Wunderbare Niederlage

Bob-Pilot Francesco Friedrich muss sich erstmals geschlagen geben – das hat ihn befreit.
Das Telefon hat Rene Spies am Ohr, und eigentlich macht der 49-Jährige gerade einen idyllischen Winterspaziergang. Aber in regelmäßigen Abständen hört es sich so an, als befinde er sich auf der Autobahn. Einmal pro Minute rast ein Bob am Bundestrainer vorbei, die Kufen krachen auf den Wellen der Natureisbahn in St. Moritz ganz schön. Dabei macht es geräuschetechnisch keinen Unterschied, ob ein Gerät jetzt 143 oder 147 km/h schnell ist. Ergebnistechnisch allerdings schon. Und genau um diese kleinen, aber feinen Details geht es am zweiten WM-Wochenende.
„Es ist viel drin – allerdings in jede Richtung“, sagt Spies und beruft sich dabei auf die Eindrücke der langen Trainingswoche. Sein Team ist im Soll, im Monobob der Frauen und im Zweierbob der Männer sahnte der BSD schon vier von sechs möglichen Medaillen ab, davon zweimal Gold. Dennoch ist ein Sieg in der Königsdisziplin, dem Vierer, natürlich angepeilt. Die Augen richten sich da freilich auf den Dominator, Francesco Friedrich, den Mann, der seit 2017 bei Großereignissen ungeschlagen war. Im Zweier musste der Doppel-Olympiasieger seinem Widersacher Johannes Lochner den Vortritt lassen. Er will daher gleich doppelt zeigen, dass er nach wie vor der Beste in dieser Sportart ist.
Wie beim FC Bayern
Wer erwartet hatte, dass Friedrich die Niederlage – oder anders gesagt: die Silbermedaille – traurig oder gar wütend hat werden lassen, wurde im Lauf der Woche eines Besseren belehrt. Man sah den Oberbärenburger am „Olympia Bob Run“ zwischen Celerina und St. Moritz bester Laune, gelöst, entspannt. Als „regelrecht befreit“ bezeichnet Spies die Gemütslage seines Vorzeige-Piloten – und gibt zu: „Hansis Sieg hat ihm eine echte Last genommen.“
Dass die Serie an WM- und Olympiasiegen nach sechs Jahren gerissen ist, sieht Spies daher sogar als positiv an. Ab sofort geht es wieder bei null los. Die Vorgabe bleibt dennoch gleich: „Wir müssen performen.“
Ein Vorhaben, das mit Blick auf die starke Konkurrenz kein Selbstläufer ist. Der Brite Brad Hall hat schon drei Viererrennen in der laufenden Saison gewonnen und die Deutschen zuletzt sogar auf der Heimbahn in Altenberg zweimal geschlagen. Und auch der Schweizer Michael Vogt gehört zu den Top-Favoriten. Spies geht von einem „harten Rennen“ aus, wenngleich der Ex-Pilot weiß, dass die neu gewonnene Spannung seiner Sportart nur guttut. Da verhält es sich ein bisschen wie beim FC Bayern München in der Fußball-Bundesliga: „Für uns ist es schön, wenn der Kampf eng ist. Aber ein Deutscher soll gewinnen.“
Friedrich, der seine Muskelverletzung auskuriert hat, gilt da als heißestes Eisen, weil Lochner traditionell im Zweier besser fährt. Dennoch ist nicht ausgeschlossen, dass der beflügelte Berchtesgadener wieder vier gute Läufe trifft. „Hansi macht’s grad einfach Spaß, das sieht man“, sagt Spies. Daher kann sich der Chefcoach auch nicht vorstellen, dass Lochner in St. Moritz seine letzte WM fährt. „Arbeiten“, sagt Spies, „kann er mit 50 auch noch“. Aber mit 143 – oder besser: 147 – Sachen wie ein Irrer die Bahn runterbrettern, geht halt nur jetzt.