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Cayo und Theo trotzen allen Anfeindungen

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„Man geht selbstbewusster durchs Leben“: Theo Annendijck (links) und Cayo Egle. stenger
„Man geht selbstbewusster durchs Leben“: Theo Annendijck (links) und Cayo Egle. © Harald Stenger

Die beiden 16 Jahre alten Schiedsrichter lassen sich vom ganz alltäglichen Fanatismus auf dem Fußballplatz nicht unterkriegen / Eine Begegnung mit zwei Frankfurter Talenten bei der Schlappekicker-Aktion.

Im kritischsten Moment hat Cayo intuitiv gehandelt. Als der vor Zorn rasende Mann nach dem Abpfiff des Spiels pöbelnd und wild gestikulierend auf den jungen Schiedsrichter zukam, ihn mit wüsten Tiraden beschimpfte, ihm drohte, ihn zu köpfen und auch seiner Mutter Gewalt anzutun. Cayo hat souverän reagiert, ist langsam mehrere Schritte zurückgegangen, hat dabei immer den Mann angeblickt und keine Angst gezeigt. Erst als sich Schiedsrichter-Assistent Theo einschaltet und sich schützend vor Cayo stellt, und der Co-Trainer des Vereins, der das Spiel verloren hat, ebenfalls aktiv wird und den erregten Vater mit deutlichen Gesten stoppt, kann eine Eskalation der Ereignisse verhindert werden.

Die Grenzen des Fanatismus an der Basis, hier wurden sie überschritten in eine Richtung, die gerade der Amateur- und Jugendfußball teilweise vor massive Probleme stellt. Die Szenen vom 1. Mai 2023 haben das in ein krasses Licht gerückt. Auf dem Sportplatz von Fortuna Frankfurt ist gerade das Kreispokal-Finale der C-Junioren zu Ende gegangen, den Cup geholt hat sich Germania Enkheim mit einem 2:0-Sieg gegen den FC Kalbach. Eine unaufgeregte Partie mit zwei Gelben Karten, mehr nicht. Cayo Egle, der Schiri, ist 15 Jahre alt, Theo Annendijck, der Assistent am Spielfeldrand, ebenfalls. So alt wie die Jungs auf dem Platz. Alle haben sich vertragen, ausgerastet ist dagegen der 48-jährige Vater eines Kalbacher Spielers.

Dann rückt die Polizei an

„Er stand direkt hinter mir, hat die ganze Zeit gemosert, gepöbelt“, sagt Theo. Unzählige Beleidigungen hat natürlich auch Cayo bis auf den Platz gehört. „Das sind wir leider gewöhnt“, sagt Theo gelassen, „das muss man ausblenden können“. Und Cayo blickt so zurück auf diesen traurigen Nachmittag: „Es war äußerst unangenehm.“ Ein Schiedsrichter-Obmann hat dann auf Grund der unerfreulichen Entwicklung nach dem Abpfiff recht schnell die Polizei gerufen, damit es nicht zu weiteren Ausschreitungen kommt.

„Wir hatten gefürchtet, dass er uns auflauert, wenn wir den Sportplatz verlassen“, erläutert Cayo – ein Satz, der aufhorchen lässt. Kommt so etwas öfter vor? Neulich hat Theo, der auch Spiele selbst pfeift, ein B-Jugend-Spiel geleitet, als er nach dem Abpfiff mit zwei Kumpels zur U-Bahn unterwegs war und schon zehn Jungs mit grimmiger Miene auf ihn warteten. Es blieb bei verbalem Gepöbel. Ebenso wie beim Pokalfinale, nach dem Cayo und Theo von der Polizei zum Auto ihrer Abholer eskortiert werden. Am nächsten Tag pfeift Cayo wieder ein Spiel, er macht den Job mit Leidenschaft. Manchmal pfeifen Cayo und Theo auch zwei bis drei Spiele am Tag, sie werden gebraucht. Die Zahl der Schiedsrichter ist rückläufig.

Für das Pokalspiel am 1. Mai wurde Theo erst zwei Stunden vor dem Anpfiff angefragt, weil der vorgesehene Assistent kurzfristig wegen Krankheit absagen musste. Natürlich ist er, der das rote Dress mit dem Adler der Schiedsrichtervereinigung Frankfurt mit Stolz trägt, sofort eingesprungen. Der Gymnasiast pfeift für Blau-Gelb Frankfurt, ein Verein mit großer Jugendarbeit. Theo ist dessen Schiedsrichter-Beauftragter, kümmert sich um die Ausstattung der Kollegen, Trikots, um Anwerbung neuer Kandidaten. Und die organisatorischen Dinge. Alles im Ehrenamt.

