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„Wie können Sie damit schlafen?“ Scharfe Kritik für mögliche russische Olympia-Rückkehr

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Von: Stefan Schmid

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Russische Sportler werden wohl auf die breite internationale Sportbühne zurückkehren. Dafür muss IOC-Präsident Thomas Bach Kritik einstecken – auch vom DOSB.

Frankfurt/Essen - Das Internationale Olympische Komitee (IOC) will zeitnah die Weichen auf eine Rückkehr russischer und belarussischer Sportler stellen, damit diese an den Olympischen Spielen 2024 in Paris teilnehmen können. Kritik daran gibt es unter anderem vom Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB), der sich offen gegen die Linie des IOC stellt. Eine vom IOC-Präsidenten Thomas Bach auf der Veranstaltung „Olympia im Spannungsfeld von Sport und Politik“ vorgetragene Argumentationslinie für die Rückkehr russischer Sportler scheitert hingegen bereits an der Realität.

Thomas Bach
Geboren am 29. Dezember 1953 (Alter 69 Jahre) in Würzburg
Seit September 2013 IOC-Präsident
Ehemaliger Fechter: Eine Goldmedaille bei Olympischen Spielen (1976 in Montreal)

„Kein Platz für Mörder“: Bach von 150 Demonstrierenden empfangen

Thomas Bach und das IOC scheinen die erste Entscheidung bereits getroffen zu haben: Russische und belarussische Sportler werden wieder zu internationalen Wettbewerben zugelassen werden. Und so ging es aus Sicht des Funktionärs in der Essener Philharmonie beim Thema „Olympia im Spannungsfeld von Sport und Politik“ nicht um das Ob, sondern um das Wie. Ganz anders hingegen die Stimmung bei den 150 Demonstrierenden, die Bach am Mittwochabend vor der Veranstaltung empfingen.

Auf Plakaten und Bannern machten die Protestierenden, darunter Geflüchtete aus der Ukraine und aktive Sportler, ihren Unmut Luft. „Kein Platz für Mörder“ war unter anderem zu lesen. Auch auf die umstrittene Entscheidung des Fecht-Weltverbandes, russische Sportler international wieder antreten zu lassen, wurde aufgegriffen: Scheinbar mit Blut befleckte Fechtmasken wurde auf den Boden platziert. „Wie können Sie damit schlafen?“, fragte der polnischen Generalkonsuls Jakub Wawrzyniak während der Veranstaltung – ohne eine adäquate Antwort zu erhalten.

Proteste gegen Thomas Bach und das IOC vor der Philharmonie Essen.
Proteste gegen Thomas Bach und das IOC vor der Philharmonie Essen. © Twitter/@ccNRWdoyen und Twitter/@SwissMari

Thomas Bach sieht im Ausschluss Russlands „Verfall des internationalen Sportsystems“

Schon am 28. März will das IOC-Exekutivkomitee in Lausanne die Eckpunkte beschließen, mit denen die Teilnahme von russischen und belarussischen Athleten einhergehen soll. „Ich bin zuversichtlich, dass wir dann mit entsprechenden Leitlinien kommen werden“, so Thomas Bach zu bevorstehenden Sitzung. Diese Leitlinien dürften sich wohl wenig zu den Punkten in einem Ende Januar veröffentlichten Statement des IOC unterscheiden: Teilnahme unter neutraler Fahne, keine aktive Unterstützung des Ukraine-Kriegs, vollständiges Bekenntnis zur olympischen Charta.

Teil der Charta ist das Verbot politischer Statements „in den olympischen Stätten, Austragungsorten oder anderen Bereichen“ (Regel 50.2). Darauf beruft sich auch Thomas Bach, wenn er eine strenge Trennung von Politik und Sport fordert. „Wenn wir einen Ausschluss nach politischen Gesichtspunkten vornehmen, stehen wir vor einem Verfall des internationalen Sportsystems“, so der IOC-Präsident.

Thomas Bach sieht sich Kritik aufgrund seiner Haltung zur Rückkehr russischer und belarussischer Sportler zu internationalen Wettbewerben ausgesetzt.
Thomas Bach sieht sich Kritik aufgrund seiner Haltung zur Rückkehr russischer und belarussischer Sportler zu internationalen Wettbewerben ausgesetzt. © IMAGO/SNA und Twitter/@SwissMar

Deutsche Verbände stellen sich gegen das IOC

Die Argumentation des IOC basiert in erster Linie darauf, dass der Ausschluss der russischen und belarussischen Sportler aufgrund ihrer Nationalität diskriminierendes Handeln sei. Unterstützt wird dies vom Zuspruch zweier Expertinnen der Vereinten Nationen. Die Griechin Alexandra Xanthaki, Sonderberichterstatterin für kulturelle Rechte, und die Inderin Ashwini K.P., Sonderberichterstatterin für zeitgenössische Formen von Rassismus, unterstützen den Vorstoß des IOC, die Athleten unter neutraler Fahne wieder zuzulassen.

Auf der Gegenseite positioniert sich der DOSB, der seinerseits ein Rechtsgutachten in Auftrag gegeben hat. Nach diesem ist der Ausschluss russischer Sportler trotz der Ungleichbehandlung aufgrund von Nationalität „nicht als Verstoß gegen internationale Diskriminierungsverbote zu klassifizieren und somit zulässig“. Maximilian Klein von der Interessenvertretung Athleten Deutschland fordert vom IOC, sich dem Gutachten anzuschließen: „Vom IOC erwarten wir, die Empfehlungen zum Ausschluss Russlands im Weltsport aufrechtzuerhalten.“

Bach irrt mit scheinbar positivem Tennis-Beispiel

Thomas Bach selbst sorgt in Essen dann noch für ein Kuriosum, an dessen Anfang entweder Uninformiertheit oder absichtliches Verdrehen der Tatsachen zu stehen scheint. Am Beispiel der Tennis-Wettbewerbe, so Bach, könne man sehen, dass das Verhältnis zwischen Athleten aus der Ukraine, Russland und Belarus in bester Ordnung sei. Dass dem nicht so ist, zeigen aber eine Vielzahl von jüngeren Beispielen.

Als leuchtendes Beispiel stellte Bach das WTA-Final-Match in Austin zwischen der Ukrainerin Marta Kostyuk und der Russin Varvara Gracheva dar. Dass im Anschluss daran Kostyuk weinend zusammenbrach, war nicht Teil seiner Ausführungen. Ihre Landsfrau Lessja Zurenko trat gegen die Belarussin Aryna Sabalenka aufgrund einer Panikattacke gar nicht erst an. Die Russin Anastassja Potapowa hingegen provozierte im Trikot des Fußballklubs Spartak Moskau. (dpa/sch)

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