1. Startseite
  2. Über uns

Kleiner Blick in die frühe Historie der FR

KommentareDrucken

Haltung zählt - das Buch über die Frankfurter Rundschau.
Haltung zählt - das Buch über die Frankfurter Rundschau. © Peter Jülich

„Haltung zählt“ heißt das Buch, das spannende Einblicke gibt in das Innere der Frankfurter Rundschau. Ein Überblick.

Ende März 1945

In Frankfurt endet die Herrschaft der Nationalsozialisten – die US-Armee befreit die Stadt. Schon gut vier Monate später, am 1. August, erscheint die erste Ausgabe der Frankfurter Rundschau, überhaupt die erste neue deutsche Zeitung in der amerikanischen Zone.

Ihre Anfangsgeschichte habe etwas von einem Politthriller, schreibt Wolf Gunter Brügmann, ehemaliger Chef der FR-Nachrichtenredaktion, im ersten Kapitel von „Haltung zählt“: ein Thriller zwischen Antifaschismus und Antikommunismus.

Das erste Herausgebergremium der Zeitung hat nicht lange Bestand; Richtungskämpfe sorgen für einen holprigen Start. Die FR und die US-Armee sind sich nicht einig darüber, wie weit links die neue Zeitung stehen durfte – uneins sind sich in dieser Angelegenheit auch beide Seiten intern.

Zunächst gilt es aber ganz praktische Hindernisse zu überwinden: Die Redaktion hat weder ein Telegrafensystem noch Telefone. Unvorstellbar aus heutiger Sicht. Von den 206 Beschäftigten der ersten Stunde gehören 27 dem Bautrupp an. Die Redaktion, 24 Leute stark, kommt zahlenmäßig erst an dritter Stelle hinter den kaufmännischen Angestellten.

Die schmale Belegschaft produziert eine Auflage von sage und schreibe 500.000 Exemplaren, wenn auch nicht täglich, sondern zweimal wöchentlich, mittwochs mit vier, samstags mit sechs Seiten. „Sie war immer sofort ausverkauft“, schreibt Brügmann. Täglich erschien sie dann von 1948 an. Bis dahin war der Politthriller längst im vollen Gange.

Sommer 1945

Das Buch zur FR

„Haltung zählt – Anspruch und Geschichte der Frankfurter Rundschau.“ Thomas Kaspar und Richard Meng (Hrsg.). 134 Seiten, Verlag Edition 7, Berlin. 18 Euro. Informationen zum Buch: fr.de/haltung

Sieben Männer erhalten von der US-Armee die Lizenz für die erste Zeitung im amerikanischen Sektor, ehe am Abend des 31. Juli der Andruck der FR beginnt. Es sind die Sozialdemokraten Paul Rodemann, Hans Etzkorn und Wilhelm Knothe, die Kommunisten Otto Grossmann, Emil Carlebach und Arno Rudert sowie der Linkskatholik Wilhelm-Karl Gerst.

Ein halbes Jahr später sind nur noch drei von ihnen dabei – Carlebach, Rudert und Gerst. Die anderen haben entweder aus politischen Gründen gekündigt, weil die SPD nicht mit den Kommunisten kooperiert, oder wurden „wegen Überheblichkeit und Inkompetenz entlassen“, wie FR-Chronist Wolf Gunter Brügmann im Buch „Haltung zählt“ schreibt.

Knothe kehrt der Zeitung den Rücken, um hessischer SPD-Vorsitzender zu werden. Wegen der verbliebenen linken Herausgeber gibt es Diskussionen. Die „New York Herald Tribune“ vergleicht: „Bevor nicht berichtigende Schritte unternommen würden, wird die Frankfurter Rundschau die Frankfurter Prawda genannt werden.“

Noch ist die FR die einzige Zeitung in Frankfurt. Erst im April 1946 folgt die „Frankfurter Neue Presse“, von den Amerikanern als politisches Gegenstück gewünscht. Bald darauf kommt das Aus für den im Haus unbeliebten Gerst und im August 1947 auch für Emil Carlebach. Er sei „offensichtlich unfähig, die Grundprinzipien der Demokratie zu verstehen“, zitiert Brügmann die Militärregierung.

