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Altersarmut bei Frauen: „Am Ende kümmert sich keiner um euch“

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Von: Tatjana Coerschulte

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Frauen haben beim Thema Rente eine strukturelle Benachteiligung und sind daher häufiger von Altersarmut betroffen. Sie haben Strategien entwickelt, um damit klarzukommen.
Viele Frauen haben Strategien entwickelt, um mit Armut im Alter klarzukommen. (Symbolbild) © Jens Kalaene/dpa

Die Kulturwissenschaftlerin Irene Götz spricht über die Gefahr künftiger Armut bei Frauen, Einkochen als Überlebensstrategie – und weshalb wir ein Schulfach Altersvorsorge brauchen

Frau Götz, die Renten für Frauen fallen in Deutschland im Durchschnitt um ein Drittel bis um die Hälfte niedriger aus als für Männer. Welchen Fehler machen Frauen bei ihrer Altersvorsorge am häufigsten?

Ich würde das nicht „Fehler“ nennen, weil dieses Wort eine Selbstverschuldungsrhethorik stützt. Die Frauen, die wir für unsere Studie befragt haben, haben sich ohnehin oft selbst die Schuld gegeben für ihre Altersarmut. Das führt meistens in die Irre. Als Fehler kann man höchstens bezeichnen, dass die meisten Frauen zu wenig an ihr eigenes Alter gedacht haben. In unserer Studie hat das eine Frau auf den Punkt gebracht und gesagt: Heute wäre ich klüger und würde nicht mehr mein gesamtes selbstverdientes Geld in das Familieneinkommen fließen lassen, sondern auch etwas für mein Alter zurücklegen.

Woran liegt es genau, dass Frauen erheblich weniger Rente erhalten?

Frauen haben eine strukturelle Benachteiligung, vor allem die Frauen, die jetzt schon im Ruhestand sind. Sie sind in einer Zeit aufgewachsen, in der es noch selbstverständlich war, dass Frauen nur Teilzeit arbeiten, wenn Kinder da sind. Das Eineinhalb-Ernährer-Modell war vorherrschend, mit dem Mann als Haupternährer. Viele haben dabei vergessen – und viele vergessen das auch heute – , dass die gesetzliche Altersrente abhängt von der Erwerbsarbeit und dass Kindererziehung und Pflege von Angehörigen nur wenige Rentenpunkte bringen. Für die Frauen der jetzigen Rentnerinnen-Generation war dieses Modell trotzdem alternativlos – weil die Kinderbetreuungsmöglichkeiten nicht ausreichend vorhanden waren und weil der Erwartungsdruck der Familien da war, dass sich Frauen eben kümmern.

Welche Möglichkeit gibt es, Frauen, die heute nur wenige hundert Euro an Altersbezügen haben, sofort zu helfen?

Es gibt im Moment keine wirklich gute Lösung, welche die Altersarmut von Frauen, die schon in dieser Lage sind, abfängt. Wir haben ja die neue Grundrente, die bringt aber auch nur dann etwas, wenn eine Frau 35 Jahre gearbeitet und Rentenpunkte gesammelt hat, wobei Erziehungszeiten hier angerechnet werden. Viele Frauen haben aber trotzdem nicht lange genug in Erwerbsarbeit gearbeitet. Mit der Grundrente werden eigentlich auch nur die niedrigen Einkommen bedacht, die wenig verdient haben und damit kompensatorisch eine Aufstockung ihrer Rentenpunkte bekommen. Das ist aber zu wenig.

Altersarmut bei Frauen: Grundsicherung reicht in teuren Städten nicht aus

Was ist mit der Mütterrente, welche die große Koalition als Erfolg gefeiert hat?

Die Mütterrente ist ein Stück weit eine Kompensation, aber auch die macht den großen Unterschied zwischen den männlichen und den weiblichen Renten nicht wett. Insofern gibt es für viele Frauen nur die Möglichkeit, weiter zu jobben. Manche haben noch ein Familieneinkommen, sind in einer Ehe oder Partnerschaft. Am Ende gehen viele zum Sozialamt – wenn sie den Schritt wagen, da ist auch viel Scham dabei – und beantragen Grundsicherung. Gerade in den teuren Städten reicht das aber nicht aus, da kommt man auch mit Grundsicherung nicht über die Armutgefährdungsgrenze.

Wie sieht eine solche finanzielle Situation konkret aus?

Eine Rentnerin, die zum Beispiel 400 Euro Rente bezieht und allein lebt, hat möglicherweise einen Anspruch auf die neue Grundrente. Sie kann zudem unter Umständen noch beim Sozialamt Grundsicherung beantragen. Sie kommt dann am Ende vielleicht auf 1150 Euro, das ist in München mit Wohngeld schon die Deckelungsgrenze. Die Armutgefährdungsschwelle liegt aber inzwischen schon bei deutlich über 1350 Euro. Das ist die Zahl aus dem letzten Armutsbericht für München. Das heißt: Auch mit sämtlichen Leistungen kommt die Frau nicht über die Armutgefährdungsschwelle. Da bleibt nur extremes Sparen oder die Verwandtschaft anzupumpen oder weiterzuarbeiten.

Zum Thema

Altersarmut ist weiblich . Der Verdienstunterschied zwischen Männern und Frauen in ihrem Berufsleben bewirkt am Ende auch eine Lücke bei den Renten. Nach einer aktuellen Studie der Universität Köln für das Bundesfamilienministerium liegt die Rente von Frauen im Durchschnitt 46 Prozent unter jener von Männern.

