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Polizei löst Menschenkette von Flüchtlingsaktivisten auf - Trotz Abstand

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Von: Sandra Busch

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Abstandhalten und Mundschutz genügten der Polizei nicht – die Menschenkette, die auf die Flüchtlingslage hinwies, wurde aufgelöst.	R. Hoyer
Abstandhalten und Mundschutz genügten der Polizei nicht – die Menschenkette, die auf die Flüchtlingslage hinwies, wurde aufgelöst. © Renate Hoyer

Aktivisten protestieren in Frankfurt im Zwei-Meter-Abstand gegen europäische Flüchtlingspolitik. Die Polizei löst die Menschenkette auf.

Die Aktivisten stehen im Abstand von zwei Metern. Sogar orangefarbene Punkte hat das Netzwerk „Seebrücke“ extra am Sonntagnachmittag auf die nördliche Mainuferstraße in Frankfurt zwischen Eisernem Steg und Alter Brücke gemalt, um den Mindestabstand zu markieren. So entsteht eine lockere Menschenkette, die sich bis über die Alte Brücke ans südliche Mainufer zieht. Jeder Aktivist hält ein Plakat. „Solidarität hier und überall“. Oder: „Um Europa keine Mauer“. Denn mit der Aktion fordert das Netzwerk die sofortige Evakuierung der griechischen Flüchtlingslager. Doch die Polizei schreitet bei der Aktion gegen die europäische Flüchtlingspolitik ein, nimmt Personalien von Teilnehmern auf und leitet Ordnungswidrigkeitsverfahren ein. Zeitweise ist der Eiserne Steg gesperrt.

Corona-Pandemie - Versammlungen sind untersagt

In Zeiten der Corona-Pandemie sind Versammlungen untersagt. Für Christiane Jellonnek vom Netzwerk „Seebrücke“ ist die Aktion aber „ein individueller Protest in kollektiver Form“. Man wolle niemanden gefährden, die Regeln zum Infektionsschutz würden auf jeden Fall eingehalten. „Aber wir wollen zum Ausdruck bringen, dass es Menschen gibt, die nicht auf diese Abstände achten können.“ Etwa im Flüchtlingslager Moria auf der Insel Lesbos, das für 3000 Menschen ausgelegt sei, in dem aber nun 20 000 lebten. „Diese Lager müssen evakuiert werden, da können keine Hygienebedingungen eingehalten werden.“ Abstand halten zu können, sei ein Privileg, das nicht jeder habe.

Auch „Fridays for Future Frankfurt“ unterstützt den Aufruf der „Seebrücke“, der im Rahmen des bundesweiten Aktionstages #LeaveNoOneBehind stattfand. „Wir beteiligen uns an solidarischen Nachbarschaftsgruppen, denn eins war uns von Anfang an klar: Die Krise können wir nur gemeinschaftlich überwinden“, schreiben sie in einer Mitteilung. „Und unsere Solidarität darf nicht an den Landesgrenzen halt machen.“

Corona: Protest mit Mundschutz und Handschuhen

Die protestierenden Menschen tragen Mundschutz. Und Handschuhe. „Versammlungen von Menschen sind zurzeit unverantwortlich“, sagt eine Aktivistin durchs Megafon. „Aber nicht zu protestieren, ist es angesichts der humanitären Katastrophe auch.“ Aus den Fenstern am Mainkai gibt es dafür Applaus von den Anwohnern. Rund 400 Menschen haben laut Polizei in der lockeren Menschenkette zusammen protestiert. „Sie führen eine Versammlung durch, auch wenn Sie den Mindestabstand einhalten“, sagt die Polizei per Lautsprecher am Mainufer durch. Sie fordert die Menschen auf, die „verbotene Versammlung zu verlassen“.

Das tun die Menschen nicht. Eine Viertelstunde später kündigt die Polizei an: „Wir beginnen jetzt, Identitäten festzustellen und Ordnungswidrigkeiten zu ahnden.“ Zwei Minuten darauf wird der erste Aktivist zur Identitätskontrolle weggezogen. Kurz später drei weitere. Abstandsregeln kann nun niemand mehr einhalten.

Eskalation sorgt für Absperrung von Mainkai und Eisernem Steg 

Die Seebrücke löst die Aktion auf. Viele gehen, aber nicht alle. Mannschaftsbusse der Polizei rollen an. Polizisten überprüfen auch am südlichen Mainufer, auf der Alten Brücke und auf dem Eisernen Steg Identitäten oder führen Aktivisten zur Kontrolle ans nördliche Mainufer. Der Eiserne Steg und der Mainkai werden für kurze Zeit gesperrt. Für die Aktivisten der Seebrücke hat „allein die Polizei für eine Eskalation des friedlichen Protests gesorgt“, schreiben sie in einer Mitteilung. „Mehrere Festnahmen und zahlreiche Platzverweise wurden verteilt und damit das individuelle Recht auf Meinungsäußerung versagt.“ Zum Teil seien Protestierende gewaltsam von der Polizei festgehalten worden und die Personalienfeststellungen seien ohne nötigen Sicherheitsabstand oder Mundschutz erfolgt.

Laut einem Polizeisprecher hat es am nördlichen Mainufer keine Festnahmen, nur „freiheitsbeschränkende Maßnahmen zur Identitätskontrolle“ gegeben. Nach der Identitätsfeststellung seien die Menschen wieder entlassen worden.

Von Sandra Busch

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