Torhüter im Eishockey: „So lange wie möglich auf den Beinen bleiben“

Der Torwarttrainer Sebastian Elwing über die Geheimnisse auf der wichtigsten Position im Eishockey und die Fähigkeiten von Nationalkeeper Mathias Niederberger.
Die DEL-Playoffs waren voller Torwartgeschichten. Maxi Franzreb und Dustin Strahlmeier, die mit Bremerhaven und Wolfsburg den Meister München nervten, in Mannheim der Aufstieg des jungen Arno Tiefensee, in Ingolstadt trumpften Kevin Reich und nach ihm der unbekannte Jonas Stettmer auf. Und schließlich: Mathias Niederberger hielt im Finale mit München überragend. Wie sehen Sie das?
Im Eishockey spielen Torhüter generell eine große Rolle, jeder würde diese Position als die wichtigste bezeichnen, und das Schöne war, so viele Deutsche zu sehen in den Playoffs. Wobei die Arbeit auch vereinfacht werden kann, wenn die Vorderleute Optionen für den Torhüter wegnehmen und er sich auf eine Sache konzentrieren kann.
Die Verteidiger erleichtern ihrem Goalie die Arbeit, wenn sie ihm freie Sicht verschaffen?
Was der Torhüter sehen kann, kann er auch halten. Deswegen arbeite ich mit den Torhütern daran, dass sie ihr Körpergewicht leichter verlagern und die Scheibe schneller wieder sehen können.
Wie macht man sich leichter?
Es ist individuelle Arbeit, denn wir Menschen sehen nicht alle gleich aus. Angestrebt wird, was ich den ‚proper athletic stand‘ nenne, Hüfte und Rücken sollen frei sein. Dass der Torhüter natürlich spielen und so mit weniger Aufwand mehr erreichen kann, das ist meine Philosophie.
Torhüter sind heute Hünen, oft über 1,90 Meter – ausgenommen Mathias Niederberger mit seinen 1,80. Was bringt Größe?
Ein großer Torhüter deckt mehr Tor ab, ist aber manchmal behäbiger. Ein kleinerer Torhüter kann schneller sein, muss dafür aber mehr investieren, hat den höheren Kraftaufwand, um sich Sicht auf den Puck zu verschaffen.
Mathias Niederberger hatte im ersten Finale gegen Ingolstadt eine Phase von 18 Minuten, in denen kein Schuss auf sein Tor kam. Trotzdem empfand er es als anstrengend. Warum?
Ein Torhüter möchte immer das Gefühl haben, dass er im Spiel ist. Bekommt er längere Zeit keine Schüsse, ist es noch schwieriger, den Fokus zu behalten, die richtigen Dinge zu tun. Eine mental sehr hohe Beanspruchung. Und eine ganz hohe Kunst, sie zu bewältigen.
Was macht ein unbeschäftigter Torhüter?
Manche stellen sich visuell eine Situation vor, nehmen ihre Anpassung vor, machen einen Schritt, gehen kurz zum Pfosten. Ich weiß auch von Torhütern, die mit sich selbst sprechen und sich vorsagen, was sie tun. Oder sie achten auf die Scheibe im Drittel gegenüber so, als wäre sie im eigenen.
Das war nicht immer so, oder?
Das ganze Torwartspiel hat sich verändert wie das der Feldspieler. Die benutzen viel mehr Optionen als früher, alles geht schneller, und wer als Torhüter technisch kein guter Schlittschuhläufer ist im Torraum, der hat Probleme.
Es fallen weniger Tore durch Flachschüsse, heißt es. Verdienst der Torhüter, die mit ihren Beinschienen die Linie und die Ecken zumachen?
Durch das am Pfosten spielen, mit den Schienen unten, ja. Aber hohe Schüsse können reingehen. Die Kunst des Tormanns ist es, die Geduld zu haben, so lange wie möglich auf den Beinen zu bleiben. Stehe ich auf meinen Schlittschuhen, kann ich mich an jede Spielsituation anpassen – ein Riesenvorteil. Der erste Torwart, den ich bei den Eisbären Berlin trainierte, war Petri Vehanen, ein erfahrener und sehr guter Mann. Ich sagte zu ihm: Das ist das Einzige, was ich mit dir trainieren werde. Auch mit Mathias Niederberger habe ich daran gearbeitet und jetzt mit Tobias Ancicka.
Ist die größte Gefahr der abgefälschte Schuss?
Ja!
