„Aktien schützen vor Inflation“

Thorsten Weinelt, Chef-Anlagestratege der Commerzbank, über die Krise an den Märkten und die Aussichten für dieses Jahr.
Die Aktienmärkte haben in den vergangenen Tagen stark nachgegeben, nachdem in den USA drei Banken kollabiert sind. Vor allem die Wertpapiere von Finanzinstituten sackten ab. Der Chef-Anlagestratege der Commerzbank, Thorsten Weinelt, rät Anlegerinnen und Anlegern aber dazu, nicht in Panik zu verfallen, sondern die Krise für sich zu nutzen.
Herr Weinelt, stehen wir vor einer neuen Systemkrise im Finanzsystem, die die Märkte weiter nach unten ziehen wird?
Nein, wir sehen keine Systemrisiken im Bankensektor. Es handelt sich bei den betroffenen US-Regionalbanken um Institute, die eine sehr einseitige Ausrichtung hatten. Sie waren fokussiert auf Start-ups beziehungsweise auf den Kryptosektor. In Start-ups ist in den vergangenen Jahren auch wegen der niedrigen Zinsen sehr viel Geld geflossen. In den USA haben auf der Suche nach Rendite auch Pensionskassen viel in diesen Bereich investiert. Viele Start-ups waren dadurch extrem hoch bewertet. Aber nun haben Investoren andere Anlageoptionen, im Start-up-Bereich findet jetzt eine Konsolidierung statt, ebenso im Kryptowährungssegment. Aber die großen Banken sind nicht in übermäßigem Maße in diesen Bereichen investiert und verfügen zudem über eine breite Kundenstruktur. Die Einseitigkeit der Geschäftsmodelle und nur wenige Kunden waren bei den Problemfällen ausschlaggebend.
Also sollten Anleger:innen sich jetzt nicht schnell aus dem Aktienmarkt verabschieden?
Nein, wir empfehlen unseren Kunden, Rückschläge eher für Käufe zu nutzen. In der Spitze hat der Dax 2022 auch mal 25 Prozent zum Vorjahr abgegeben, am Ende stand ein Minus von zwölf Prozent. Das waren Kaufkurse. Wir gehen schon davon aus, dass es 2023 noch Rückschläge geben wird. Aber insgesamt gehen wir von einem positiven Aktienmarktjahr 2023 aus. Anleger müssen dabei sicherlich bescheidenere Erwartungen haben als in manchen Vorjahren. Aber einen Zuwachs der Märkte in Höhe der aktuellen Aktien-Gewinnrendite von sechs bis acht Prozent erwarten wir schon.
Damit schlägt man die hohe Inflationsrate aber nicht unbedingt ...
Mittelfristig wohl schon. Wenn man sich die letzten 100 Jahre auf dem US-Aktienmarkt anschaut, dann zeigt sich, dass die nominale Rendite von Aktien durchschnittlich neun Prozent im Jahr betrug – davon sieben Prozent Kursgewinne und zwei Prozent Dividendenrendite. Die Inflation dagegen lag bei durchschnittlich drei Prozent im Jahr. Bleibt also eine Real-Rendite von sechs Prozent. Man kann daher schon sagen, dass Aktien vor Inflation schützen. Inflation heißt doch: Unternehmen erhöhen ihre Preise. Wenn ich über Aktien nun selbst Mitinhaber dieser Unternehmen bin, dann kann ich also von den Preiserhöhungen profitieren. Und Tatsache ist, dass ein erhöhter Inflationsdruck dauerhaft bestehen bleiben wird. Die Dekarbonisierung wirkt preistreibend, da die Energiepreise dadurch steigen. Die Deglobalisierung befeuert die Inflation, da Produktion beispielsweise zurück aus China ins teurere Europa verlegt wird. Und die demographische Entwicklung führt ebenfalls zu steigenden Preisen.
Sie sprachen China an. Kann man Anleger:innen in der derzeitigen Lage empfehlen, in Schwellenländer zu investieren?
Aus Gründen der Diversifikation macht das schon Sinn. Aber nur als Beimischung, um etwas höhere Renditen zu erzielen. Als Ankerinvestment sollten Anleger in Europa und den USA bleiben.
Aber Sie sagten doch gerade, dass Chinas Wirtschaft negativ von der Deglobalisierung getroffen wird.
Die Deglobalisierung wird zu Wohlstandsverlusten in allen beteiligten Ländern führen. Aber man darf nicht vergessen, dass Länder wie China und Indien sehr große, attraktive Inlandsmärkte haben.
Inzwischen erzielen auch Anleihen wieder ordentliche Renditen. Sind das auch gute Optionen für Anleger:innen?
In den letzten zehn Jahren hat das Thema Anleihen für Privatanleger praktisch keine Rolle mehr gespielt. Das wird sich nach vorne gerichtet wieder ändern. Vergangene Woche notierten zweijährige Bundesanleihen zwischenzeitlich über drei Prozent, aktuell weniger wegen der Marktturbulenzen. Mit Unternehmensanleihen kann man durchaus wieder vier Prozent Rendite erzielen. Das sind also Alternativen zur Aktie. Aber einen Inflationsschutz bieten Anleihen noch nicht, genauso wenig wie Termingelder bei Banken. Die Institute erhöhen die Verzinsung zwar langsam wieder, aber an die Inflationsrate kommt diese noch nicht ran.
Aber Sie empfehlen Anleger:innen sicherlich nicht, in Einzelaktien zu investieren?
Wer das tun will, muss sich genau mit diesen Aktien auseinandersetzen und dranbleiben an den Unternehmen. Wir empfehlen eher, in aktiv gemanagte Fonds oder ETFs zu investieren, die breit diversifiziert sind. Die Auswahl an Fonds ist riesig und Anleger können hier ganz gezielt in Themen investieren, die ihnen am Herzen liegen.
Und wie schaut es mit Investments in Gold aus?
Gold ist zum einen ein Portfoliostabilisator gegen geopolitische Risiken. Einen pauschalen Schutz vor Inflation bietet Gold nicht – eher gegen negative Inflationsüberraschungen. Doch wenn der Zinserhöhungszyklus vorbei ist, die Zinsen also sinken und der US-Dollar schwächer tendiert, dürfte der Goldpreis wieder zulegen. In Gold lässt sich zudem auch gut über ETFs investieren.
Interview: Nina Luttmer
