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„Wir haben noch einen weiten Weg vor uns“

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Jürgen Klinsmann will die USA noch stärker machen.
Jürgen Klinsmann will die USA noch stärker machen. © dpa

Vor dem Spiel der deutschen Fußball-Nationalmannschaft gegen die USA spricht deren Trainer Jürgen Klinsmann im Interview über seine Arbeit.

Am Sonntag trifft Jürgen Klinsmann als Trainer des US-Team in Washington auf seinen ehemaligen Assistenten Joachim Löw mit den DFB-Auswahl. Zuvor sprach der 48-jährige über seine Arbeit, die deutschen WM-Chancen 2014, Rückkehrpläne und den anstehenden Abschied von Michael Ballack

Herr Klinsmann, welche Bedeutung hat das Spiel am Sonntag gegen Deutschland für Sie und das US-Team?

Wir freuen uns ungemein auf dieses Spiel. Es ist unser 100-jähriges Jubiläum, es ist ein besonderes Spiel hier im Robert-F.-Kennedy-Stadion, das viel Geschichte hat. Wir freuen uns riesig, dass der DFB diese Reise macht nach einer langen Saison. Sportlich ist es für uns die Vorbereitung auf drei WM-Qualifikationsspiele. Wir haben gegen Belgien mit einem Kader gespielt, der nicht komplett war, einfach um ein bisschen in den Rhythmus zu kommen. Dementsprechend sah es aus (die USA unterlagen 2:4, die Red.). Wir sind auch realistisch genug, um zu sehen, woran wir noch arbeiten müssen. Wir wollen Deutschland Paroli bieten und zeigen, dass wir Fortschritte machen. Unser großes Ziel ist, irgendwann mal unter den Top 15 zu sein und den Großen auch mal über mehrere Spiele Paroli bieten zu können und nicht nur ab und zu mal.

Wie schätzen Sie die Situation für die deutsche Mannschaft mit Blick auf Brasilien 2014 ein? Ist der Titel ein Muss?

Ein Muss? Das kann man nur bei Brasilien sagen. Das ist in ihren Adern drin, dass sie im eigenen Land Weltmeister werden müssen. Ich habe aber die Hoffnung, dass Deutschland ganz vorn mit dabei ist. Ich freue mich riesig, welche Entwicklung im deutschen Fußball stattgefunden hat, sowohl in der Nationalmannschaft als auch im Vereinsfußball. Ein Champions-League-Finale zwischen Dortmund und Bayern, das ist einfach fantastisch. Und wenn ich jetzt die Nationalmannschaft sehe, die hier ist, ohne Bayern und Dortmunder, welche Tiefe der Jogi hat an jungen, hungrigen guten Spielern, darum beneidet uns die ganze Welt. Natürlich auch wir hier in den USA.

Wie ist ihr Verhältnis zu Joachim Löw heute?

Der Kontakt ist immer dagewesen über die Jahre, mal mehr, mal weniger. Wenn die Deutschen spielen, gehen immer ein paar SMS hin und her. Nachher werde ich mich noch mit ihm und seinem Stab verabreden. Das will ich mir nicht entgehen lassen. Wir haben auch jetzt schon ein paar Mal hin und her getextet. So ein Freundschaftsspiel ist von der Anspannung her natürlich etwas anderes, als wenn es jetzt ein WM-Spiel wäre. So ist es etwas relaxter. Ich glaube aber nicht, dass ich jubele, wenn die Deutschen ein Tor schießen.

Am 5. Juni beendet ihr damaliger Kapitän Michael Ballack mit einem Abschiedsspiel seine Karriere. Was löst das in Ihnen aus?

Ich wäre wahnsinnig gern dabei gewesen bei seinem Abschiedsspiel. Michael hat dieses Sommermärchen 2006 ganz entscheidend mitgeprägt. Er war meine rechte Hand und er war ein klasse Capitano. Ich freue mich sehr, dass er sich mit Stil verabschiedet, dieses Spiel macht und nicht leise von der Bühne geht, sondern noch mal ein kleines Ausrufezeichen setzt. Er war ein Weltklassespieler, ich wünsche ihm einen Super-Abschied und alles Gute für die Karriere. Wir gesagt, ich wäre gern dabei gewesen, aber wir spielen in Kingston auf Jamaika.

Was sagen Sie zu den Vorgängen beim DFB? Sportdirektor Robin Dutt ist gerade gegangen, Teammanager Oliver Bierhoff überlegt, zu gehen und Ex-Sportdirektor Sammer sagt, man brauche einen „guten Idioten“ für den Dutt-Job.

Das kann und möchte ich aus der Ferne nicht beurteilen. Ich denke, jeder Verein und jeder Verband bastelt sich seine eigene Struktur bestmöglich zusammen, je nachdem, welche Kompetenzen nötig sind und welche Persönlichkeiten dafür vorhanden und wie die Themen gelagert sind. Hier in den USA ist es so, dass ich alle Rollen besetzte. Ich bin auch Sportdirektor, Technischer Direktor, General-Manager. Ich habe weder den einen noch den anderen an meiner Seite, weil wir dafür nicht die Mittel haben. Ich mache das Bestmögliche daraus. Ich arbeite eng mit dem Chefausbilder der Trainer zusammen. Wir versuchen auch hier, eine Art Leistungszentrum aufzubauen. Wir haben über 80 Akademien aufgebaut, die nicht mehr auf Bezahlbasis arbeiten, sondern wo Verbandsgeld hineinfließt. Die Klubs der Major League Soccer habe sich verpflichtet, wie in Deutschland Nachwuchszentren zu unterhalten und Jugendabteilungen zu haben. Das ist ein großer Schritt, da sind wir viele, viele Jahre hinterher. Da mache ich mit, das macht Spaß.

Es kommen widersprüchliche Signale nach Europa: Mal wird ihr Arbeit gelobt, mal scharf kritisiert. Wie nehmen Sie das wahr?

Im Großen und Ganzen ist die Stimmung sehr positiv. Eigentlich sind wir realistisch, dass wir noch einen weiten Weg vor uns haben. Andererseits ist der Amerikaner bei allem, was er macht, nicht gerne Zweiter. Fußball ist der Sport, der sich am rasantesten entwickelt hier. Entsprechend wird auch die Medienlandschaft größer. Und dass in Europa der eine negative Artikel, der erscheint, stärker wahrgenommen wird als die zehn positiven - die Erfahrung habe ich über viele Jahre ja auch schon gemacht.

Schließen Sie eine Rückkehr nach Deutschland grundsätzlich aus?

Ich habe mir abgewöhnt, „nie“ zu sagen. Bei mir ist alles familienorientiert, und meine Familie fühlt sich nach dem Jahr in München zuhause in Kalifornien wieder sehr wohl. Der Junge ist jetzt 16 und geht in die High School, die Kleine ist 11. Für mich ist entscheidend, was das Beste für meine Familie ist. Aber im Fußball ist alles möglich, auch von heute auf morgen. Aber mittelfristig ist mein Ziel, jetzt hier mit den USA die Qualifikation zu schaffen und 2014 in Brasilien eine gute WM zu spielen. Was danach kommt, wissen wir nicht. Es sind schon die verrücktesten Sachen passiert im Fußball.

Aufgezeichnet von Christian Oeynhausen

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