Besonders schwierig ist die Lage vieler Frauen, die über 80 Jahre alt sind: Gut 26 Prozent von ihnen – also jede vierte – lebt unterhalb der Armutgefährdungsgrenze, bei den Männern sind es 17 Prozent. Die meisten Frauen dieser Generation hatten als Hausfrauen und Mütter kein Erwerbseinkommen, das für die Rente ausschlaggebend ist.

Die traditionelle Rollenverteilung in Westdeutschland, die höhere Teilzeitquote von Frauen und unterbrochene Erwerbsbiografien wirken lange nach: Die Bertelsmann-Stiftung geht davon aus, dass die Lücke zwischen den Renten noch bis zum Jahr 2035 klafft. Nach Daten der OECD ist die Renten-Kluft in keinem anderen der 37 OECD-Staaten so groß wie in Deutschland.

Knapp elf Millionen Haushalte in Deutschland können einer Studie zufolge derzeit nicht genug Geld aufbringen, um mit privater Vorsorge die spätere gesetzliche Rente aufzustocken. Dies betreffe vor allem die unteren Einkommensbezieher sowie Alleinstehende und Alleinerziehende, heißt es in einer am Mittwoch veröffentlichten Untersuchung des Forschungsinstituts Prognos. coe/dpa

Das ist ziemlich deprimierend.

Nicht nur. Wir haben in den Interviews oft erfahren, wie sich Frauen mit gezielten Fertigkeiten, die sie als Nachkriegskinder erworben haben, aus dieser Misere ziehen: Sie tauschen, sie stellen selbst her, sie versorgen sich mit Fertigkeiten wie Einkochen – sie haben viele Strategien gelernt, um zurechtzukommen. Ich will das nicht schönreden, habe aber Respekt vor diesen Frauen. Wenn die Babyboomerinnen in Rente gehen, wird es für sie nicht mehr so einfach sein, weil sie im Wohlstand aufgewachsen sind und nicht mehr unbedingt mit diesen Fertigkeiten ausgestattet sind. Vielleicht werden die Babyboomerinnen aber auch weniger duldsam sein und mehr auf die Straße gehen.

Irene Götz (Jahrgang 1962) ist Professorin für Europäische Ethnologie und Empirische Kulturwissenschaften an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Ein Schwerpunkt der Ethnologin ist die Alters- und Biographieforschung.
Irene Götz (Jahrgang 1962) ist Professorin für Europäische Ethnologie und Empirische Kulturwissenschaften an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Ein Schwerpunkt der Ethnologin ist die Alters- und Biographieforschung. © Robert Haas

Altersarmu bei Frauen: Wie eine Reform der Rente aussehen müsste

Sie haben eine komplette Reform der Rente angesprochen. Wie müsste diese aussehen?

Mir leuchtet es ein, dass zum Beispiel auch die Beamten in die gesetzliche Rente einbezogen werden sollten. Und gerade die Gutverdiener können sich aus dem jetzigen Rentensystem ein Stück weit herauskaufen durch Berufskammern oder haben Zusatzversorgungen – auch die müssten einbezogen werden. Gleichzeitig müssten wir eine andere Finanzierung der Rente finden; Ich denke, dass wir eine steuerbasierte Rente brauchen. Die Reform steht im Koalitionsvertrag der Ampel auf der Agenda, wegen der anderen großen Krisen wird in dieser Hinsicht aber im Moment nichts fundamental Neues angestoßen.

Was müsste man ändern, damit es den künftigen Rentnerinnen besser geht?

Strukturell müsste man dafür sorgen, dass Frauen von Anfang an – schon in der Schule – über das Problem der Alterssicherung Bescheid wissen. Das gilt natürlich auch für Männer, denn auch für Männer wird künftig die gesetzliche Altersrente, wenn sie nicht völlig reformiert wird, nicht ausreichen. Das heißt: Man müsste in den Schulen ein Bewusstsein dafür schaffen, dass möglichst Berufe ergriffen werden, die ein gewisses Einkommen sichern. Allerdings würden dann bestimmte Berufe gar nicht mehr ergriffen. Gerade die Berufe, in denen Frauen sich finden, wie in der Pflege, sind schlechter entlohnt als etwa Metallarbeiter, die auch eine bessere gewerkschaftliche Lobby haben, wo mehr Geld investiert wird. Das heißt, strukturell müssten also bestimmte Berufe besser bezahlt werden.

Wie Frauen Altersarmut vermeiden können

Worauf können Frauen sonst noch achten?

Sie sollten möglichst viel in Vollzeit arbeiten. Sie sollten darauf achten, dass sie als Paar möglichst beide in Teilzeit arbeiten, dann eben beide zu einem höheren Stundenanteil, wenn Kinder da sind. Sie sollten außerdem dafür sorgen, dass auch Männer Erziehungszeiten nehmen. Solange die Rente am Einkommen hängt, ist es wichtig, dass auch Frauen so viele Rentenpunkte wie möglich erarbeiten. Frauen sollten sich auch selber um Zusatzrenten kümmern, was aber nur möglich ist, wenn man ein gewisses Einkommen hat. Künftig wird eine private Zusatzrente einfach nötig sein, um die kleinen gesetzlichen Renten abzufedern, und das verstärkt die sozialen Unterschiede im Alter.

Was würden Sie einer zwanzigjährigen Frau mit auf den Weg geben? Worauf sollte sie achten?

Sie sollte eine Verantwortung übernehmen für sich und ihr Leben. Ich würde jeder jungen Frau raten: Kümmert euch beizeiten um euch selbst, sonst kümmert sich am Ende keiner um euch. (Interview: Tatjana Coerschulte)

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