Carlebach wird Stadtverordneter, Landtagsabgeordneter und flieht nach dem Verbot der KPD 1956 vorübergehend in die DDR. Viel später schildert er in dem Buch „Zensur ohne Schere“ seine Sicht der Dinge: Heuchelei und Berufsverbot. „Aus dem Kampf gegen Reaktion und Faschismus wurde schließlich die Hereinnahme der Druckaufträge für Produkte des Axel Cäsar Springer. Man paßte sich an …“

Arno Rudert ist nach zwei Jahren der letzte Verbliebene der sieben Herausgeber. Bald wird er einen starken Partner bekommen. Die Ära Karl Gerold beginnt. 

Die Ära Karl Gerold

Veranstaltungen zum Buch

Persönlich begegnen können Sie Autorinnen und Autoren des Buches „Haltung zählt“ bei zwei Veranstaltungen in Frankfurt. Es besteht jeweils die Möglichkeit, den Sammelband zu erwerben und signieren zu lassen. Der Eintritt ist frei.

Am 11. Oktober spricht Claus Jürgen Göpfert im Club Voltaire mit Chefredakteur Thomas Kaspar und den Redakteurinnen Helen Schindler und Valérie Eiseler. Sie blicken gemeinsam auf die Geschichte der Zeitung und deren Zukunft. Die Veranstaltung beginnt um 19 Uhr.

Am 21. Oktober erfolgt die offizielle Vorstellung des Buches erfolgt mit den Herausgebern Thomas Kaspar und Richard Meng um 19 Uhr im Haus am Dom. Karin Dalka moderiert eine Gesprächsrunde mit Wolf Gunter Brügmann, Jutta Roitsch und Pitt von Bebenburg. Die Veranstaltung wird live übertragen. Bitte melden Sie sich für das Haus am Dom mit unserem Formular vorab an (Stichwort „Haltung“).

Eine „widersprüchliche, innerlich zerrissene, oft einsame und gerade deshalb auch charismatische Persönlichkeit“: So schildern Zeitgenossen den Journalisten Karl Gerold, der nach anfangs harten Richtungskämpfen in der Frankfurter Rundschau schließlich gemeinsam mit Arno Rudert Herausgeber wird.

Die US-Militärregierung ist so zufrieden mit dem Führungsduo, dass sie die Zeitung im Juli 1949 in den privaten Besitz der beiden Männer übergibt. Nach Ruderts Tod 1954 ist Gerold alleiniger Herausgeber, Verleger und Chefredakteur. „Die heilige Dreifaltigkeit wurde er in der Redaktion genannt“, schreibt FR-Chronist Wolf Gunter Brügmann in „Haltung zählt“.

Gerold kümmert sich um seine Belegschaft, er verlangt ihr aber auch viel ab. Die Autoren sollen ihren eigenen Kopf haben, und sogar am freien Samstag müssen die Ressortleiter zu ihm nach Hause kommen und über die Lage berichten. Seine Gegenleistung: Eintopf zum Mittagessen.

Extern legt sich Gerold mit allen an, wenn er es für nötig hält, tritt aus der SPD aus, die die FR hart kritisiert, und nennt Verteidigungsminister Franz-Josef Strauß (CSU) wegen der vielen Starfighter-Abstürze 1966 einen „Mörder von oben“. Es kommt noch stärker: 1970 bezeichnet Gerold Strauß als einen „richtigen Neofaschisten“ und schreibt: „Hier spricht der Hitler, der dasselbe wollte und der in unserer Zeit durch Strauß am Leben ist.“

Der bayerische Politiker klagt auf Unterlassung und gewinnt. Im Jahr darauf attackiert ihn Gerold erneut – und muss 1200 Mark Strafe bezahlen. Was ihn nicht anficht. Sein Bundesverdienstkreuz hat er da längst zurückgegeben wegen eines Ordens, den die Bundesrepublik einem spanischen Minister der Franco-Diktatur verleihen wollte.

Welch aufregende Zeiten, und was für eine Anregung, sich noch einmal in das Deutschland der 70er Jahre und seine kämpferische linksliberale Zeitung zu vertiefen. Demnächst mehr davon.

