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Krieg und Spiele

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Von: Jakob Böllhoff

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Das Juri-Gagarin-Stadion in Tschernihiw. Celestino Arce Lavin/dPA
Das Juri-Gagarin-Stadion in Tschernihiw. Celestino Arce Lavin/dPA © Celestino Arce Lavin/dpa

Der Sport ist Putins wichtigstes Propagandainstrument. Funktionäre wie Thomas Bach wollen das nicht verstehen. So muss der Widerstand von unten kommen.

In anderen, besseren Zeiten hätte sich niemand für Iwan Kovbasnyuk interessiert. Auf Platz 40 ist der Skirennläufer dieser Tage bei der Weltmeisterschafts-Abfahrt in Courchevel gelandet, Vorletzter, sieben Sekunden langsamer als der Sieger. So einer ist eigentlich nur eine Randerscheinung bei einer Ski-WM, so einer wird in Ruhe gelassen von der internationalen Presse, wenn er durch die Interviewzone geht, normalerweise. Aber die Normalität sieht gerade anders aus.

Kovbasnyuk ist natürlich nicht in Ruhe gelassen worden in Courchevel, er ist ja aus der Ukraine, und er hat dann also erzählen dürfen, wie das gerade so ist: Skirennen fahren in den französischen Alpen, während in der Heimat ein Krieg tobt. „Es ist unglaublich schwer für mich, hier meinen Job zu machen“, sagte Kovbasnyuk, „aber ich bin stolz, mein Land zu vertreten.“ Nur mit einer militärischen Sondergenehmigung für Spitzenathleten dürfe er an der WM teilnehmen. „Während ich hier in Frankreich fahre, sterben daheim Familienmitglieder und Freunde von mir. Der Krieg wird leider noch lange dauern. Ich bin sicher, dass auch ich bald auf dem Schlachtfeld stehen werde.“

Offiziellen Angaben zufolge sind bis Februar mindestens 220 ukrainische Sportlerinnen und Sportler in diesem Krieg gestorben. Mehr als 340 Sportanlagen wurden zerstört. Erst vor wenigen Wochen starb der 22 Jahre alte Zehnkämpfer Wolodymyr Androschtschuk in der Nähe von Letytschiv.

Vor einem Jahr, als die ersten russischen Panzer ins Nachbarland rollten, wenige Tage nach Ende der Olympischen Winterspiele in Peking, hat es nicht lange gedauert, bis im Weltsport weitreichende Konsequenzen gezogen wurden. Die Teams aus Russland und Belarus wurden von Wettkämpfen ausgeschlossen, internationale Veranstaltungen wurden den Ländern entzogen. Die Verbände folgten damit einer Empfehlung des Internationalen Olympischen Komitees (IOC).

FR-Ausgabe: Ein schwarzer Tag

Der russische Angriff auf die Ukraine markiert eine Zäsur. Wie der Krieg das Denken militarisiert und sich die Sicherheitslage in Europa verändert, untersucht die Themenausgabe der Frankfurter Rundschau vom 24. Februar 2023, der wir diesen Text entnommen haben. Weitere Aspekte daran:

Neue Normalität: Frieden wird die Ausnahme sein, sagt der Soziologe Richard Sennett.

Altes Denken: Wie der Militarismus einen Siegeszug durch unsere Köpfe angetreten hat.

Neuer Alltag: Stefan Scholl berichtet für die FR aus Moskau. Der Krieg hat sein Leben verändert.

Alte Ängste: Politologe Karl-Rudolf Korte über die Sorgen der Deutschen und ihr Krisenmanagement.

Neues Leben: Flucht aus Kiew, dann Neubeginn in Deutschland: Zwei Brüder berichten über ihr Jahr.

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Klar schien seitdem: Solange Krieg ist in der Ukraine, solange würden diese Sanktionen gelten, selbstverständlich auch und gerade bei Olympia 2024 in Paris. Russische Athleten und Athletinnen auf der größten Sportbühne der Welt, während die Armee des Landes einen Angriffskrieg führt? Unvorstellbar, eigentlich. Doch das IOC mit Präsident Thomas Bach an der Spitze hat eine spezielle Vorstellungskraft. Wenige Tage nach Iwan Kovbasnyuk stand Bach am Hang in Courchevel und erläuterte, wie das IOC gedenke, Sportler und Sportlerinnen aus Russland und Belarus bei den Spielen in Paris antreten zu lassen. Alle, die den Krieg nicht aktiv unterstützten, sollten die Möglichkeit bekommen, unter neutraler Flagge dabei zu sein. Dies sei ein Gebot der Menschenrechte. Und: „Man wird sehen, wer mehr für den Frieden tut: Derjenige, der sich für Kommunikation öffnet, oder die, die teilen und isolieren wollen.“

Am Schlusstag der Spiele 2014 in Sotschi annektierte Russland die Krim

Sportfunktionäre wie Thomas Bach und Gianni Infantino, Präsident des Fußball-Weltverbandes Fifa, pochen stets auf die strikte Trennung von Sport und Politik. Dass sie damit die Interessen eines Wladimir Putin unterstützen, scheint ihnen egal zu sein. Der russische Despot ist ein Meister des „Sportwashings“; mit Hilfe des Sports will er die Reputation seines Landes in der Welt aufpäppeln. Ein beliebter Trick totalitärer Regime.

