"Ein Endspiel für Klinsmann"

DFB-Boss Zwanziger lobt das System des Ex-Teamchefs. Seit 2004 arbeite man nach dem Modell Klinsmann; eine Abkehr davon sei mit ihm als Präsidenten auch nicht zu machen.
Herr Dr. Zwanziger, Küsschen links, Küsschen rechts - wird Ihre Frau nicht eifersüchtig, wenn sie Sie mit der Bundeskanzlerin turteln sieht?
(lacht) Wir sind schon so lange zusammen, meine Frau und ich. Sie weiß, dass ich Frau Merkel sehr verehre. Wir freuen uns gemeinsam darüber, dass die Kanzlerin regelmäßig bei der Nationalmannschaft zuschaut.
Klopfen Sie sich auch mal gegenseitig auf die Oberschenkel?
Meine Frau und ich?
Nein, Sie und die Kanzlerin?
Nein, nein. Aber die Gespräche mit ihr sind wirklich interessant. Sie ist sehr wissbegierig. Sie fragt nach jedem Spieler. Mittlerweile hat sie richtig Ahnung und eine klare Meinung.
Dann sind Sie und die Kanzlerin sich sicher einig, dass wir am Sonntag eine große Abreibung von den Spaniern fürchten müssen?
Nein. Bei allem Respekt für den spanischen Fußball: Ich sehe unsere Mannschaft lieber gegen die Spanier als gegen die Russen. Der spanische Fußball ist besser auszurechnen. Er ähnelt dem portugiesischen, mit dem wir ja sehr gut klar gekommen sind. Unsere Mannschaft hat in diesem Turnier schon alles erlebt, die Spanier noch nicht. Das sehe ich als großen Vorteil an.
Die deutsche Mannschaft hat sich nach Einschätzung einiger Fachleute ins Finale gerumpelt. Sehen Sie das auch so?
Es ist immer die Frage: Wo lege ich die Maßstäbe an?
Joachim Löw hat sie sehr hoch gelegt!
Wir waren beim letzten Mal Weltmeister der Herzen. Ich würde mich freuen, wenn wir diesmal Europameister werden würden ohne einen Zusatztitel.
Die Welt redet jetzt wieder von den deutschen Tugenden. Wie gefällt Ihnen das?
Die deutschen Tugenden sind ja nichts schlechtes. Fleiß, Ehrgeiz, Pünktlichkeit...
... pünktlich in der 90. Minute...?
(lacht)... na ja, Pünktlichkeit ist im Fußball auch wichtig, aber am wichtigsten sind Tore und unbedingter Siegeswille, eben nicht liegen bleiben, wenn es mal nicht so läuft. Zudem wollen wir natürlich attraktiv und auf hohem Niveau spielen. Ich räume ein, dass das bei dieser EM nicht immer gelungen ist. Das hat ja jeder gesehen. Sicher werden wir in Zukunft nicht brasilianisch spielen. Aber wir wollen künftig, auch dank unserer immer intensiveren Jugendarbeit, attraktiven Fußball bieten.
Woran lag es, dass das bei dieser EM so selten gelungen ist?
Wir haben die Dominanz im Mittelfeld nicht herstellen können, die wir für unser Spiel brauchen. Gegen die kleinen, wendigen Türken war die Balleroberung mangelhaft. Dann kannst du auch nicht attraktiv spielen. Folglich kamen viel zu viele Pässe im Niemandsland an. Die großen Schlachten werden im Mittelfeld gewonnen oder verloren. Also: Zwischen Rumpelfußball und attraktivem Offensivfußball liegen manchmal gar keine Welten, sondern nur kleine Unebenheiten. Seien Sie ein bisschen gnädig mit unserer Mannschaft. Ich bin stolz auf ihre Leistung bei dieser EM.
Wäre bei einem Aus in der Vorrunde das gesamte Konzept in Frage gestellt worden?
Das Konzept kann mit mir nicht in Frage gestellt werden. Weil ich aus der Erfahrung der vergangenen zehn Jahre, seit ich den deutschen Fußball in DFB-Verantwortung ganz genau beobachte, davon überzeugt bin, dass dieses Konzept genau das richtige ist. Wir haben in den 90er-Jahren geglaubt, Deutschland wäre durch die Wiedervereinigung auf Jahre hinaus unschlagbar, doch dann haben wir gemerkt, dass wir eine ganze Zeit geschlafen haben. Wir haben die Nachwuchsförderung umgestellt, und dann gab es von 2004 an das Modell Klinsmann.
Was beinhaltet dieses Modell?