Weckruf des Herausgebers und Chefredakteurs

Steh auf für deine Überzeugung! Das ist der Weckruf, den FR-Herausgeber und Chefredakteur Karl Gerold in den 40er bis 70er Jahren ausstößt. „Gerold schrieb (Schreibmaschine) wie mit dem Hammer“, zitiert FR-Chronist Wolf Gunter Brügmann in „Haltung zählt“ den Schriftsetzer Horst Sturm: „Wo die Buchstaben a, c, e und o standen, war immer ein Loch. In seinem plötzlichen Zorn war er unberechenbar.“

Zugleich aber enorm beliebt in „der Technik“; das war die Abteilung im Basement, die die Zeitung damals noch aufwendig Schritt für Schritt zusammenmontierte, vom Bleisetzer bis zum Drucker. „Er war im Grunde ein bescheidener Mann“, sagt Sturm, aber auch misstrauisch und cholerisch. „Mich hat er auch zwei Mal rausgeworfen – und Stunden später wieder eingestellt.“

Das waren Zeiten. Die Menschen dürsteten nach Nachrichten, die Rundschau war unersetzliche Quelle. 1949 zur Bundestagswahl stellte sie Lautsprecher in der Stadt auf und verkündete laufend Zwischenstände – auch vom Sport. In demselben Jahr gründet Gerold die FR-Altenhilfe „Not gemeinsam lindern“, die bis heute mehr als 35 Millionen Euro gesammelt hat.

Fast gleichzeitig entsteht auch die „Schlappekicker“-Spendenaktion für in Not geratene Sportlerinnen und Sportler. Die Redaktion deckt derweil auf, dass viele ehemalige Nazis weiter in staatlichen Stellen wirken. Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss, von Gerold im FR-Leitartikel gefordert, kommt 1952 – sieben Jahre nach Kriegsende – zu dem Ergebnis: Nur fünf von 21 Überprüften sind uneingeschränkt für den Dienst geeignet. So tief sitzt Hitlers Gefolgschaft noch im Fundament des Neubaus Bundesrepublik. Die Frankfurter Rundschau wird nicht lockerlassen. 

Die 1950er-Jahre

In den 50er Jahren wird die Frankfurter Rundschau immer mehr zu der wichtigen Stimme, die den Mächtigen auf die Finger schaut – und haut, wenn es sein muss. Verbal natürlich. Reporter Peter Miska deckt 1957 in einer Serie auf, dass Tausende Panzer geordert wurden, ohne sie vorher genügend zu testen. Der sogenannte HS-30-Skandal ist einer der ersten ganz großen Korruptionsfälle.

In den Jahren danach geht es immer wieder um die Verstrickung Rechtsradikaler in offiziellen Stellen. FR-Redakteur Thomas Gnielka zeigt in seiner Serie „Falschspiel mit der Vergangenheit“ 1959 die Umtriebe Ewiggestriger ausgerechnet in der hessischen Wiedergutmachungsbehörde für die Opfer des Nationalsozialismus. Gnielka wird später noch in anderer Sache von sich reden machen. Er erhält von Emil Wulkan, Überlebender des Konzentrationslagers Auschwitz, Material, das die Frankfurter Auschwitz-Prozesse der 60er Jahre erst möglich macht. Gnielka übergibt die Dokumente an den hessischen Generalstaatsanwalt Fritz Bauer, der daraufhin seine Ermittlungen beginnen kann.

Wie es dazu kam, hat der Regisseur Giulio Ricciarelli 2013 in dem mehrfach international ausgezeichneten Film „Labyrinth des Schweigens“ festgehalten. Gnielka erlebt die Urteilsverkündung im Auschwitz-Prozess nicht; er erkrankt schwer und stirbt 1965. Die Trauerrede hält Heinrich Böll. Der Kampf der Frankfurter Rundschau für Wahrheit und Gerechtigkeit aber geht weiter. Ihr Aufstieg als Leitmedium in der Bundesrepublik hat gerade erst begonnen. 

Auch interessant

Kommentare