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News gab es genug - aber zu wenig Papier

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Das erste Rundschau-Haus, Sitz von "Schriftleitung und Verlag", stand ab 1945 in der Schillerstraße 19. Die FR wurde im Keller des früheren Hauses der Frankfurter Zeitung auf von Experten der US-Army reparierten Rotationsmaschinen gedruckt.
Das erste Rundschau-Haus, Sitz von "Schriftleitung und Verlag", stand ab 1945 in der Schillerstraße 19. Die FR wurde im Keller des früheren Hauses der Frankfurter Zeitung auf von Experten der US-Army reparierten Rotationsmaschinen gedruckt. © dpa

Mit ihrem Erscheinen vor 60 Jahren sollte die Frankfurter Rundschau "eine Sonderstellung in der deutschen Nachkriegspublizistik" einnehmen

Frankfurt · Geschrieben, produziert und gedruckt wird das vierseitige Blättchen, das da am 1. August 1945 heraus kommt, im Keller und ersten Stock einer Ruine der Innenstadt, zwischen Großer Eschenheimer- und Schillerstraße. Man arbeitet in den brüchigen Resten des Gebäudes, wo genau zwei Jahre zuvor, am 1. August 1943, die altehrwürdige Frankfurter Zeitung auf Druck von oben ihr Erscheinen hatte einstellen müssen. Die Titelseite der ersten Ausgabe: sechsspaltig, bleilastig, grau-in-grau, zwei kleine Porträt-Bildchen oben links und unten in der Mitte. Frankfurter Rundschau. Jahrgang 1, Nummer 1. "Veröffentlicht unter Lizenz Nr. 2 der Nachrichtenkontrolle der Militärregierung" liest man unter dem typischen Schriftzug - da, wo längst "Unabhängige Tageszeitung" steht. Einzelpreis: RM 0.20. "Bestellungen in Frankfurt a. M. bei den Annahmestellen in allen Stadtteilen". Die Frankfurter sollen sich laut Vorgabe der amerikanischen Besatzer "auf eine demokratische Lebensweise und die Vorrechte eines freien Volkes umstellen". Die erste Zeitung wird den Verkäufern im Chaos und Elend der Ruinenstadt aus den Händen gerissen. Was sie zu lesen bekommen: Einen Aufmacher mit dem Ergebnis der englischen Unterhauswahlen, dreispaltig umbrochen, Titel: "Absolute Mehrheit der Arbeiterpartei". Daneben links eine "Ehrenvolle Begrüßung der ,Frankfurter Rundschau' durch die Militärregierung", einspaltig: "Diese Erstausgabe. . . stellt einen wichtigen Schritt in der Rehabilitierung Frankfurts dar." Und: "Das Erscheinen der Zeitung, der ersten deutschen Zeitung, die von Deutschen in der amerikanischen Besatzungszone herausgegeben wird, zeugt von dem Vertrauen, das die Militärregierung in das deutsche Volk setzt. . ."

Bruch mit deutschen Traditionen

Um das Besondere, den Aufbruch, zu unterstreichen, hätte das Blatt eigentlich "Frankfurter Neueste Nachrichten" heißen sollen. Major Cedric Belfrage, der die Lizensierung begleitete, suchte aber "den Bruch mit allen bisherigen deutschen publizistischen Traditionen", wie einer wissenschaftlichen Analyse der "Sonderstellung der Frankfurter Rundschau in der deutschen Nachkriegspublizistik" zu entnehmen ist.

Kein einziger ehemaliger Journalist der Frankfurter Zeitung war als Gründer ausgewählt worden, der US-Major richtete sein Interesse und Vertrauen auf jene Deutschen "who should have been dead" - auf die Verfolgten der Nazi-Herrschaft, die der Mordmaschinerie entkommen waren. "Der neuen Zeitung zum Geleit" unterzeichnen in Ausgabe Nummer 1, links unten, mit dem Ausruf "Glück auf der ,Frankfurter Rundschau'!" die Herausgeber: Emil Carlebach, Hans Etzkorn, Wilhelm Karl Gerst, Otto Grossmann, Wilhelm Knothe, Paul Rodemann und Arno Rudert. Schwarz gerahmt finden sich, ebenfalls auf Seite 1, beispielhaft 24 Namen von Menschen aufgelistet, die den Nazis nicht entkommen sind: Hingerichtete, Totgeschlagene, in Auschwitz, Theresienstadt, Dachau Umgekommene. Titel: "Unsterbliche Opfer... ihr sanket dahin!" Die Reihe beginnt mit Albrecht Ege und Johanna Kirchner, sie endet mit "Pfarrer Dr. Bonnhöfer, erschossen in Berlin". Es ist der Bericht von "einer Totenfeier" am Vortag im Sendesaal des Hessischen Rundfunks. Der Berichterstatter verbirgt seine Gefühle nicht: "Es gab einen Augenblick, in dem die Schauer des Todes selber uns anwehten."

In Frankfurt leben zu jener Zeit (von 550 000) noch 287 000 Einwohner - eine Zahl, die wegen der vielen Flüchtlinge, Rückkehrer und Entwurzelten ständig wächst. Es gibt mit Kurt Blaum einen von dem stellvertretenden US-Stadtkommandanten Major Francis E. Sheehan vereidig-ten Oberbürgermeister. Es gibt, laut Resümee der Amerikaner, nach jahrelanger "Entnazifizierung" auch wieder "3238 Einzelhandelsbetriebe und 54 Banken". Radio Frankfurt sendet wieder, "der Zoo hat aufgemacht, das erste Fußballspiel hat stattgefunden, die Eröffnung der Schulen und Gerichte steht bevor, die Eisenbahn verkehrt, der Postbetrieb ist wieder aufgenommen worden." Lokale Nachrichten finden sich in den ersten Rundschau-Ausgaben locker in die Weltpolitik eingestreut. Die Redaktion bedauert unter "In eigener Sache!" "Unsere Zeitung müßte wenigstens zehn Seiten Umfang haben, um mit der Fülle von Stoff fertig zu werden(. . .) Aber wir haben nicht genug Papier ! - Zwei mal in der Woche erscheint das Blatt - mittwochs mit vier, samstags mit sechs Seiten. Auflage: bis zu einer halben Million. Doch mit der politischen Lage ändern sich auch die Existenzbedingungen der Frankfurter Rundschau. Am 15. April 1946 erscheint auf Betreiben der US-Behörden die erste Frankfurter Neue Presse als konservativ-unpolitisches Gegengewicht. Die FR muss, weil das Papier nun aufzuteilen ist, einer Reihe Abonnenten kündigen.

Der 15. April 1946 ist auch der Tag, als der sozialdemokratisch orientierte Schwabe Karl Gerold, der vom Schweizer Exil aus gegen die Nazis gearbeitet hatte, autorisiert wird, "die Frankfurter Rundschau zu veröffentlichen". Gerold hat das linksliberale Profil der Zeitung geschärft - bis zu seinem Tod 1973. Sein Name lebt in der Karl-Gerold-Stiftung weiter.

Wir über uns: 60 Jahre Frankfurter Rundschau

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