So war der Sport Putins verlässlichstes politisches Werkzeug, um dem postsowjetischen Russland zu neuem Glanz zu verhelfen. Kurz nach seinem Amtsantritt im Jahr 2000 rief er dem russischen Olympia-Team für die Spiele in Sydney zu: „Siege im Sport tun mehr für die Festigung der Nation als 100 politische Botschaften.“

Er hat aktiv Lobbyarbeit verrichtet, um die Winterspiele 2014 und die Fußball-WM 2018 ins Land zu holen. Nach dem WM-Zuschlag 2010 sagte Putin: „Dies zeigt, dass Russland vertraut wird.“ Und er benutzt die angeblich so apolitische Umgebung des Weltsports liebend gerne als Schutzschild, um von seinen militärischen Machenschaften abzulenken. Am Tag, als Russland 2008 in Georgien einmarschierte, saß Putin auf der Ehrentribüne des Pekinger Olympiastadions bei der Eröffnungszeremonie der Sommerspiele. Und ausgerechnet am Schlusstag der Spiele 2014 in Sotschi betraten erste russische Armeeangehörige die Krim, bevor wenig später die Annexion begann. Männer wie Bach, 69 Jahre alt, und Infantino, 52, sind die Marionetten Putins, weil sie ausschließlich die Interessen ihrer Institutionen im Sinn haben. Der Krieg in der Ukraine hat daran wenig bis gar nichts geändert.

Wer eine Stimme der Vernunft vernehmen will, muss die Ohren woanders hinhalten, ein paar Etagen tiefer. Sport sei immer auch Politik, sagt zum Beispiel die ukrainische Tennisspielerin Marta Kostjuk, gerade einmal 20 Jahre alt: „Und jeder, der das anders sieht, nutzt diese Sichtweise nur als Entschuldigung, um sich nicht gegen die russische Invasion in der Ukraine auszusprechen.“

Kostjuk muss ihren Sport nach wie vor mit russischen und belarussischen Spielerinnen teilen, Tennis gehört zu jenen Sportarten, die sie nicht ausgeschlossen haben. Lediglich das renommierte Turnier in Wimbledon hat sie im vergangenen Jahr verbannt und wurde zum Teil heftig dafür kritisiert.

Gerade die großen Namen hätten die Möglichkeit, etwas zu verändern

In diesem schwierigen Umfeld, das am liebsten so tut, als sei nichts geschehen, versucht Kostjuk immer wieder, Zeichen zu setzen. Ihr Publikum hält sich dabei in Grenzen – sie ist nur 60. in der Weltrangliste. Aber als sie im Januar bei den Australian Open am Netz den Handschlag mit der belarussischen Top-Spielerin Wiktoryja Asarenka verweigerte, brachte das Aufmerksamkeit. Kostjuk findet, Asarenka habe sich nicht klar genug gegen die russische Invasion positioniert.

Das Argument, Sportlerinnen und Sportler aus Russland und Belarus würden ihre Familien in der Heimat gefährden mit einem klaren Statement, hält sie für vorgeschoben. „Sind wir mal ehrlich: Spieler und Spielerinnen unter den Top 50 haben alle das Geld, um ihre Familien umzusiedeln.“ Die Leute seien einfach nicht bereit, diese Opfer zu bringen. „Es ist nicht so, dass man keine Wahl hätte.“

Andere haben das gezeigt. Wie die russische Fußball-Nationalspielerin Nadeschda Karpowa. „Ich kann diese Unmenschlichkeit nicht einfach ansehen und stumm bleiben“, sagte die 27-jährige Spielerin von Espanyol Barcelona im Gespräch mit der BBC. „Diese Leute, die den Krieg rechtfertigen, sind Geiseln der Propaganda. Sie tun mir leid, und ich denke, wir müssen alles tun, um sie davon zu befreien.“ Neutralität im Angesicht des Grauens ist für Karpowa, die bei Instagram immerhin mehr als 150 000 Follower:innen erreicht, undenkbar: „Man kann nicht einfach so tun, als wäre nichts geschehen. Die Zeit des Schweigens sollte vorbei sein.“

Passiert ist ihr nichts, auch nicht ihrer Familie in der Heimat. Das hat einen einfachen Grund: Putin vergreift sich nicht an seinen Sportstars. Er befürchtet, den Rückhalt in der Bevölkerung zu verlieren. So hätten gerade die großen Namen die Möglichkeit, etwas zu verändern und die russische Bevölkerung aufzurütteln. Doch sie ziehen das Schweigen vor. Weltberühmte Leute wie Alexander Owetschkin, einer der besten Eishockey-Spieler der Geschichte, der wie die russischen Kollegen weiter unbehelligt seinem Beruf nachgehen kann in der nordamerikanischen Profiliga. Wer ihn fragt, wie er zum Krieg in der Ukraine steht, erhält entweder keinen Kommentar oder sinnloses Gestammel zum Thema Weltfrieden. Die wahre Antwort gibt es im Netz, bei Instagram. Auf seinem Profilbild ist Owetschkin zu sehen mit: Wladimir Putin.

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