Es bedeutet, dass man sich auf die Nationalmannschaft als eine Elite-Truppe ausrichtet und fokussiert. Dass man nicht nur sagt, wir brauchen diese Nationalmannschaft und wir benutzen sie, sondern dass wir auch in diese Nationalmannschaft investieren. Investieren nicht nur wirtschaftlich, sondern insbesondere, was die geistige und intellektuelle Fokussierung auf diese Mannschaft angeht. Alle, die im Fußball mitwirken, müssen wissen: Hast du Erfolg mit der Nationalmannschaft, hast du auch Erfolg in der Breite. Funktioniert es nicht, hat man Misserfolg in allen anderen Bereichen. Dieses System ist mit mir nicht zu ändern.
Sind die handelnden Personen denn austauschbar?
Joachim Löw macht das so, wie wir uns das wünschen, und er wird es so lange machen, wie er es selbst will.
Löw hatte sich nach Kroatien-Spiel mit Rücktrittgedanken getragen, die er aber sofort wieder verdrängt hat. Sie sagten, Sie hätten einen Rücktritt ohnehin verhindern wollen. Wie hätten Sie das gemacht?
Ich hätte gesagt: "Lieber Joachim Löw, schlafen Sie darüber. Ich werde diese emotionale Reaktion so jetzt nicht akzeptieren. Analysieren Sie in Ruhe, woran es gelegen hat. Wenn Sie dann zu dem Ergebnis kommen, dass es an Ihnen liegt, okay, dann kann ich Sie nicht halten." Ich hätte ihm aber auch Argumente geliefert, warum er weiterhin der Richtige ist und hätte ihm die Entscheidung sehr, sehr schwer gemacht.
In Deutschland wird gefeiert, dass sich die Balken biegen, die Presse nörgelt. Wie erklären Sie sich die unterschiedliche Wahrnehmung in der öffentlichen und in der veröffentlichten Meinung?
Der Erfolg ist der wichtigste Gradmesser. Die Leute wollen Spaß, den haben sie mit einem dramatischen Sieg im Halbfinale, aber auch gegen Polen, Österreich und Portugal erlebt. Ich habe aber auch Verständnis für die Journalisten, die alles etwas kritischer sehen. Ich bin durchaus einverstanden, wenn die Journalisten nicht in Erfolgseuphorie verfallen.
Das Team ist hier im Tessin als Geistermannschaft wahrgenommen worden. Sie sprechen von Integration, die sich im kleinen Leben abspielen müsse. Davon hat man hier rein gar nichts gesehen. Finden Sie das nicht auch ein bisschen traurig?
Das hängt mit dem System Klinsmann zusammen. Natürlich kannst du diese Mannschaft für alles benutzen: Du kannst sie jeden Tag in die Schulen schicken oder auf die Fanmeilen, du kannst sie ständig den Sponsoren zur Verfügung stellen. Aber es gibt Zeiten für das eine und es gibt Zeiten für das andere. Derzeit gilt es ausschließlich, sich auf das Ziel Titelgewinn zu konzentrieren. Ich habe Oliver Bierhoff auch gesagt: Im Moment gilt kein Ablenkungsmanöver. Wir werden aber daran arbeiten, dass die Spieler auch wieder zu den Menschen kommen. Nach dieser EM.
Sie haben jetzt oft von Klinsmann gesprochen. Hat er die Einladung zum Finale eigentlich angenommen?
Ja, und ich freue mich riesig darüber. Ich sage in aller Deutlichkeit: Dieses Endspiel ist auch ein Endspiel für Jürgen Klinsmann.
Haben Sie einen neuen Trend bei dieser EM ausgemacht?
Mir ist aufgefallen, dass es mehr Klassespieler gibt als früher. Da gab es insgesamt zwei, drei Stars. Jetzt hast du zwei, drei Stars fast in jeder Mannschaft. Leute, die sogar die Bezeichnung Superstar verdienen
Welches sind Ihre Superstars in der deutschen Mannschaft?
Die Rolle von Schweinsteiger und Podolski ist phänomenal. Ich frage mich, wo der Schweini diesen riesigen Hut eigentlich her hatte. Und wie der Poldi in die Fans hineinspringt, das ist lobenswert. Die beiden haben eine unheimliche Ausstrahlung auf die Menschen. Und Philipp Lahm. Wie er nach zwei weniger guten Aktionen dieses Tor gegen die Türkei schießt: ganz stark. Und natürlich Michael Ballack. Was er abläuft, wie er die Mannschaft führen will, er zieht den Ball ja regelrecht an. Er ist eine Figur, an der die anderen sich aufrichten können. Und dann Miro Klose: Was der arme Kerl geackert hat in den letzten Spielen. Und dann war er mit dem Kopf da, als er da sein musste. Genau in der richtigen Sekunde.
Was hat Ihnen nicht gefallen?
Die Entscheidung gegen Joachim Löw, der gegen Portugal von der Uefa gesperrt wurde und deshalb nicht auf der Trainerbank sitzen durfte. Wir müssen darauf achten, dass die Funktionäre ja eigentlich nur für das Spiel da sind. Dass sie nur eine dienende Funktion haben.
Interview: Jan Christian Müller