Zur Person
Sebastian Elwing stieg mit dem EHC München 2010 aus der zweiten Liga in die DEL auf. Mit warmem Herzen erinnert er sich an das erste „Halleluja“-Spiel in der großen Olympiahalle 2011 gegen Augsburg, beim 5:0-Sieg stand er im EHC-Tor. Mittlerweile arbeitet der 43-Jährige als Torwarttrainer bei den Eisbären Berlin und seit Neuestem auch bei der Nationalmannschaft, die am 9. Mai in München gegen die USA ihr letztes WM-Testspiel bestreitet. Ein Gespräch über die wichtigste Position im Eishockey – und über seinen Ex-Schützling Mathias Niederberger. gük
Und die Stürmer werden immer besser im Abfälschen?
Absolut. Wenn zum abgefälschten Schuss noch eine kurze Sichtbehinderung kommt, wird es für den Torwart schwer. Erfolgt ein kompletter Richtungswechsel des Pucks einen Meter vor ihm, womöglich noch von unten nach oben, hat der Torwart keine Möglichkeit mehr.
Was ist das beste Alter?
Da gibt es keine Formel. Es kann einer mit 22 schon beständig spielen, wenn er mit 17, 18 in die Profi-Mannschaft reinrutscht und ein sehr hohes Level an Athletik mitbringt. Erfahrung kommt einem zugute, man kann sie sich wie Maxi Franzreb auch in fünf Jahren DEL2 holen. Mit 26 hat man eine gute Mischung aus Erfahrung und Athletik, es gibt aber auch Torhüter, die mit 38 noch performen. Entscheidend ist: Welchen Preis ist man bereit zu zahlen, und bekommt man die Chance, immer wieder zu spielen – auch nach einem schlechten Spiel und wenn man jünger ist? Wobei man auch mit fünf Gegentreffern und nur 85 Prozent Fangquote nicht schlecht gewesen sein muss.
Ist Statistik eine Hilfe bei der Beurteilung?
Für mich eine sehr große. Ich mache meine eigene. Von wo die Tore fallen und wie. Ich habe neun Rubriken und die sind noch unterkategorisiert. Dazu kommt folgende Bewertung: A-Chance – unhaltbar. B – da muss eine Superparade her. C ist haltbar, D ein schlechtes Tor. Verbindet man die Statistik mit dem Video, erhält man einen guten Überblick – und weiß, woran man arbeiten kann.
Sie filmen den Torhüter bei jedem Spiel?
Ja, ich filme den Slot, den torgefährlichen Raum. Dazu hole ich mir die Bilder der Hintertorkamera. Ich sehe, wie der Torhüter sich bewegt und ob Schüsse abgefälscht waren.
Torhüter nehmen eine Sonderposition ein in der Mannschaft. Man wird es nicht erleben, dass ein Trainer seinen Goalie öffentlich kritisiert. Auch Don Jackson in München: Nutzte jede Gelegenheit, seinen Torhüter zu loben.
Ich hatte Don Jackson selbst als Trainer in Berlin, habe damals nicht viele Spiele gemacht, aber das Gefühl gehabt, ein Riesen-Part der Mannschaft zu sein. Wenn ein Cheftrainer was sagt, ist das was anderes, als wenn der Torwarttrainer es sagt. Darum lege ich Wert darauf, dass immer der Cheftrainer den Torhütern mitteilt, wer spielt.
Was zeichnet Mathias Niederberger aus? Feine Technik…
...und der Fleiß, jeden Tag besser zu werden. Er hat einen immens hohen Anspruch an sich selbst. Man muss die Erwartungen von ihm eher wegnehmen, weil sie eh schon sehr hoch sind. Das perfekte Spiel zu haben, das geht vielleicht beim Schach, doch unser Spiel ist dafür zu umfangreich. Mathias ist hochprofessionell und noch dazu ein liebenswerter Mensch. Ein Freund.
In der NHL spielen mit Philipp Grubauer und Thomas Greiss zwei deutsche Torhüter, doch aktuell man hat den Eindruck, dass Nordamerika weitaus mehr von den eigenen Leuten hält und sich mit deutschen Keepern schwertut.
Und dann kommen noch die Skandinavier dazu, die Tschechen, die Russen. Man muss halt sehen: Einige Nationen haben mehr Torhüter, sie bilden mehr aus als wir. Nicht alle Klubs in der DEL haben festangestellte Torwarttrainer. Wir machen gute Dinge, aber ich denke, es geht mehr.
Wann haben Sie in sich das Trainerinteresse entdeckt?
Früh. Als ich mit 20, 21 Profi wurde, bin ich schon mit Kindern aufs Eis gegangen. Und wenn ich bei den Profis nicht gespielt habe und auf der Bank gesessen bin, habe ich die anderen Torhüter analysiert. Ich bin nach meiner Karriere, die ich wegen Verletzung beenden musste, drei Jahre herumgereist, habe bei IFK Helsinki hospitiert, bei den Los Angeles Kings bei Torwarttrainer Bill Ranford – und will mein Wissen weitergeben.