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Mehr als nur ein paar Sandsäcke

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Gekämpft wird beim Boxclub Nordend nur im Training. Wer auch draußen zuschlägt, wird ausgeschlossen.
Gekämpft wird beim Boxclub Nordend nur im Training. Wer auch draußen zuschlägt, wird ausgeschlossen. © FR

Beim Boxclub Nordend werden gewaltbereiten Jugendlichen Werte wie Disziplin und Respekt vermittelt.

Von ANNETTE SEITZ

Am Anfang war Wolfgang Malik skeptisch. "Anti-Gewalt und Boxen", erzählt der Sozialarbeiter, "das war für mich wirklich nur schwer vorstellbar." Doch die Vorbehalte, die der Leiter des Offenbacher Jugendzentrums Nordend vor gut vier Jahren hatte, als das Boxprojekt zur Gewaltprävention in einem sozialen Brennpunkt installiert werden sollte, waren schnell vergessen. Und nicht nur Malik lernte: "Gewaltprävention und Boxen - das geht. Denn Disziplin und gegenseitiger Respekt sind dabei das A und O."

Mittlerweile haben sich das Projekt und der daraus entstandene Sportverein Boxclub Nordend zu einer echten Erfolgsgeschichte entwickelt, die auch die Schlappekicker-Aktion der Frankfurter Rundschau anerkennt. Denn aus den insgesamt 15 Vereinen, die sich für den Schlappekicker-Preis des Jahres 2007 beworben hatten, wählte die Jury einstimmig den BC Nordend Offenbach zum Sieger. Der mit 5000 Euro dotierte Schlappekicker-Preis, der seit 1998 Vereine oder Einzelpersonen für vorbildliches soziales Engagement im Sport belohnt, wird heute in Frankfurt verliehen.

Einige der bis zu 70 Jugendlichen, jungen Männer und Frauen, die an mehreren Tagen in der Woche das Training besuchen, werden auch bei der feierlichen Zeremonie im Römer dabei sein. Sie alle sind Mitglied in dem vor zwei Jahren gegründeten Sportverein, der auch am Wettkampfbetrieb im Amateurboxsport teilnimmt. Und das mit Erfolg: In dem 17-jährigen Ufuk Temur stellt der Verein den aktuellen Hessenmeister im Mittelgewicht.

"Aber das Boxen", versichert Malik, der auch Präsident des Sportvereins ist, "ist für uns natürlich nur der Aufhänger." Der Aufhänger dafür, gewaltbereiten Jugendlichen Werte wie Disziplin, Respekt, gegenseitige Wertschätzung und faires Miteinander zu vermitteln. Dabei gibt es scharfe Regeln. Wer nicht zum Training erscheinen kann, muss sich abmelden, der Handschlag zur Begrüßung ist obligatorisch. Und vor allem: Wer sich außerhalb des Trainings prügelt, wird sofort vom Boxsport ausgeschlossen. "Es gibt keine zweite Chance", versichert Malik. Nur zweimal musste der Sozialarbeiter bislang zu diesem ärgsten Mittel greifen.

Eine Herzensangelegenheit

Gerade wegen der eindeutigen Regeln, aber auch wegen der Authentizität der zum größtenteils ehrenamtlich arbeitenden Mitarbeiter funktioniert das Ganze. Vor allem Trainer Peter Firner gilt als einer der Väter des Erfolgs. Der Pädagoge und Amateurboxer leitet die Übungsstunden, in denen er nicht nur Taktik und Technik vermittelt, sondern auch Entspannungsübungen lehrt. Wer einmal erlebt hat, wie Firner gleich zwei Dutzend schwere Jungs dazu bringt, die Augen zu schließen, ihre Hemmungen zu überwinden und sich innerhalb einer Gruppe nur auf das eigene Innere zu konzentrieren, merkt schnell, wie viel Vertrauen die Jugendlichen ihrem Trainer entgegenbringen. Dies vor allem, weil die Arbeit für Firner und sein Team eine Herzensangelegenheit ist. "Wenn ich Gewaltprävention mache", sagt Firner, "dann muss ich authentisch sein. Man muss das Interesse haben und sich auch regelmäßig auf der persönlichen Ebene auseinandersetzen. Nur wer dazu bereit ist, kann etwas bewegen."

Gleichwohl ist Firner nicht blauäugig, weiß, dass das Boxangebot bei seiner Klientel auch bestimmte Erwartungen geweckt hat. Zumindest am Anfang. "Natürlich sind die Leute hier auch hergekommen, um sich für die Straße fit zumachen", räumt er ein. Aber genau jene Zielgruppe ist es, die das Team vom Jugendzentrum ansprechen will. "50 Prozent von denen, die hier trainieren, waren noch nie in einem Sportverein", erklärt Firner. "Deshalb gehen wir dorthin, wo die Leute sind." Dabei legen die Verantwortlichen Wert darauf, dass die Gruppen möglichst heterogen zusammengestellt werden, quasi Täter und Opfer miteinander trainieren, um so Toleranz zu vermitteln.

Hilfe bei Problemen

Über das Boxtraining hinaus werden noch eine Hausaufgabenbetreuung angeboten sowie Beratungen, etwa zu Fragen der Ernährung. Zudem werden die jungen Leute bei der Suche nach Ausbildungsplätzen und Problemen mit der Polizei unterstützt. Ein Gesamtpaket, das neben dem Sportangebot notwendig ist, um das Ziel der Gewaltprävention zu erreichen. "Denn Boxen ist kein Allheilmittel", betont Firner. "Boxen kann sehr viel geben, man kann aber auch das genaue Gegenteil erreichen. Nur ein paar Sandsäcke aufbauen, das reicht nicht."

Demnächst wird der BC Nordend Offenbach die beengten Räumlichkeiten im Jugendzentrum verlassen und in eine Halle am Hafen 19 umziehen. Das Preisgeld des Schlappekicker-Preises will der Klub, der auf Spenden angewiesen ist, in dieses neue Domizil stecken.

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