Pascal Wehrlein: Wankelmütiges Lenkrad-Genie

Pascal Wehrlein rast in der Formel E der Konkurrenz davon und ist damit derzeit Deutschlands bester Autorennfahrer.
Es gibt kaum Rennfahrer, die Theorien von Enzo Ferrari widerlegen wollen und können. Der Gründer von Ferrari, dem seine italienischen Landsleute ehrfürchtig einen Heiligenschein für die Ewigkeit verpasst hatten, war sich sicher: Wenn ein Rennfahrer weiß, dass er Vater wird, verliert er von seinem Grundtempo. Bis zu drei Zehntelsekunden pro Runde könnte es ihn einbremsen, weil er plötzlich Verantwortung für jemand anders als für sich selbst verspürt.
Der Deutsche Pascal Wehrlein indes widerlegt gerade die These der italienischen Ikone, deren Wort normalerweise Gesetz ist. In den nächsten Tagen erwartet Wehrlein aufgeregt und erfreut zusammen mit seiner Lebensgefährtin die Geburt einer Tochter. Allein: Enzo Ferrari zum Trotz hat das freudige Ereignis dem Schwaben einen kräftigen Schub gegeben. Nach zwei Siegen und einem zweiten Platz führt der Porsche-Werkspilot die Formel-E-WM an und gilt auch beim vierten Lauf übernächstes Wochenende in Indien als Topfavorit. Das Image, ein wankelmütiges Lenkrad-Genie zu sein, das viel mehr aus seinen Möglichkeiten hätte machen können, hat er abgelegt. Wehrlein scheint besser zu sein als je zuvor.
Seine neue Stärke hat viel mit Selbstreflektion zu tun. „Ich bin ruhiger geworden“ sagt er im Gespräch: „Ich weiß jetzt viel mehr Erfolge zu schätzen und weiß auch, wie viel Anteil ein Team daran hat. Wie viel harte Arbeit dahinter steckt.“ Der gereifte Wehrlein selbstkritisch über den Überflieger aus der Anfangszeit: „Vom Kart, über Formel ADAC, Formel 3 bis hin zum DTM-Titel war alles ein Selbstläufer. Siegen, Erfolg zu haben, war für mich normal, alles andere passte nicht in mein Weltbild.“
Neu entdeckte Gelassenheit
Erst in der Formel 1 lernte er das andere, grausame Gesicht des Motorsports kennen. Wehrlein: „Die beiden Jahre in der Formel 1 bei Manor und Sauber waren schwierig zu verdauen. Obwohl ich gute Rennen hatte, wollte ich nicht akzeptieren, hinterherzufahren. Genauso konnte ich nur schwer verstehen. Da konnte es schon mal zu Emotionsschüben kommen. Heute ruhe ich mehr in mir selbst.“ Aber, das will er betonen: „Der Ehrgeiz zu gewinnen ist deshalb nicht geringer geworden. Er ist genauso groß wie früher.“
Zur neu entdeckten Gelassenheit passt, dass er trotz der Anfangserfolge nicht euphorisch wird. Der passionierte Hobbyfußballer (Lieblingsklubs SC Freiburg und FC Bayern) will den Ball lieber flach halten. „In der Formel E ist das Leistungsniveau extrem hoch und eng beisammen. Die Kräfteverhältnisse können sich schnell ändern. Bei den Testfahrten vor der Saison beispielsweise waren wir noch nicht bei der Musik. Aber wir haben die richtigen Schlüsse gezogen und stehen jetzt deshalb da, wo wir sind. Aber wir müssen genauso hart weiterarbeiten.“
Mit einem Vorurteil will Wehrlein aufräumen. Dass Formel-E-Piloten nur von den Boxen ferngesteuerte Roboter sind, die nur Energie sparen müssen. „So ist das nicht. Klar musst du effizient fahren, aber das muss man in jeder Serie. Die Formel-E-der neuen Generation haben im Qualifying fast 500 PS und sind extrem schnelle Rennautos. Und auch bei ihnen gilt: Je schneller du aus der Kurve herausfährst, desto schneller bist du auf der folgenden Gerade.“ Und, das ist wichtig: „Das Fahrerfeld in der Formel E ist besser besetzt als in der Formel 1. Damit meine ich aber nicht die Spitzenpiloten der Königsklasse wie Verstappen, Hamilton, Alonso oder Leclerc. Die sind die besten Rennfahrer der Welt. Ich meine nur, dass die Leistungsschere in der Formel 1 weiter auseinandergeht als in der Formel E. Bei uns sind alle Piloten mehr oder weniger auf dem gleichen hohen Niveau.“
Flaute beim Nachwuchs
Stichwort Formel 1. In Deutschland befindet sich die Königsklasse gerade in einer Krise. Es gibt mit Nico Hülkenberg nur noch einen Piloten, der beim Hass-Team aber kaum Erfolgsaussichten hat und sich altersmäßig auch schon auf der Zielgeraden der Karriere befindet. Mick Schumacher hat erst mal keinen Job mehr. Als Mercedes-Ersatzfahrer ist er dritter Pilot bei Mercedes selbst und den anderen Partnerteams der Stuttgarter, McLaren, Aston Martin und Williams.
Allein: Ein Stammcockpit hat er nicht. Und das ist das einzige, was in der Königsklasse Aufmerksamkeit bringt. Auch beim Nachwuchs herrscht Flaute. Der einzige erst zunehmende Formel-1-Fahrschüler fährt in dieser Saison in der Formel 3, heißt Goethe und ist ein direkter Nachfahre des deutschen Dichter und Denker-Fürst. Doch bevor abzusehen ist, wie erfolgreich Goethes motorsportliche Sturm-und-Drang-Phase verläuft, kann es keine Prognosen zur zukünftigen Karriere geben. Aber da gibt es noch Pascal Wehrlein. Alters -und leistungstechnisch gesehen ist er die momentane Nummer Eins im Land der Dichter und ehemaligen Lenker.
Vor allen Dingen, weil Porsches Konzernschwester Audi Vollgas gibt und schon beim offiziellen Einstieg in drei Jahren konkurrenzfähig sein will. Ob er sich deshalb eine Rückkehr in die Formel 1 vorstellen könne? „Man soll nie Nie sagen,“ das hätte Wehrlein aus seinem bisherigen Rennfahrerleben gelernt. Aber eigentlich verschwende er keinen Gedanken daran, sondern lässt die Dinge besonnen auf sich zukommen. Im Moment zähle nur die Formel E und der Erfolg mit Porsche.