Neue Kulisse für neue Helden

Bei der ersten Ironman-WM außerhalb von Hawaii deutet viel darauf hin, dass die deutsche Dominanz bei den Männern ein Ende findet – Anne Haug plant ihre Titelverteidigung
Eine Nationenparade gehört zu einer Ironman-Weltmeisterschaft wie die Butter zum Brot. Doch was tun, wenn erstmals in der lange Geschichte dieser wertvollste Titel unter den Triathleten über die volle Distanz nicht auf Hawaii, sondern in St. George vergeben wird? Statt über den berühmten Alii Drive der Trauminsel haben die Organisatoren vor dem Showdown (Samstag 14 Uhr MESZ/live HR und sportschau.de) nun Athlet:innen und Legenden mit viel Tamtam über eine eher unbekannte Asphaltstraße im US-Bundestaat Utah geschickt.
Die alten Heroen Mark Allen und Dave Scott, deren epochales Kopf-an-Kopf-Rennen 1989 als sogenannter „Ironmanwar“ in die Geschichtsbücher einging, trugen riesige Fahnen im böigen Wind und scherzten am Mikrofon des „Triathlon-Magazin“ über die alten Zeiten. Zugleich hat Andrew Messick, der CEO der weltumspannenden Ironman-Serie, die Abkoppelung vom Mekka Hawaii so erklärt: „Es ist fantastisch hier: anspruchsvoll zum Schwimmen, anspruchsvoll zum Radfahren, anspruchsvoll zum Laufen. Ein gastfreundlicher Platz, um eine Weltmeisterschaft auszutragen.“
Tatsächlich teilen viele der fast 3500 Altersklassenathlet:innen die Impressionen des für Spiridon Frankfurt startenden Thomas Tzschentke: „Eine ganz neue Erfahrung, neue Eindrücke und neue Landschaften: Und es nicht so heiß wie in Kona.“ Doch eines fehlt bei dieser Ausdauerprüfung über die 3,8 Kilometer Schwimmen, 180 Kilometer Radfahren und 42 Kilometer Laufen: das mystische hawaiianische Flair aus fast einem halben Jahrhundert Ironman-Geschichte. Offenkundig ist, dass handfeste geschäftliche Interessen dahinterstecken, angesichts neuer Wettbewerbsformate seitens der Challenge-Konkurrenz und der Athletenorganisation PTO in diesem Jahr gleich zwei Weltmeisterschaften unter dem Ironman-Label im Kernmarkt Amerika abzuhalten.
Zwei Deutsche fehlen
St. George gilt offiziell als Nachholtermin für das wegen der Pandemie im Herbst vergangenen Jahres ausgefallene Hawaii-Rennen. Damals waren der Dreifach-Champions Jan Frodeno (2015, 2016, 2019) und Doppelsieger Patrick Lange (2017, 2018) ob der späten Absage schier fassungslos, beide sind nun vom Verletzungspech gebeutelt.
Der in Girona lebende Frodeno, 40, kuriert einen Teilriss der Achillessehne aus; der Wahl-Salzburger Lange, 35, eine Schultereckgelenkssprengung nach einem Radunfall. Immerhin liebäugelt mit Sebastian Kienle, 37, der dritte aktive Hawaii-Sieger (2014) noch damit, vorne zu landen. „Es wird wahnsinnig geil für die Zuschauer und wahnsinnig hart für uns. Ich habe immer noch eine kleine Chance, das Rennen zu gewinnen“, beteuert der Charakterkopf aus Mühlacker, der bei der letzten WM-Austragung als Dritter noch aufs Podium kletterte. Eigentlich aber rechnet auch er fest damit, dass vor den roten Sandsteinbergen die deutsche Dominanz endet.
Am 12. Oktober 2019 verneigte sich die Triathlon-Welt vor einem Helden und einer Heldin aus Germany: Neben Strahlemann Frodeno hatte ja auch Anne Haug ein Dauergrinsen im Gesicht, deren Trainingspläne ebenso vom Luxemburger Ausdauerspezialisten Dan Lorang gesteuert werden. Der Triumph der Powerfrau aus Bayreuth kam damals überraschend, und sie hat es danach ziemlich gewurmt, diesen Coup nie richtig bestätigen zu können. „Die Bürde über drei Jahre tragen zu müssen, war schon krass“, verriet die 39-Jährige, „weil man nie die Chance hatte, sie mal zu verteidigen.“ Sie glaubt, dass jetzt ein paar Athletinnen performen könnten, „die man noch gar nicht auf dem Radar hat“. Immer zu rechnen ist mit der unverwüstlichen Vierfach-Weltmeisterin Daniela Ryf (Schweiz).
Haug wird versuchen, beim Laufen den längsten Atem zu haben. Was aber nicht einfach ist, da das Streckenprofil im Vergleich zu Hawaii völlig unterschiedlich ist. Das Schwimmen im Sand Hollow Reservoir ist einfacher als im offenen Pazifik, aber die mit Höhenmetern gepflasterte Radstrecke und der fast bergige Marathon sind tückisch. Und so kann die fränkische Favoritin eine gewisse Nervosität nicht leugnen. „So große Rennen sind einfach etwas anderes. Und die letzte Weltmeisterschaft war gefühlt im letzten Jahrhundert.“ Gerne hätte auch ihre deutsche Konkurrentin Laura Philipp mitgemischt, doch ereilte die 35-Jährige kurz vor dem Abflug eine Corona-Infektion. „Es ist ein Alptraum“, schrieb die Heidelbergerin bei Instagram. Genau wie Frodeno und Lange ist sie heilfroh, dass es im Oktober gleich die nächste Titelchance gibt. Dann wieder an traditioneller Stätte auf Hawaii. Am Sehnsuchtsort der Ironman-Weltmeisterschaft.