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Surfen bei Olympia: Leon Glatzer tanzt auf dem Brett

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Von: Daniel Schmitt

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In seinem Element: Leon Glatzel.
In seinem Element: Leon Glatzel. © David Goldman/dpa

Leon Glatzer ist auf Hawaii geboren und in Costa Rica aufgewachsen, trotzdem sei er „more German than a Bratwurst“ – nun startet er als erster deutscher Surfer bei Olympia

Tokio – Eines Vormittags klopft es plötzlich an der Tür. Herein, bedeutet der Lehrer eher mürrisch, die Köpfe der Jungs und Mädels schnellen gespannt zur Seite, und herein tritt eine Frau. Mittleren Alters, gut gekleidet, freundlich dreinblickend, und dennoch irgendwie fehl am Platze. Ist ja schließlich gerade Schule. Also? Viele fragende Blicke – beim Lehrer, bei den Schülerinnen und Schülern, vor allem bei einem, 13 Jahre ist er alt, bald 14, ein fleißiger Bub, sportlich begabt noch dazu. In der Tür steht seine Mutter.

Katja Glatzer, die aus dem nordhessischen Kassel stammt und einst als Model arbeitete, hat es der Liebe wegen nach Costa Rica verschlagen, in die Hauptstadt San José, gelegen zwischen dem Talamanca-Gebirge im Süden und einer Vulkanlandschaft im Norden, weit weg vom Wasser, zu weit weg vom Sehnsuchtsort ihres Sohnes, der das Meer liebt, die Wellen, vor allem das Surfen. Leon Glatzer, der damals 13-Jährige, ist auf Hawaii geboren, das erste Mal aufs Surfbrett steigt er, als andere noch Schwimmen lernen. Mit vier Jahren nimmt ihn seine Mutter mit, zeigt ihm ihre Leidenschaft, das Brett und das Meer, nur ein paar Schrittchen darf er raus, nah am Strand, sicher ist sicher, er liebt es sofort. Dann, mittlerweile ist er acht Jahre alt, folgt der Umzug nach Costa Rica, ins Landesinnere, zwei, drei Stunden weg vom blauen Gold. Surfen ist jetzt fast ausschließlich in den Ferien möglich, ab und an mal an Wochenenden, aber selten. Bis zu diesem einen Vormittag.

Da steht die Frau Mama also in der Tür des Klassenraums und sagt: „Leon, lass deine Bücher und alles da, wir fahren an den Strand.“ Er sei völlig perplex gewesen, erzählte Leon Glatzer, heute 24, dem Magazin „GQ“, „aber ich bin mit ihr auf den Parkplatz und da stand ihr Auto zum Brechen voll gepackt – mit allen unseren Surfbrettern auf dem Dach und noch einem winzigen Platz für mich. Und so sind wir wieder zurück nach Pavones gezogen.“ Direkt ans Meer, ins Golfo Dulce, mitten hinein ins Surferparadies Costa Ricas. Das erste Mal auf dem Brett, „das war das beste Gefühl meines Lebens“, berichtet der große Glatzer dem Sportinformationsdienst über seine Erinnerungen an den kleinen Leon, „Ich habe zu Mama gesagt: Hey, ich will das mein ganzes Leben machen.“ In Pavones darf er es, mit 16 unterschreibt er schließlich seinen ersten Profivertrag.

Leon Glatzer bei Olympia: Sprünge als Spezialität

An diesem Wochenende tritt Leon Glatzer für Deutschland in Tokio an, der Wettbewerb im Wellenreiten ist das erste Mal olympisch, er ist einer von insgesamt 40 Glücklichen, die dabei sein dürfen - 20 Männer, 20 Frauen. Sein Ziel: eine Medaille. „Das ist schaffbar“, sagt er.

Leon Glatzer, der mit seinem braungebrannten Teint und den hellen Haaren das Klischee eines Surfers nahezu perfekt erfüllt, besitzt zwei Pässe, den US-amerikanischen und den Deutschen. Er spricht drei Sprachen: Englisch, Spanisch, Deutsch, und im Grunde noch eine vierte, Denglisch, die wohl am besten.

Ob er Schwierigkeiten mit der Identifikation zu Deutschland, der Heimat seiner Eltern, habe, wo er ja nie richtig gelebt hat, nur ab und an mal für kürze Zeiträume war, lautet eine häufig gestellte Frage. Nein, antwortet er klipp und klar, schließlich sei er „more German than a Bratwurst“.

Surfen ist erstmals im Programm bei Olympia

Mit seinem sieben Jahre jüngeren Bruder Sean, der ebenfalls Profisurfer werden will, teilt Leon Glatzer schon immer die Liebe zum Wasser, zum Surfbrett, zum Wellenreiten. Weil er das Spiel mit der Natur mag, das Risiko, den Nervenkitzel, „den Adrenalinrausch“. Und er liebte es, beim Surfen zu fliegen. Kaum ein Kontrahent kann höher mit seinem Brett in die Luft steigen, er gilt als Experte für die sogenannten Airs, wie die spektakulären Sprünge in Surferkreisen genannt werden. Sie sind seine Spezialität.

Die Olympischen Spiele, sagt er, seien schon immer sein Traum gewesen. „Aber ich wusste: In meiner Sportart geht das nicht.“ Als das Internationale Olympische Komitee 2016 entschied, Surfen für Tokio ins Programm zu nehmen, ist er elektrisiert. Sofort. Doch er muss sich erst qualifizieren, weil er nicht zu den Allerallerbesten auf der Welt gehört. Ein erster Anlauf 2019 scheitert, auch Surflegende Kelly Slater, der elfmalige Weltmeister, schafft es nicht.

Doch im Juni ergreift Glatzer, der jeden zweiten Tag in die Muckibude geht und nebenbei ganz gerne Motorcross fährt, seine letzte Chance, in El Salvador ergattert er in einem achttägigen „Marathon“ eines der fünf verbliebenen Tokio-Tickets. Sein Traum geht in Erfüllung. Als er völlig überwältigt aus dem Wasser steigt, kaputt und sichtlich berührt, dreht es ihm sofort den Magen um. Er habe „gekotzt, geheult und gelacht“, berichtet er: „Es war der beste Tag meines Lebens.“ (Daniel Schmitt)

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