Der Befreiungsschlag

Sebastian Vettel feiert nach zwei Frusterlebnissen seinen ersten Saisonsieg - und zieht Teamkollege Mark Webber mit aufs Podest. Von Elmar Brümmer
Von Elmar Brümmer
Den leichten Schwips, den Sebastian Vettel nach seinem ersten Saisonsieg in der Formel 1 verspürt, kann er unmöglich allein vom zu kräftigen Schluck aus der Magnumflasche Champagner auf dem Podest haben. "Ich bin noch jung, ich bin das nicht gewohnt", sagte er mit seinem breitesten Grinsen, "wir haben ja auch viel Flüssigkeit verloren im Rennen." Vielleicht hat er sich ja an seiner eigenen Leistung und der seines Rennwagens beim Großen Preis von Malaysia berauscht. Ein Kater machte sich eher bei der Konkurrenz breit. Angesichts des Doppelerfolgs von Vettel und seines Teamkollegen Mark Webber, der bereits nach der ersten Kurve herausgefahren war, muss es den Gegnern schwindlig werden. Sie haben jetzt das bestätigt bekommen, was sie schon ahnten: Wenn der Red Bull RB 6 hält, dann ist er kaum zu halten.
Selbst als Vettel und Webber von der Box angefleht wurden, es doch langsamer anzugehen, traten die beiden weiter aufs Gaspedal und reihten schnellste Runden aneinander. "Die haben wohl vergessen, was wir ihnen gesagt haben", stöhnte Teamchef Christian Horner und gestand, dass er und seine Mannen am Kommandostand während der letzten 30 Umläufe des dritten Grand Prix um Jahre gealtert seien. Aber die Verantwortlichen betrachten den geglückten Auftritt als das, was er wohl war: Eine Befreiungsaktion vom Fluch des Nicht-Siegen-Könnens.
Der Erfolg im dritten Anlauf soll dem Schicksal des Titelfavoriten eine Wende geben. Dass Designer Adrian Newey die Teamtrophäe in Sepang in Empfang nehmen durfte, versinnbildlichte die Symbolik: Vettel hat das Vertrauen in Neweys Radikalkonstruktion nach den anfänglichen technischen Kinderkrankheiten bestätigt: "Es gibt wohl keinen schöneren Weg, wieder zurückzukommen."
Horner war begeistert vom strategischen Verhalten Vettels, der sich getreu der Anweisung im heiklen Startmanöver von drei auf eins zwar radikal gegen Webber durchsetzte, dem Australier aber genügend Raum zum Überleben ließ. Danach konnte Vettel das Renntempo diktieren. Entscheidender für den britischen Vorgesetzten aber war die Leistung des Heppenheimers in der kritischen Phase nach dem Ausfall von Australien: "Aber Sebastian war weit cooler als alle anderen im Team."
Süffisant merkt Horner an, das nun die Gegner mit Scherereien klarkommen müssen - Schumachers verlorene Radmutter bei Mercedes, Ferraris Getriebe- und Motorenplatzer, die verpatzte Qualifikationsstrategie von McLaren. "Es wird noch viel passieren in diesem Jahr", vermutet Vettel, "wie wir hier gesehen haben, kann der kleinste Unterschied bei Strecke, Reifen oder Startplatz sich auswirken." Für einen Moment geriet sogar sein eigener Sieg in Gefahr, da er während einer Gelb-Phase am Lotus von Jarno Trulli vorbeigezogen war. Die Rennkommissare sprachen den 22-Jährigen aber später vom Vergehen frei, da der Italiener nach einem Problem mit seinem Auto Vettel vorbei gewinkt hatte.
Der Red-Bull-Doppelschlag führt zu einer Verschiebung des Wettbewerbs nach drei Rennen - und vor allem zu einer Verdichtung an der Spitze der Formel 1. Ferrari-Pilot Felipe Massa führt mit 39 Punkten, hat aber nur zwei Zähler Vorsprung auf Alonso und Vettel. Dahinter lauern punktgleich mit 35 Zählern Titelverteidiger Jenson Button und nach seinem dritten Platz von Malaysia Nico Rosberg. "Das ist großartig für die Formel 1", interpretiert Horner, "sechs bis sieben Fahrer können den Titel holen. Und das Beste ist, dass meine beiden dabei sind."
Der erfolgreiche Dreisatz in diesem Jahr liegt im Zusammenspiel von Qualifikationsergebnis, Startmanöver und Reifenschonung. Vettel kann die eigene Überlegtheit in Überlegenheit ummünzen, und er hat seine Motivation nicht nur aus der Wut über den holprigen Saisonstart bezogen. Den Augenblick des Sieges von Malaysia, den sechsten seiner Karriere, hat er mit einem Augenzwinkern nicht nur der ganzen südlichen Bergstraße gewidmet, sondern auch in sein Gedächtnis eingebrannt: "Einfach in die die strahlenden Augen der Leute aus dem Team und im Publikum zu sehen - das ist das, warum wir jeden Sonntag neu angreifen, ins Lenkrad beißen und versuchen unser Bestes zu geben. Und ich glaube, dass das die Momente sind, die man nicht bezahlen kann."