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Zwei Meister an der Spree

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Wie in alten Zeiten, obwohl ein hartes Duell des Vereinsmarketings tobt und Union sich längst als Rivale von Hertha BSC etabliert hat.
Wie in alten Zeiten, obwohl ein hartes Duell des Vereinsmarketings tobt und Union sich längst als Rivale von Hertha BSC etabliert hat. © Matthias Kern

Vor der Wende fühlte man sich näher, danach hat sich die Zuneigung der Fans von Union und Hertha für den anderen Klub verflüchtigt. Vor dem Mauerfall erklang auf den Rängen oft der Schlachtruf: „Ha-Ho-He, es gibt nur zwei Meister an der Spree – Union und Hertha BSC!“

Von Michael Jahn

Vor wenigen Wochen musste Olaf Seier etwas tun, was er aus seinem alten Leben im Osten Berlins sehr gut kannte: Seier, 53, musste Schlange stehen. Und das an einem Ort, der ihm bestens vertraut ist. Der ehemalige Kapitän des 1. FC Union Berlin in den Achtzigerjahren, der einst 192 Spiele für die Köpenicker bestritt, reihte sich ein in die Endlosschlange der Fans, die an der Rückseite des Stadions an der Alten Försterei eine Karte für das Derby gegen Hertha BSC ergattern wollten.

Bis zu 500 Meter lang geriet der Auflauf der Anhänger. Nach nur sechs Stunden waren sämtliche Tickets vergriffen. Seier wurde von etlichen älteren Fans erkannt. Das schmeichelte ihm. „Du warst mal mein Idol!“ , rief ihm ein Anhänger zu und schlug Seier auf die Schulter. Der besitzt seit 2008 wegen seiner Verdienste um den Verein eine sogenannte Eisernen-Card, die ihm lebenslang eine Dauerkarte an der Alten Försterei sichert. Er sagt: „Die meisten Fans von Union bleiben das auch in ihrem gesamten Leben. Da gibt es eine unglaubliche Verbundenheit. Die Atmosphäre im Stadion ist sensationell. Ich fühle mich nach wie vor dort hingezogen.“

Abenteuer in Caracas

Seier trainiert die Mannschaft von Rotation Prenzlauer Berg, Kreisliga B, „mit einer schönen Kneipe nebenan“. Am 27. Januar 1990 führte er die Mannschaft des 1. FC Union, trainiert von Karsten Heine, zum ersten Mal in seinem Leben ins Berliner Olympiastadion. Im Wiedervereinigungsspiel, einer Partie voller großer Emotionen auf dem Rasen und vor allem auf den Rängen, trafen Seier und seine Teamkameraden auf Hertha BSC, eine Mannschaft, die Unions Spieler nur aus dem Westfernsehen kannten. „Ich war sehr aufgeregt und aufgewühlt“, erzählt Seier. Den Wimpel tauschte er damals vor 52?000 Zuschauern mit dem langen Dirk Greiser, Libero und Spielführer der Hertha. „Das war schon die Erfüllung eines Traums, das war unbeschreiblich.“

Doch der Freudentaumel legte sich recht schnell, wurde vom neuen, oft komplizierter gewordenen Alltag überstrahlt. Seier erging es wie vielen anderen Hauptdarstellern von damals, Kontakte zu Hertha sind nur wenige geblieben. Seier sagt: „Unser Trainer Heine bekam später recht schnell ein Angebot von Hertha, was er auch annahm. Und er wollte mich nach Charlottenburg holen, aber mir war die Sache damals zu heiß und zu unsicher. Ich wollte mit Union in den bezahlten Fußball.“

Greiser stieg 1990 mit Hertha in die Erste Bundesliga auf und schnell wieder ab. Nach einem Intermezzo in Wattenscheid musste er seine Karriere wegen einer Verletzung beenden. Seier wagte ein Abenteuer, spielte drei Jahre beim FC Caracas in Venezuela.

Heute arbeitet Greiser als erfolgreicher Rechtsanwalt in seiner eigenen Kanzlei in einer Seitenstraße des Kurfürstendamms. Seier ist noch immer ein ehrgeiziger Trainer.

