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„Das ist schon krass"

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Von: Jörg Hanau

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Ein Heimspiel auf dem Rad für John Degenkolb. Foto: dpa
Ein Heimspiel auf dem Rad für John Degenkolb. © dpa

Vor zehn Jahren gewann John Degenkolb die 50. Auflage des Frankfurter Radklassikers -am Sonntag soll der nächste Jubiläumssieg her.

Die zurückliegenden Monate liefen nicht wirklich rund für John Degenkolb. Der Radprofi aus dem hessischen Oberursel nennt es selbst ein „durchwachsenes Jahr“. Allerdings eines mit mehr Tiefen als Höhen.

Rückblende: Sein Team Lotto-Soudal nominierte den 32 Jahre alten Klassikerjäger im Sommer nicht für die Tour de France. Das schmerzt einen wie Degenkolb. Schlimmer noch: In dieser Saison fehlt ihm gar noch ein Erfolgserlebnis: „Ich habe noch kein Rennen gewonnen, das ist mir noch nie passiert als Profi seit 2011.“ Das soll, das kann sich in den nächsten Wochen aber noch ändern.

John Degenkolb ist voll im Saft, auch wenn die vergangenen Monate viel Kraft gekostet hätten, wirkt er austrainiert und bereit. Die Weichen seien gestellt, hat er nach der Deutschland-Tour Ende August gesagt. Der Herbst könne kommen. Und der hat es wahrlich in sich.

Vier Rennen stehen noch auf Degenkolbs Rennzettel: Am Sonntag wird er bei seinem auf den 19. September verschobenen Heimrennen Eschborn - Frankfurt an den Start gehen. Es folgen die Straßen-Weltmeisterschaft in Flandern, sein Lieblingsklassiker Paris - Roubaix (3. Oktober) und Paris - Tours (10. Oktober). Bis auf die WM konnte er all diese Rennen schon gewinnen. Er kennt also diesen süßen Geschmack des Triumphs, nach dem alle süchtig sind.

Vor allem das Regenbogentrikot fehlt ihm aber noch in seiner gut bestückten Trophäensammlung. Allerdings blickt Degenkolb ganz realistisch nach Belgien. „Ich fahre als Unterstützer von Nils Politt zur WM." Der Sieger der Deutschland-Rundfahrt sei in herausragender Form: „Er fährt wie ein Moped.“ Für Degenkolb ist daher klar: „Für Deutschland kann es nur einen Kapitän geben - und das ist Nils.“ Das Team werde alles dafür tun, dass Politt „im Finale um die Medaillen mitfahren kann“.

Alles dafür tun, um am Ende vorne zu sein, wird John Degenkolb auch am Sonntag auf den knapp 188 Kilometern durch den Taunus. Die 60. Auflage des Radklassikers Eschborn - Frankfurt ist so kurz vor der WM hochklassig besetzt. Ein Stelldichein der Superstars. Es gibt Sieganwärter en masse. Einer von ihnen ist natürlich auch Degenkolb selbst, der 2011 das 50. Jubiläumsrennen gewann und seither vergeblich versuchte, diesen Erfolg zu wiederholen.

13 der am Start in Eschborn stehenden Mannschaften sind World-Tour-Teams. Neben den Sprintern um Vorjahressieger Pascal Ackermann und Rekordsieger Alexander Kristoff aus Norwegen sind etliche Hochkaräter dabei, die ihre individuelle Klasse als Solisten ausspielen könnten. Selbst für einen so erfahrenen Profi wie Degenkolb eine neue Situation bei seinem Heimrennen. „Dieses Teilnehmerfeld ist ein Game-Changer“, sagt er. In den vergangenen Jahren wurde am Ende in den Straßenschluchten Frankfurts stets um den Sieg gesprintet. Die aktuellen Tour-de-France-Etappensieger Nils Politt aus Köln und Patrick Konrad aus Österreich oder Dylan Teuns aus Belgien sowie dessen Landsmann Philippe Gilbert, der in seiner Karriere bereits zahlreiche Klassiker gewann, aber auch der Italienische Toursieger von 2014, Vincenzo Nibali, oder der belgische Olympiasieger von 2016, Greg Van Avermaet, - um nur einige der Favoriten zu nennen - dürften etwas dagegen haben. Harte Zeiten also für die Sprinter.

Vor zehn Jahren war Degenkolbs Stern in Frankfurt aufgegangen. Der Startschuss in eine große Karriere. „Das ist schon krass. In diesen zehn Jahren habe ich super viel erlebt und viele schöne Erinnerungen“, sagt Degenkolb. Nicht nur sportlich: „Mein Sohn wurde diese Woche eingeschult, die Zeit verfliegt so schnell.“

Auch die zwei Jahre in Diensten der belgischen Equipe Lotto-Soudal gehen nun zu Ende. Eine verlorene Zeit? „Nein“, erwiderte „Dege“, wie ihn seine Fans liebevoll nennen. „Ich habe mich weiter verbessert, ich habe mich nicht zwei Jahre auf die faule Haut gelegt“, betont der Radsportler. „Ich habe immer 100 Prozent gegeben.“

Im kommenden Jahre wechselt der Routinier zum unter deutscher Lizenz fahrenden niederländischen Team DSM. Er kehrt damit zurück zu den eigenen Wurzeln. In diesem Team, damals hieß es noch Giant-Shimano, erlebte er seine besten Jahre. Die Klassikersiege bei Mailand - Sanremo oder Paris - Roubaix sind unvergessen. Mittlerweile versteht sich DSM als Ausbildungsteam, versucht junge Talente zu formen und aufzubauen. Degenkolb kommt dort in den nächsten drei Jahren eine zentrale Rolle zu. „Das wird eine spannende Aufgabe“, erzählt er mit hörbarer Vorfreude. Er wird das junge Team führen und leiten, er wird seine große Erfahrung weitergeben: „Dort lernen junge Fahrer das Einmaleins des Radsports.“ Was nicht bedeutet, dass Degenkolb seine Karriere langsam ausklingen lassen wird. „Ich bin nicht nur als Kindergärtner geholt worden,“ betont er. „Ich will auch weitere Erfolge holen. Der Druck auf mich wird weiter hochgehalten.“

Am Ende seines Vertrages wird Degenkolb 35 Jahre alt sein. Wird dann aus dem Kindergärtner John der Sportliche Leiter Degenkolb? Darüber, sagt er, habe er sich noch gar keine Gedanken gemacht. Er müsse jetzt erstmal drei Jahre Radfahren. Doch je länger er darüber nachdenke, desto klarer werde ihm. „dass ich das gar nicht möchte“. Als Sportlicher Leiter sei man viel zu viel unterwegs. Die Familie ist ihm wichtig, seine Frau Laura und die beiden Kinder. Viel zu oft musste er die drei in der Vergangenheit alleine lassen in Oberursel. „Nach meiner Karriere“, sagt er mit bestimmten Ton, „will ich deutlich weniger als 200 Tage von zu Hause weg sein.“

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