Das Oster-Wunder von Manchester

Für Sir Alex Ferguson kommt das Gerücht von Rooneys Blitzheilung für das Champions-League-Rückspiel gegen Bayern sehr gelegen. Den Gegner zu desinformieren, ist eine uralte Lieblingstaktik des ManU-Coachs. Von Raphael Honigstein
Von Raphael Honigstein
Fußball-Vergleiche von Politikern hinken oft schlimmer als ein verletzter Mittelstürmer auf Krücken, aber auch noch das Timing derart zu vermasseln, war schon ein Kunststück. Premierminister Gordon Brown erklärte, die britische Wirtschaft brauche wie Wayne Rooneys lädierter Knöchel noch Zeit und "reichlich Unterstützung, um wieder fit zu werden" - just an jenem Ostermontag, an dem englische Gazetten von der wundersamen Heilung des 24-Jährigen Man-United-Heilands berichteten. "Rooney steht vor einer sensationellen Rückkehr gegen Bayern München", berichtete unter anderem der Mirror. Der in München unglücklich umgeknickte Nationalspieler habe so große Fortschritte gemacht, dass ihm Klubärzte für Mittwochabend eine Einsatzchance von 40 Prozent einräumten.
Auch wenn Rooney am Samstag noch Schutzschuh trug, als er im Old Trafford mit ansah, wie sein Team 1:2 gegen Chelsea verlor: Als Ente lässt sich die Meldung nicht abtun. Die Old-Trafford-Mediziner hatten das Bulletin zwar anonym, aber sicher nicht ohne das Einverständnis von Sir Alex Ferguson herausgegeben. Bei United bestimmt der 68-jährige Autokrat aus Glasgow selbst die Schuhfarben der Jugendspieler.
Den Gegner mit gezielter Desinformation zum Nachdenken zu bringen, ist eine uralte Lieblingstaktik des Trainer-Routiniers. Und das Englands nationales Interesse betreffende Thema lenkte von Uniteds entmutigender Leistung im Titelduell ab. Die Roten Teufel waren mit den Veteranen Ryan Giggs und Paul Scholes in die Partie gestartet, die statt ihrer großen Erfahrung nur Bewegungsarmut einbrachten; Chelsea, das mit Joe Cole und dem Portugiesen Deco im Mittelfeld ungewöhnlich offensiv aufgestellt war, bestimmte das Match vor allem in der ersten Halbzeit nach Belieben.
Dass Didier Drogba zum zweiten, entscheidenden Treffer für die Gäste aus klarer Abseitsposition traf, gab Ferguson Gelegenheit, die Diskussion in Richtung der Unparteiischen zu leiten: "In so einem wichtigen Spiel braucht man gute Schiedsrichter, wir hatten heute keine." Das Manöver mkisslang. "Der Versuch, die Defizite seines Teams zu überspielen, überzeugte niemanden außerhalb der Manchester-United-Familie und wahrscheinlich auch nur einen kleinen Teil der Familienmitglieder", schrieb die Times.
Kapitän Gary Neville ließ Müdigkeit nicht als Entschuldigung gelten: "Wir sind den Rhythmus gewohnt und haben einen großen Kader." Auch der Rechtsverteidiger selbst war gegen Chelsea nicht auf der Höhe. Ferguson dürfte versucht sein, ihm am Mittwoch den Brasilianer Rafael vorzuziehen. Michael Carrick und Nani werden wohl in die Startelf zurückkehren. Im Sturm aber gibt es, so lange Rooneys Schutzschuh drückt, die größten Probleme. Dimitar Berbatow konnte gegen Chelsea seine Chance nicht nutzen. "Berbatow ist nicht Rooney und United ist ohne Rooney nicht dasselbe Team", sagte Chelsea-Trainer Carlo Ancelotti.
Man darf gespannt sein, was Ferguson in der Pressekonferenz am Dienstag zu Rooneys Genesung sagen wird. Vor der Niederlage gegen die Londoner hatte der Schotte noch über die Panik im Land geschmunzelt: "Ich habe gehört, dass die Buchmacher 66 zu eins für einen WM-Sieg Englands ohne Rooney anbieten. Das wundert mich: War die Quote vorher so viel besser? 66 zu eins erscheint mir fair." Wie hoch er die Chancen fürs Weiterkommen in der Champions League ohne seinen Talisman einschätzt, verriet Sir Alex nicht. Vielleicht weiß sein Landsmann Gordon Brown aus Giffnock, Renfrewshire, mehr.