1000 Euro ohne Bedingungen

Die Idee des Grundeinkommens gewinnt beim Weltwirtschaftsforum in Davos Unterstützer.
Von Hannes Koch
Das bedingungslose Grundeinkommen galt bisher meist als illusionäre Idee. 1000 Euro monatlich für jeden Bürger – ohne Voraussetzungen? Doch beim Weltwirtschaftsforum (WEF) in Davos gewinnt das Konzept zunehmend Anhänger. Mit Philip Jennings, Generalsekretär des internationalen Gewerkschaftsbundes UNI, äußerte sich nun ein führender Arbeitnehmervertreter vorsichtig zustimmend.
UNI Global Union ist ein internationaler Dachverband von Gewerkschaften, der nach eigenen Angaben rund 20 Millionen Beschäftigte vor allem im Dienstleistungssektor vertritt. „Wir sollten das bedingungslose Grundeinkommen in Erwägung ziehen“, sagte Jennings während einer Podiumsdiskussion des WEF. „Vielleicht zeigen die gegenwärtigen Versuche, dass wir in diese Richtung arbeiten müssen.“
Jennings bezog sich unter anderem auf einen Versuch mit der neuen Sozialleistung in Finnland. Befürworter des Grundeinkommens stellen sich das Konzept grundsätzlich so vor: Alle erwachsenen Staatsbürger erhalten beispielsweise 1000 Euro pro Monat vom Staat, Kinder 500 Euro. Bedingungen wie heute bei Hartz IV sind daran nicht geknüpft. Menschen ohne oder mit geringen Einkommen profitieren, Bezieher mittlerer und großer Gehälter zahlen höhere Steuern, weil sie das Grundeinkommen ja nicht brauchen.
Gewerkschafter lehnen das Konzept in der Regel ab, weil sie es für eine „Stilllegungsprämie“ halten. Der Staat und die Sozialversicherung sollten Transfers an Bedingungen knüpfen, Arbeitslose im Gegenzug dann aber auch fördern, damit sie neue Stellen finden. Frank Bsirske, Chef der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, hat sich erst kürzlich gegen das Grundeinkommen ausgesprochen. Verdi ist Mitglied bei UNI Global Union.
In Davos wird das Grundeinkommen diskutiert, weil es möglicherweise eine sozialstaatliche Antwort auf die Veränderung der Arbeitswelt im Zuge der Digitalisierung darstellen könne. Ein Beispiel: Als „Human Cloud“ (menschliche Wolke) werden inzwischen Beschäftigte bezeichnet, die um ihre Arbeitgeber herumzirkulieren – die also keinen festen Vertrag haben, noch nicht mal eine kontinuierliche Teilzeit-anstellung, sondern für einzelne Projekte von wechselnden Auftraggebern verpflichtet werden. In manchen großen Unternehmen würde heute schon ein Drittel des Personals aus solchen Selbstständigen bestehen, schreibt Peter Miscovich von der Immobilienberatung Jones Lang La Salle (JJL) in einem Text für das WEF. Und im Jahr 2030 könnten es in einigen Branchen bis zu 80 Prozent der Beschäftigten sein.
„Eine Hilfe für prekär Beschäftigte und die unter Druck stehende Mittelklasse“ sei das Grundeinkommen, erklärte deshalb Guy Standing, Professor der Universität London und Co-Chef des Basic Income Earth Network (BIEN) während einer Podiumsdiskussion am Mittwoch. Amitabh Kant, Entwicklungsexperte der indischen Regierung, warnte dagegen: „Man soll Geld nicht als Droge verabreichen.“ Er plädierte dafür, ein Grundeinkommen für beispielsweise drei Jahre als zinsloses Darlehen an arme Bürger auszuzahlen. Die Pflicht, das Geld zurückzuzahlen, könne die ökonomische Aktivität der Empfänger fördern. Neelie Kroes, Unternehmensberaterin und frühere EU-Kommissarin, stellte die Frage, wie die Transferleistung finanziert werde solle. In Großbritannien könnte sie rund 700 Milliarden Euro jährlich kosten, etwa ein Viertel der Wirtschaftsleistung. Angesichts solcher Summen sah Kroes Schwierigkeiten voraus, die Reform durchzusetzen.
WEF-Chef Klaus Schwab hat sich inzwischen für das Grundeinkommen ausgesprochen: „Ich finde die Idee grundsätzlich plausibel.“ Schwab hat ein Buch über die „vierte industrielle Revolution“ geschrieben. Viele der heutigen Arbeitsplätze würden durch internetgestützte Produktionsverfahren, künstliche Intelligenz und Roboter künftig gefährdet. Seine Liste ist lang. Er nennt Steuerberater, Versicherungsfachleute, Schiedsrichter, Immobilienmakler, Kuriere, Boten und andere mehr. Es geht nicht nur um einfache Tätigkeiten, sondern auch um solche, für die man heute Abitur und Studium braucht. Die vierte industrielle Revolution, so die These, macht auch vor den ausreichend oder gut bezahlten Jobs der Mittelschicht nicht halt.