Antibiotika-Mangel dramatisch: Das müssen Eltern jetzt wissen
Antibiotika-Säfte für Kinder sind in Deutschland kaum zu bekommen. Medikamente ohne deutsche Zulassung kommen auf den Markt. Was Eltern wissen sollten.
Frankfurt – „Die Gesundheit unserer Kinder und Jugendlichen ist durch den Medikamentenmangel europaweit gefährdet“, warnen Kinderärztinnen und -ärzte aus fast ganz Europa. Der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) richtete sich bereits Ende April mit einem offenen Brief an die Gesundheitsministerinnen und -minister aus Deutschland, Frankreich, Südtirol (Italien), Österreich und der Schweiz: „Alle Länder haben sich zur Wahrung der Kinderrechte verpflichtet.“
Antibiotische Säfte und Penizillin fehlen: Deutschland erlaubt Einfuhr von Kinder-Arznei ohne Zulassung
Seitdem haben die Lieferengpässe für kindgerechte Medikamente kaum nachgelassen. In Deutschland reagieren immer mehr Bundesländer mit Notmaßnahmen. Die Einfuhr von antibiotischen Säfte ohne Zulassung für den deutschen Markt ist jetzt auch in Niedersachsen und Rheinland-Pfalz genehmigt.
In diesen Bundesländern sind Antibiotika-Säfte ohne deutsche Zulassung erlaubt:
- Niedersachsen
- Rheinland-Pfalz
- Baden-Württemberg
- Bayern
- Bremen
- Nordrhein-Westfalen
- Brandenburg
Diese Notmaßnahme ist für die Länder möglich, seit das Bundesgesundheitsministerium am 19. April offiziell einen „Versorgungsmangel“ erklärt hat. Die Bundesländer dürfen deshalb vom Arzneimittelgesetz abweichen. Die Forderung des BVKJ nach einer dauerhaften Lösung hat das Lauterbach-Ministerium damit noch nicht gelöst. Akut kranken Kindern kann aber häufig besser geholfen werden.
Medikamente für Kinder aus dem Ausland: Meist auch ohne Deutschland-Zulassung unbedenklich
Denn die fehlende Zulassung für Deutschland muss nicht an Mängeln liegen. Wenn herstellende Unternehmen kein Interesse daran haben, das Produkt in Deutschland zu vertreiben, bemühen sie sich auch nicht um die Zulassung beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM). Das heißt nicht, dass der Saft die Anforderungen nicht erfüllen würde.
„Ich würde meinen Kindern in der EU zugelassene Antibiotika-Säfte verabreichen, ganz ruhigen Gewissens“, sagte Apotheker Alexander Schmitz rtl.de. Eltern könnten davon ausgehen, dass die Prüfstandards zur Qualität ähnlich sind wie in Deutschland. Die Anforderungen seien EU-weit fast gleich, teils sogar identisch.
„Das sind in anderen europäischen Ländern registrierte und zugelassene Medikamente. Die sind nur in Deutschland nicht registriert“, erklärte der ehemalige Weltärztebund-Präsident, Frank Ulrich Montgomery, dem WDR.
Antibiotika ohne Zulassung: Was, wenn mein Kind Schaden nimmt? Ärztinnen und Ärzte beraten Eltern
Gesundheitlich müssen Eltern kaum Bedenken haben, nur rechtliche Fragen sind offen. Wer haftet, wenn das Kind bei der Einnahme eines nicht zugelassenen Medikaments Schaden nimmt? Das ist nicht im Detail geklärt. Es kommt in der Praxis extrem selten vor, dass EU-zugelassene Arzneimittel tatsächlich schadhaft sind. Oft ist in solchen Fällen auch eine falsche Anwendung die Ursache.
Für Eltern sind Ärztinnen und Ärzte sowie Apothekerinnen und Apotheker die besten Anlaufstellen, um einen professionellen Rat einzuholen. Sie können kompetent Einschätzungen abgeben und Risiken abwägen. Entscheidet die behandelnde Person über die Einnahme eines Wirkstoffes, ist zudem auch die Haftungsfrage geklärt.

Medikamenten-Mangel in Deutschland: Wieso haben andere europäische Länder weniger Probleme?
Aber wieso sind Kinder-Medikamente in Europa offenbar ausreichend verfügbar, in Deutschland aber nicht? Experten erklären sich das mit den Gesetzen des Marktes, schreibt die Süddeutsche Zeitung. Arzneipreise in Deutschland seien vergleichsweise niedrig, vor allem für patentfreie Produkte. Hinzu kommen Rabattverträge, die deutsche Krankenkassen mit den Unternehmen schließen. Dadurch wird die Medizin zwar für Patientinnen und Patienten günstiger, der Markt für die vertreibenden Unternehmen aber uninteressanter. In Deutschland verdienen die Pharmafirmen einfach weniger. Der Branchenverband „Pro Generika“ vermutet, dass dieser Preisdruck die wesentliche Ursache für den Mangel in Deutschland ist.
Die Import-Notmaßnahme verspricht allerdings nicht allzu viel Erfolg, befürchtet Apotheker Schmitz. Penizillin fehle europaweit, einen anhaltenden Überschuss an Antibiotika-Säften aus anderen Ländern erwartet er kaum. (moe)