Cayo Egle (Mitte) trifft Bundesliga-Referee Felix Brych beim Tag der Schlappekicker- und HFV-Jung-Schiedsrichter:innen. Stenger
Cayo Egle (links) trifft Bundesliga-Referee Felix Brych beim Tag der Schlappekicker- und HFV-Jung-Schiedsrichter:innen. © Harald Stenger

Für ihre Schiedsrichtereinsätze werden Theo und Cayo bezahlt: 15 Euro gibt es für ein Jugendspiel, dazu kommen ein paar Euro für An- und Abfahrt. Mindestens eine halbe Stunde vor Spielbeginn sind sie vor Ort, nach dem Abpfiff geht ebenfalls Zeit drauf, bis sie wieder zu Hause sind. Cayo pfeift neben den Jugend- noch Männerspiele in der Kreisliga B. Theo ist in der Kreisoberliga unterwegs und pfeift auch in anderen Kreisen. Zum Beispiel in Altenmittlau im Main-Kinzig-Kreis. Anfahrt mit dem Fahrrad und der S-Bahn bis zum Sportplatz. Er ist damit auf einer Stufe mit 3700 Schiris, die oberhalb der Kreisebene pfeifen. Sieben Prozent der 53 000 Schiedsrichter:innen im Lande sind das, ein großer Schritt auf der Karriereleiter. Nach Ambitionen befragt, halten sich beide Jungs bescheiden zurück: „Mal gucken, wohin der Weg führt.“

Ist die Geschichte von Cayo und Theo, die sich am 1. Mai in Frankfurt ereignet hat, eine von vielen Szenen „aus dem normalen Wahnsinn“ des Alltags auf Fußballplätzen in der Republik? Beginnend ganz unten in der Kreisliga C mit vielen emotionsgeladenen „Länderspielen“ von Vereinen, deren Mannschaft komplett aus Spielern mit der gleichen Heimat und damit dem gleichen Migrations-Hintergrund besteht.

Grenzenlose Respektlosigkeit

National und international haben Gewalt und Rassismus neue Formen angenommen, Grenzen werden überschritten. Wie kürzlich beim brutalen Angriff auf einen türkischen Schiedsrichter mitten im Stadion: Üble Beschimpfungen, heftige Faustschläge, explodierende Autobomben – die zunehmende Gewalt gegen Schiedsrichter schockiert.

„Weltweit werden Tausende von Schiedsrichtern auf den unteren Ebenen des Fußballs verbal und körperlich misshandelt.“ Eine krasse Aussage des einstigen Weltklasseschiedsrichters Pierluigi Collina, dem Mann mit dem unbezwingbaren Blick und heutigen Chef der Schiedsrichter-Kommission der Fifa, nach der Attacke in der Türkei. Leidtragende sind laut Collina besonders die „Helden des Alltags“, die Unbekannten und darunter als große Mehrheit „junge Schiedsrichter am Anfang ihrer Karriere“.

Wie Cayo und Theo, beide inzwischen 16 Jahre alt und so leidenschaftlich dabei, dass sie all das in Kauf nehmen, von oft grenzenloser Respektlosigkeit bis zu heftigen Anfeindungen und handgreiflichen Drohungen. Im Gespräch wirken die Jungs abgeklärt und überzeugend, ihre Freude am Fußball kommt rüber. Theo ist mit 14 Jahren umgestiegen. Torhüter war der große Blonde bis dahin, eine Dauerverletzung am Arm hat ihn umschwenken lassen. Heute sagt er: „Der Schiedsrichter im Sport steht für Gerechtigkeit. Es geht darum, Regeln umzusetzen. Das passt zu mir“. Und diese besondere Leidenschaft, die man braucht, um in der Freizeit den Job als Schiedsrichter zu lieben.

Cayo war schon früh „mehr Schiedsrichter als Kicker“. In Rödelheim ist er aufgewachsen, hat in der G-Jugend angefangen, die Pfeife hat er schon mit acht Jahren auf dem Bolzplatz gerne in die Hand genommen. Nach einer Knöchelverletzung mit 14 Jahren wurde sie zum wichtigsten Utensil des Gymnasiasten. „Schnelle, gerechte Entscheidungen aus dem Bauch heraus“, das gefällt ihm. Für die „Persönlichkeitsbildung“ sei das Schiedsrichter-Dasein eine wichtige Grundlage. Beide Frankfurter, die auch in diesem Jahr beim Besuch von DFB-Vorzeige-Schiedsrichter Felix Brych Ende November beim gemeinsam vom Hessischen Fußball-Verband und Schlappekicker-Aktion veranstalteten Fortbildungs-Tag dabei waren, sehen das so: „Man geht selbstbewusster durchs Leben.“

Ganz lässig wegstecken können sie den 1. Mai trotzdem nicht, er war auch eine Zäsur im jungen Leben. Der Termin beim Sportgericht, wo den beteiligten Vereinen bescheidende Geldstrafen aufgebrummt wurden, war eine Etappe dabei. Ein weiteres Erlebnis im Zuge der Aufarbeitung: Zeugenaussagen bei der Polizei, doch die dort vorgeschlagene Begegnung mit dem Randalierer für einen „Täter-Opfer-Ausgleich“ haben die Jungs abgelehnt. Die Sache sei für sie jetzt „abgeschlossen“, eine Begegnung „würde alles nur wieder aufwühlen“.

Der 1. Mai ist auch ein „Tag der Freundschaft“ für Cayo und Theo geworden. „Das hat uns zusammengeschweißt“, sagt Theo. Die Anerkennung, die sie von der Schiedsrichtervereinigung, vom Hessischen Fußballverband und anderen Seiten für ihren besonnenen Einsatz und ihr vorbildliches Engagement bekommen haben, taten gut. Weiterhin wollen sie den Traum vom Schiedsrichter-Aufstieg leben. Auch wenn das alles noch weit weg ist.

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