Greiser und Seier haben sich erst 20 Jahre später wieder getroffen – 2010, als die ersten Derbys als Pflichtspiele in der Zweiten Bundesliga angesetzt waren (1:1 an der Alten Försterei, 2:1 für Union im Olympiastadion). Dass der eine so wenig vom anderen weiß in dieser großen Stadt, halten sie beide für normal, auch dass sich die Vereine, die sie repräsentierten, zu Rivalen entwickelt haben. „Es gibt eingefleischte Union- und eingefleischte Hertha-Fans, beide haben nichts miteinander zu tun“, glaubt Seier. Und Greiser, einst im Aufsichtsrat von Hertha BSC und zurzeit Berater des neu gewählten Präsidiums um den Unternehmer Werner Gegenbauer, sagt: „Das ist eine normale Rivalität geworden.“

Vor dem Mauerfall fühlte man sich näher

Vor 1989 besaß Union auch im Westen der Stadt große Sympathien, weil der Klub im Osten zu den Underdogs zählte und sich nie unterkriegen ließ. Früher, als man durch die Mauer noch getrennt lebte und spielte, fühlten sich beide Vereine näher, vor allem die Fans empfanden Zuneigung füreinander. Immer wieder reisten Hertha-Anhänger an die Alte Försterei, Union-Fans fuhren dagegen Hertha hinterher, wenn die im sozialistischen Ausland, in Prag oder in Plowdiw im Uefa-Cup antrat.

Auf den Rängen erklang oft der Schlachtruf: „Ha-Ho-He, es gibt nur zwei Meister an der Spree – Union und Hertha BSC!“ „Früher“, sagt Seier, „fand ich es klasse, wenn man auf den Traversen an der Alten Försterei Westberliner mit Hertha-Schal gesehen hat. Die haben uns angefeuert und sich danach für das getauschte Ost-Geld einen bunten Abend gemacht.“

Das ist längst Nostalgie. Dirk Zingler, der Union-Präsident, sagte einmal cool: „Hertha und Union sind zwei verschiedene Philosophien, zwei konträre Fußball-Produkte.“ Großes Interesse hat er für Hertha nie gezeigt, was umgekehrt auch für die führenden Köpfe von Hertha in Sachen Union gilt. Lange Zeit betrachteten sie bei Hertha den meist unterklassiger spielenden Konkurrenten als nur kleinen Mitbewerber auf dem Berliner Fußballmarkt, der kaum richtig gefährlich werden könnte im Rennen um die Gunst des Publikums.

Man nannte ihn geringschätzig einen „Berliner Vorortverein“ und sieht sich selbst als den einzigen wahren Hauptstadtklub, letzteres durch Zahlen untermauert: 30?000 Mitglieder, ein Zuschauerschnitt von 50?000, Fanklubs in allen Bezirken und im Umland, rund 16?000 Dauerkartenbesitzer.

Doch Union hat sich im Schatten von Hertha längst prächtig entwickelt im Südosten der Stadt und ist im Gegensatz zu Hertha nicht zwei Mal binnen zweier Jahre abgestiegen. Die Kurve – sportlich wie wirtschaftlich – zeigte zuletzt nur nach oben. Die Alte Försterei mit ihren neuen Tribünen steht als Symbol für den stetigen Aufschwung.

Stolzer Stadtmeister

Karsten Heine hat in den Beziehungen der beiden derzeit wichtigsten Berliner Fußball-Größen eine gewichtige Rolle gespielt. Der nun 57-Jährige war einst Spieler und später Trainer beim 1. FC Union, ehe er die Seiten wechselte. Seit vielen Jahren ist er für die Amateure der Hertha verantwortlich, und ab und an war er gar ein meist erfolgreicher Interimstrainer bei den Profis.

Doch den Traum vom Cheftrainer hat man ihm bei Hertha nicht erfüllt. Zuerst war es Bernd Stange, später Jürgen Röber und noch später Lucien Favre, die ihm vorgezogen wurden. Heine hat sich eingerichtet in seinem Job als Talentausbilder, er wohnt aber noch immer nur zehn Minuten von der Alten Försterei entfernt. „Union hat zuletzt eine fantastische Entwicklung genommen“, erkennt Heine neidlos an, „ohne Wenn und Aber.“ Er ist froh, dass es keine bösartige Rivalität der beiden Fangruppen mehr gibt.

Noch heute aber jubeln viele Unioner innerlich, wenn sie an den Sieg im Olympiastadion im Frühjahr 2011 denken. Ein Freistoß von Torsten Mattuschka brachte den 2:1-Sieg gegen Hertha BSC vor 74?000 Fans. Unions Fans erfanden schnell den Titel eines Stadtmeisters. Darauf sind sie bis heute stolz.

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