(Noch) keine Topnation

Deutschlands Handballer sind zwar definitiv auf dem richtigen Weg, doch mentale Stärke gepaart mit spielerischer Klasse auf konstant hohem Niveau geht ihnen zu oft ab.
Die Handball-WM ist hierzulande ein Erfolg, ehe sie überhaupt vorbei ist. Nicht vorbei für die vier Halbfinalisten, auch nicht fürs ausgeschiedene deutsche Team, das noch zweimal ran muss. Die Plätze fünf bis acht wollen ausgespielt werden, absurd wie unnötig. Und doch: Trotz der Viertelfinalpleite gegen die Überfranzosen, den Favoriten, darf das hiesige Handballland zufrieden sein. In den vergangenen Wochen wurden Tickets noch und nöcher abgesetzt, mehr als 13 000 im Laufe der WM für das EM-Auftaktmatch in einem Jahr. Januar 2024, Düsseldorf, Fußballstadion, die ganz große Bühne. Der Verband erhofft sich einen Publikumsrekord, will den aktuellen, 2014 aufgestellt in Frankfurt (44 189 Interessierte bei Rhein-Neckar Löwen gegen HSV Hamburg), brechen. Mehr als 50 000 Fans sind möglich, rund zwei Drittel der Karten sind bereits weg. Es läuft für den Deutschen Handball-Bund.
Das liegt zum einen daran, dass die Mannschaft in einer zu sehr aufgeblähten WM, die bisher größte jemals, ihre Pflicht erfüllte und jene Partien gewann, die sie ob ihrer Kaderqualität auch gewinnen sollte. Favoritensiege, die das (Fernseh-)Volk etwas zu laut jubelieren ließen. Gegen die Großen, erst gegen Norwegen, dann entscheidend gegen Frankreich, reichte es für die Mannen von Alfred Gislason (noch) nicht.
Zum anderen liegt es daran, dass der Handball ja stets ein Sport voller Typen ist, die sagen, was sie denken, denen gerne zugeschaut und -gehört wird, zumindest im ersten Monat des Jahres, ehe sie doch wieder verschwinden in ihr relatives Nischendasein. Seltsam wie schade. Wie dem auch sei: Trainer Alfred Gislason, Torwart Andreas Wolff, die Schränke Johannes Golla und Jannik Kohlbacher, der Shootingstar Juri Knorr - kernige Jungs.
Rein faktisch hat sich die deutsche Auswahl im Vergleich zum Vorjahr gesteigert. Platz zwölf bei der WM 2021, zwei Jahre später mindestens Platz acht, bestenfalls fünf. Eine kleine Verbesserung, gewiss ein Schritt in die richtige Richtung. Der Abnabelungsprozess von den jahrelangen Aushängeschildern des Sports, den zurückgetretenen Recken wie Uwe Gensheimer, Patrick Wiencek, Johannes Bitter oder Silvio Heinevetter ist in vollem Gange.
Vieles hängt an Juri Knorr
Neue Kräfte tragen das Team, Kapitän Golla schon länger, im Tor reift Joel Birlehm heran, in mittelfristiger Zukunft Andi Wollf zu beerben, dazu Julian Köster, Lukas Mertens, natürlich Juri Knorr, von dessen Entwicklung einiges abhängen wird für den deutschen Handball. Schafft er es, der Regisseur, dauerhaft auf Weltklasseniveau zu agieren, was ihm zuletzt immer häufiger gelang, wird sich auch die DHB-Auswahl den Spitzennationen weiter annähern. Doch: Noch sind Knorr wie das gesamte deutsche Ensemble dort nicht angekommen, dafür reichen Siege gegen zweitklassige Handballnationen aus Katar, Serbien, Algerien, Argentinien und den Niederlanden nicht aus.
Zwei Beispiele: Hätte sich eine Topnation wie Frankreich in einem Viertelfinale etwa zweimal im Spielverlauf einen Drei-, Vier-Tore-Vorsprung nehmen lassen? Würde es dem starken Nachbarn passieren, in solch einem Match acht Minuten keinen eigenen Treffer zu werfen? Nein, sicher nicht. Mentale Stärke gepaart mit handballerischer Klasse auf konstant hohem Niveau geht den Deutschen noch zu oft ab.
Deshalb sind die zwar am Rande einer Niederlage stehenden Franzosen weiter, reifer, schlicht besser, als das sie fordernde, aber eben nicht übermäßig fordernde Deutschland. Die DHB-Auswahl wird sich in vielen Facetten steigern müssen, will sie ihre Träume von einer Heim-Medaille 2024 erfüllen. Der Weg dorthin jedoch scheint der richtige zu sein.