Projekt Sehnsucht

Kurz vor Transferschluss herrscht mächtig Betrieb beim gut gelaunt nachtaktiven Hamburger SV.
Von JAN CHRISTIAN MÜLLER
Am Freitagabend verließen die meisten der mehr als 50 000 Hamburger Fußballfans das Stadion draußen im Volkspark ziemlich erschöpft. Sie hatten viele, sehr viele Nerven gelassen, aber das hatte sich gelohnt, und die meisten waren sich einig, beim 1:0 (1:0) gegen Bayern München eine der besten Leistungen des HSV seit 1983 gesehen zu haben, 1983, dem Jahr der letzten Meisterschaft, dem Jahr, nach dem sie sich unendlich zurücksehnen in Hamburg.
Während das Gros der Fans dann ein entspanntes freies Wochenende erlebte, hieß es in der ebenso umtriebigen wie gut gelaunten HSV-Chefetage: Antreten zum Einkaufen. Denn inzwischen hatte Mannschaftsarzt Oliver Dierk mittels einer Röntgenuntersuchung diagnostiziert, dass der nach einer guten Stunde mit starken Schmerzen im rechten Fuß ausgewechselte Innenverteidiger Bastian Reinhardt sich gegen die unglücklichen Bayern den Mittelfuß gebrochen hatte.
"Bastian wird voraussichtlich drei Monate ausfallen", teilte Dierk dem Sportdirektor Dietmar Beiersdorfer flugs mit. Und der wurde nachtaktiv, griff noch am Samstagabend zum Handy, um den alten Spezi Felix Magath anzurufen und auszuloten, ob sich ein Transfer von Wolfsburgs Stopper Alexander Madlung in die Tat umsetzen lassen ließe. Lässt sich nicht, wie der HSV dann erfahren musste. Denn über einen Verkauf des einmaligen Nationalspielers, an dem auch Hannover 96 Interesse bekundete, kann nicht Magath entscheiden, der den Verteidiger gegen entsprechendes Entgelt gerne los würde, sondern Madlung selbst, dessen Vertrag in Wolfsburg noch bis Saisonende läuft.
Madlungs Berater Uwe Kathmann jedenfalls stellte gestern auf FR-Anfrage klar, "dass der Spieler zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht wechseln wird, sondern erst zum Saisonende, wenn er ablösefrei ist". Offenbar sind Spieler und Berater "nach der Eskalation in den letzten zehn Tagen" (Kathmann) auch irritiert über die Art und Weise, wie unverhohlen Magath den Profi am Sonntagmorgen im DSF-Doppelpass noch einmal ins Schaufenster stellte.
Neves darf gehen
In Hamburg mussten sie am Sonntag außerdem diskutieren, wie im Fall des Brasilianers Thiago Neves verfahren wird. Der in der Hansestadt nicht glücklich gewordene vermeintliche van-der-Vaart-Ersatz steht auf dem Absprung, nachdem er aus Verärgerung über den vom HSV zunächst verhinderten Rücktransfer über Saudi-Arabien nach Brasilien am Freitag im Abschlusstraining betont lustlos aufgetreten sein soll und deshalb aus dem Kader gestrichen wurde.
Tendenz: Neves, um dessen Integration sich die Verantwortlichen vergeblich intensiv bemüht hatten, geht für sieben Millionen Euro und damit fast für die Summe, die er auch gekostet hat. Nach dem Venezuelaner Rincon kommt der Franzose Mikael Tavarez aus Prag und wohl auch Abwehrspieler Michael Gravgaard, dänischer Nationalspieler beim FC Nantes, als Reinhardt-Ersatz.
Anders als der HSV benötigen die Bayern auch nach der Ausleihe von Toni Kroos keine weiteren Ergänzungen. Kein Hamburger hätte sich beschweren dürfen, wenn die mächtig aufdrehenden Gäste am Freitag noch den Ausgleich geschafft hätten. "Wenn wir unsere Leistung abrufen", ist sich Nationalspieler Philipp Lahm also ganz sicher, "kann uns in der Bundesliga niemand das Wasser reichen". Freilich hätten sie in Hamburg in der ersten Halbzeit ihre Leistung eben nicht abgerufen, "wir haben zum Teil geschlafen, und wenn wir das künftig nicht mehr tun, werde wir ganz klar Meister". Neben dem HSV erwartet der selbstbewusste Lahm noch Bayer Leverkusen als halbwegs ernsthaften Titelkonkurrenten, nicht aber die Jungs von der TSG Hoffenheim, "weil die zu wenig Erfahrung haben".