Reformstau bei Borussia Dortmund

Fehlende Selbstüberzeugung, mangelnde Balance, vermisste Wehrhaftigkeit und vor allem eine unausgewogenen Kaderplanung fiel dem BVB auf die Füße – mal wieder. Der Kommentar.
Der bezahlte Fußball, das liegt wohl in der Natur der Sache, wird eine Bühne der Widersprüche bleiben. Die Corona-Zeiten haben nachdrückliche Belege geliefert: Mit Winterbeginn, als die Inzidenzen im heutigen Vergleich noch auf einem erträglichen Maß lagen, meinte die Politik, dass es besser wäre, die Stadien für einige Wochen zuzusperren. Borussia Dortmund mit der mehr als 80 000 Fans fassenden Spielstätte, hat nicht mal 10 000 oder 15 000 Menschen Einlass gewähren dürfen. Nun liegt die bundesweite Inzidenz noch über 1500, dennoch sind an diesem Wochenende alle Schranken gefallen – und erstmals seit 763 Tagen hat auch der BVB, (noch) die zweite Kraft des deutschen Fußballs, wieder ein proppevolles Haus begrüßt.
Doch ehe sich dafür alle ohne Abstand in den Armen lagen, griff die Ernüchterung um sich: Selbst mit der Gelben Wand im Rücken spielten die BVB-Profis im Verfolgerduell gegen RB Leipzig (1:4) erneut so, als lähme ein unbekanntes Gift ihre Beine. Es ist die verhängnisvolle Mixtur fehlender Selbstüberzeugung, mangelnder Balance, vermisster Wehrhaftigkeit und vor allem einer unausgewogenen Kaderplanung, die den Westfalen mal wieder auf die Füße fiel.
Hummels über dem Zenit
Mats Hummels tätigte danach Aussagen, für die es „wieder auf den Sack gibt“. Und weiter: „Den Blick nach oben gibt es nicht mehr. Jetzt geht es um den Grundstein für das nächste Jahr.“ Es gehört allerdings zu einer Erkenntnis dieser auf vielen Ebenen vermasselten Spielzeit, dass auch Hummels eigentlich kein Grundpfeiler des Teams mehr sein kann. Der von Bundestrainer Hansi Flick konsequenterweise noch nicht einmal berufene Weltmeister läuft seinen Gegenspielern zu oft hinterher, ihn retten auch schöne Außenristpässe nicht mehr.
Sein Nebenmann Manuel Akanji soll verkauft werden, Ersatzmann Emre Can, noch so einer, der bei der DFB-Auswahl zu Recht keine Rolle mehr spielt, kann den Laden auch nicht zusammenhalten. Wer alle Mannschaftsteile durchforstet, stößt auf einen gewaltigen Reformstau, den Sebastian Kehl als neuer Sportdirektor angehen muss. Im Mittelfeld fehlt ein zweiter Mentalitätsspieler nach dem ebenso tapferen wie talentierten Jude Bellingham. Mahmoud Dahoud hatte seine beste Zeit bei Borussia Mönchengladbach in unbeschwerten Tagen, Julian Brandt bleibt wohl auf ewig ein unerfülltes Versprechen fürs Topniveau. Man müsste ihm vielleicht sogar raten, demnächst zu Werder Bremen gehen, wo sein Vater früher in der Fankurve stand.
Und vorne? Muss bald Ersatz für Erling Haaland her, der nach einigen Verletzungspausen nicht abschütteln kann, mit was für schwindelerregenden Summen rund um seine Person hantiert wird. Die auf 75 Millionen Euro festgeschriebene Ablöse wird sein Klub übrigens brauchen, um die Pandemiefolgen abzufedern. Daran aber ist ganz gewiss nicht die Politik Schuld, sondern Vereine, die ihren Stars in der Krise fast ohne jede Abstriche die garantierten Millionen-Gagen überwiesen haben. Bei Marco Reus sollen es zwölf Millionen Euro im Jahr sein. Jeder soll selbst beurteilen, ob der mittlerweile 32 Jahre alte Kapitän wirklich so viel wert ist.