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IOC-Auflagen bringen Zwiespalt

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Von: Stefan Scholl

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Dem Machthaber Wladimir Putin die Hand gereicht: Skilangläufer Alexander Boltschunow.
Dem Machthaber Wladimir Putin die Hand gereicht: Skilangläufer Alexander Boltschunow. © imago

Der Weltsport öffnet die Tür für Russland und beschwört heftige Debatten herauf. Die Athletinnen und Athleten stehen vor schwierigen Entscheidungen.

In Moskau streitet man, ob die IOC-Auflagen für die Teilnahme russischer Athlet:innen an internationalen Wettkämpfen Affront oder Erfolg sind. Jedenfalls stellt die Forderung, Putins „Kriegsspezialoperation“ in der Ukraine nicht aktiv zu unterstützen, die Aktiven vor eine heikle Wahl. Von Deutschen sei nichts anderes zu erwarten, zürnt Alexander Tichonow. „Scholz oder Bach, alles eine Soße. Millionen Menschen haben durch Deutschland gelitten, sie aber suchen Verräter in Russland.“ Der vierfache Biathlon-Olympiasieger Tichonow empört sich nicht über die deutsche Leopard-Panzer-Freigabe für die Ukraine, sondern über eine Pressemitteilung des IOC.

Am Dienstag hatte das von Thomas Bach geleitete Internationale Olympische Komitee (IOC) bekannt gegeben, unter welchen Bedingungen russische und belarussische Sportlerinnen und Sportler wieder als „neutrale Athleten“ an internationalen Wettkämpfen teilnehmen können: Sie dürfen nicht gedopt sein, vor allem aber dürfen sie „nicht gegen die Friedensmission des IOC verstoßen haben, indem sie den Krieg in der Ukraine aktiv unterstützt haben“.

Sportrussland reagierte heftig und widersprüchlich. „Das ist ein Erfolg“, erklärte Igor Lewitin, Putin-Berater und Vizepräsident des russischen NOK. „Die olympische Öffentlichkeit begreift, dass ohne Russland keine Olympischen Spielen stattfinden können.“ Dagegen erklärte Sportminister Oleg Matyzin, Sonderauflagen seien unzumutbar.

Kremlsprecher Dmitri Peskow und ein Teil der Fachpresse äußerten sich abwartend bis vorsichtig optimistisch. Schließlich kann Moskau es schon als Teilerfolg verbuchen, dass das IOC die ukrainischen Proteste gegen die durchaus fragwürdige Wiederzulassung Russlands zum internationalen Sportbetrieb überhört hat. Und noch herrscht Unklarheit, wie die Auflagen am Ende in der Praxis gehandhabt werden. Moskaus Sportfunktionäre sind es gewohnt, dass sich die IOC-Spitze in Hotelzimmergesprächen in ihrem Sinne beeinflussen lässt. Auch die Dopingaffären der vergangenen Jahre haben gezeigt, dass Bachs Komitee den Russen gerne Hintertürchen öffnet.

Asien-Spiele in Aussicht

Der IOC-Chef selbst wird am Wochenende bei der Rodel-WM in Oberhof erwartet, Bach wird vermutlich spüren, dass in Deutschland der Vorstoß zur Wiedereingliederung heftig diskutiert wird. Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) befürwortet Bachs Pläne, „Menschen im friedlichen Wettstreit zusammenzubringen“. Mit notwendigen Sanktionen, mit einem funktionierenden Anti-Doping-System und einer deutlich sichtbaren Neutralität russischer und belarussischer Sportler sowie deren Distanzierung vom Krieg – jedoch möglichst bald, da die Qualifikationen für Paris 2024 beginnen.

„Wir sind an diesem Punkt noch nicht angekommen“, sagte Maximilian Klein vom unabhängigen Verein Athleten Deutschland am Freitag im ZDF-Morgenmagazin. Der Plan komme „zum falschen Zeitpunkt. „Daher können wir jetzt nicht darüber reden, russische Athletinnen und Athleten wieder zuzulassen.“ Die „voreilige Entscheidung“ des IOC sende ein „verheerendes Signal.

Das IOC hat den Russen aber bereits die Teilnahme an den im September anstehenden Asien-Spielen in Aussicht gestellt.

Vorher droht jedem einzelnen gemeldeten Athleten und jeder Athletin eine „Schwemme kompromittierenden Materials“, wie die Zeitung „Sport Express“ schreibt. Welcher russischer Kandidat hat sich wie zu Putins Ukraine-Feldzug geäußert?

Allein um Russlands Skilanglauf-Superstar Alexander Boltschunow wird es heftige Informationsschlachten geben: Einerseits erklärte der dreifache Olympiasieger dem norwegischen Fernsehen zur Ukraine bemüht neutral, alle beteiligten Staaten seien verantwortlich, müssten eine Lösung am Verhandlungstisch finden. Andererseits hatte er daneben gestanden, als Putin bei einer Massenveranstaltung im Moskauer Luschniki-Stadion über den Heldenmut seiner Ukraine-Krieger schwärmte. Aktive Unterstützung oder zufällige?

Der russische Staat unterscheidet selbst eifrig zwischen zumindest passiven Befürwortern und aktiven Gegnern. Den Nein-Sagern drohen Strafverfahren und Gefängnis. Nicht zufällig lebt die Mehrzahl der Sportler, die öffentlich Frieden fordern, im Westen wie der Tennisstar Daniil Medwedew.

So steht Russlands Sportelite vor einer haarigen Entscheidung: Schon wer bei den Asien-Spielen startet, gibt zu verstehen, dass er die „Kriegsspezialoperation“ nicht aktiv unterstützt, also kein Patriot im Sinne Putins ist. Oder wie Altbiathlet Tichonow zürnt: „Wenn sich jemand aus Russland dagegen ausspricht, dann ist er ein Verräter. Soll er teilnehmen, aber dann aus Russland verschwinden.“ mit sid

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