Mit dem Kopf bei der Sache

Den deutschen Volleyballern rund um Kapitän Andrae gelingt der Ausstieg aus der Abwärtsspirale. Nach klaren Niederlagen gegen Russland und die USA wurde das Team schon als "Olympiatouristen" bezeichnet. Dies hat sich nun geändert.
Von Jörg Winterfeldt
Es braucht eine gewisse Größe für die Rolle. Zwar ist Björn Andrae der Kapitän der deutschen Volleyball-Nationalmannschaft, aber zuletzt musste er seine Führungsaufgaben häufig von der Seite des Feldes verrichten. Der erst im Frühjahr verpflichtete Nationaltrainer, der Belgier Vital Heynen, baut im Außenangriff, wenn es in London darauf ankommt, vorzugsweise auf Marcus Popp und Denis Kaliberda. „Meine Aufgabe als Kapitän ist es, Ruhe auszustrahlen, Sicherheit zu geben“, sagt Andrae, 31, „ich kenne viele Spieler schon seit Jahren, ich weiß wie sie ticken.“
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Gegen Brasilien am Montag hat er auch auf dem Feld mal wieder beweisen dürfen, was er kann, beim 0:3 gegen Brasilien, den Weltmeister, war Andrae erfolgreichster deutscher Punktesammler. Die Niederlage war eingeplant, Heynen schonte neben Popp und Kaliberda auch seinen gefährlichsten Angreifer Georg Grozer für die wichtige Phase des Turniers: Erstmals seit 1972, als die DDR in München Silber gewann, gelang es Andrae und den Kollegen, sich als deutsche Volleyballmannschaft für das olympische Viertelfinale zu qualifizieren. Heute Abend wartet dort Bulgarien, ein Team, gegen das die Deutschen nach drei Siegen bei drei Niederlagen zuletzt durchaus ihre Chance wittern. „Aber“, mahnte Andrae, „es wäre fast frech, jetzt schon von einer Medaille zu sprechen.“
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Dennoch strahlt das Team Zuversicht aus. Nach klaren Niederlagen gegen Russland und die USA wähnten sich die Volleyballer in einem verhängnisvollen Trend wie in Peking vor vier Jahren, als die Vorrunde das Ausscheiden brachte. Auch Trainer Heynen baute vor, indem er einräumte, dass er Rückschläge erwartet habe. Doch mit Siegen in den Spielen gegen Tunesien und Serbien gelang den Deutschen der Ausstieg aus der Abwärtsspirale noch im Turnier und die Qualifikation für K. o.-Spiele noch vor der Brasilien-Partie. „Es gab ja Leute, die uns Olympiatouristen genannt haben“, sagte Heynen, „für Olympiatouristen ist das Viertelfinale gar nicht so schlecht.“
Neben Heynens taktischen Lehren helfen die Olympia-Erfahrungen
Das Erfolgsrezept besteht aus zwei Faktoren: „Vital hat viele neue Ideen reingebracht, seine eigene Spielweise, wir spielen nicht mehr dieses Harakiri“, sagt Andrae, „deswegen sind wir für den Gegner unangenehmer: Man spielt aus einem guten Block und sicheren Feldverteidigung mit und hält den Ball im Spiel, um den Gegner zu ärgern. Außerdem werden alle zwölf Spieler eingesetzt, was uns unberechenbarer macht.“ Neben Heynens taktischen Lehren helfen die Olympia-Erfahrungen: „In Peking sind wir angereist und jeder wollte so schnell wie möglich alles ansehen, alles aufsaugen, aber der Konzentration hilft es nicht sehr, wenn jeder durchs Dorf rennt, versucht Autogramme zu kriegen und Fotos zu schießen“, sagt Andrae, „deswegen haben wir dieses Mal versucht, Regeln aufzustellen, die Mannschaft ist viel mehr mit dem Kopf mehr bei der Sache.“
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Hinzu kommt die Erfahrung, die Routiniers wie der Berliner Andrae inzwischen einbringen können. Mit 18 wechselte er nach Friedrichshafen und ließ bald das Sozialpädagogikstudium sausen, um sich auf Volleyball zu konzentrieren. Fast zehn Jahre lang ist er zuletzt durch die besten europäischen Ligen getingelt. „Bei den Russen wird nur draufgehauen, mit roher Gewalt, nicht mit taktischen Finessen und kurzen Bällen. Als ich in Italien war, war ich sehr jung; es war damals das Land des Volleyballs und sehr professionell: Wenn beim Training selbst kleinste Dinge nicht richtig gemacht wurden, kam ein Anrümpler nicht vom Trainer, sondern vom Mitspieler“, sagt Andrae, „in Polen lernst Du vor unglaublicher Kulisse zu spielen, weil’s ein Land ist, das für Volleyball lebt, und in Griechenland lernst du zu spielen, obwohl dir Kaffeebecher und Geldstücke um die Ohren fliegen – das Pokalfinale wurde abgebrochen, wegen einer Schlägerei in der Halle.“
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Die Jahre waren nicht nur lehrreich, sondern auch lukrativ. Während Spitzenvolleyballer in Deutschland kaum über 80?000 Euro Jahresgehalt kommen, werden in der besten Liga der Welt, der russischen, Summen bis zu 400?000 Euro pro Saison gezahlt. Andrae hat seinen Vertrag in Russland um ein Jahr verlängert. „Ich genieße das Leben, aber ich bin keiner, der sich 33 Autos und immer die teuerste Uhr zulegt“, sagt Andrae, „ich habe mit 30 Jahren mein erstes Auto, einen BMW X6 gekauft, meine teuerste Anschaffung nach meinem Grundstück in Kaulsdorf, wo ich irgendwann mein Haus bauen will, weil meine ganze Familie von der Oma bis zum Cousin in Berlin lebt – es ist eine schöne Gegend, da kommst Du auch mit ’nem Trabant hin, aber ich hab’s gern bequemer.“