei der Planung und Umsetzung ihrer Politik besser vorzugehen.

Gibt es noch etwas, das Sie uns mitteilen möchten?

Wie ich bereits sagte: Alle Arbeiter:innen sind Bürger:innen. Alle sozialen Fragen, die Frauen betreffen, selbst wenn diese nicht arbeiten, betreffen auch Frauen, die es tun. Themen wie geschlechtsspezifische Gewalt, die Schaffung von Chancengleichheit für Frauen, der Zugang zu wirtschaftlicher Teilhabe und zur Justiz sind Themen, die alle Arbeiter:innen betreffen. Ich bin an einer Zusammenarbeit mit allen interessiert, die sich mit diesen Themen befassen. Ob im Arbeitssektor oder anderswo. Wichtig ist, dass Frauen Schutz brauchen. Überall.

Global Assembly

Mit einem öffentlichen Auftakt in der Frankfurter Paulskirche beginnt am Sonntag, 14. Mai die „Global Assembly für Menschenrechte, Demokratie und globale Gerechtigkeit“. Das Treffen mit 45 Aktivistinnen und Aktivisten aus 40 Ländern findet aus Anlass des 175. Jahrestages der Nationalversammlung in der Paulskirche statt. Nach dem Auftakt wollen die Teilnehmenden drei Tage lang in Klausur darüber beraten, wie trotz zunehmender autoritärer Tendenzen in der Welt die Grund- und Menschenrechte verteidigt und womöglich ausgebaut werden können.

Die Versammlung ist aus der Überzeugung entstanden, dass die Frage nach Demokratie und Menschenrechten, um die 1848 auf nationaler und europäischer Ebene gerungen wurde, in Zeiten der Globalisierung nur transnational diskutiert werden kann.

Die Idee der „Global Assembly“ stammt von der Initiative „Der utopische Raum“, einer Kooperation der Stiftung Medico international, des Instituts für Sozialforschung und der Frankfurter Rundschau. Aktiv beteiligt sind außerdem Brot für die Welt, Medico, Misereor, Reporter ohne Grenzen, die Friedrich-Ebert-, die Heinrich-Böll- und die Rosa-Luxemburg-Stiftung. Die Evangelische Akademie Frankfurt ist Gastgeberin für die dreitägige Klausur, die auf die Eröffnung folgt. Gefördert wird das Ganze von der Stadt Frankfurt, dem Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst sowie der Bundeszentrale für politische Bildung. Eine Fortsetzung mit regionalen Aktivitäten und einer weiteren, größeren Versammlung im März 2024 ist geplant.

Der öffentliche Auftakt findet auf Einladung der Stadt Frankfurt am Sonntag, 14. Mai um 18 Uhr in der Paulskirche statt. Begrüßt werden Teilnehmende, die sich mit Themen wie Frauen- und Minderheitenrechten, Ökologie und Klimaschutz, sozialer Gerechtigkeit oder Meinungsfreiheit beschäftigen. Außerdem gibt es eine Diskussion zwischen dem Schriftsteller Navid Kermani und der Sozialanthropologin Shalini Randeria über Fragen globaler Demokratie, dazu Musik von Mitgliedern des Ensemble Modern. FR-Autorin Bascha Mika moderiert den Abend. Die Veranstaltung ist öffentlich, Anmeldung vor Ort ist möglich.

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