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Missbrauch im Sport - „Hilfe für Betroffene ist eher eine Frage des Zufalls“

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Von: Daniel Schmitt

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Maximilian Klein , 28, geboren im saarländischen Neunkirchen, ist als Beauftragter für Internationale Sportpolitik für den Verein „Athleten Deutschland“ tätig.
Maximilian Klein , 28, geboren im saarländischen Neunkirchen, ist als Beauftragter für Internationale Sportpolitik für den Verein „Athleten Deutschland“ tätig. © privat

Der Verein „Athleten Deutschland“ schlägt ein unabhängiges Zentrum für Safe Sport vor.

Herr Klein, warum braucht es im Kampf gegen Gewalt und Missbrauch aus Ihrer Sicht ein unabhängiges Zentrum für Safe Sport?

Im Sport gibt es familiäre Beziehungsgeflechte, Abhängigkeiten, Interessenskonflikte innerhalb der Sportstrukturen. Herausforderungen also, die Risiken für einen effektiven Kampf gegen Missbrauch bergen und die das Sportsystem aus eigener Kraft und nur von innen heraus nicht auflösen kann. Ein Beispiel: Ansprechpersonen innerhalb des Systems werden von Betroffenen oft gar nicht als unabhängig wahrgenommen, sondern eher den Institutionen der Täter zugeschrieben. Wir haben immer wieder gemerkt, dass durch Beziehungsgeflechte auch Hinweise versanden. Der Sport ist ein geschlossenes Ökosystem, für das wir eine Art Gewaltenteilung brauchen und definieren müssen, was innerhalb und was außerhalb erledigt werden sollte. Es braucht einen übergeordneten Akteur, der die Fäden in der Hand hält, ansonsten zerfasert der Kampf gegen Gewalt und Missbrauch.

Sie haben diese Einschätzung im Februar in einem Impulspapier zusammengefasst. Wie ist der Stand der Dinge heute?

Die Problematik interpersonaler Gewalt im Sport betrifft nicht nur Deutschland, sie ist ein weltweites Problem. Im vergangenen Jahr kamen aber in Deutschland weitere Fälle auf – im Turnen, Schwimmen, Boxen, ein Judo-Trainer wurde verurteilt. Das hat die Defizite auf dramatische Art und Weise verdeutlicht. Unser Impulspapier erfährt eine breite Unterstützung seitens Betroffener, der Wissenschaft und Fachpraxis, aber auch von Verbänden und parteiübergreifend durch die Politik. Der Bundestag hat sich bei einer öffentlichen Anhörung im Mai mit Interesse dem Thema gewidmet. Es ist nicht mehr nur ein Impuls, die Regierung prüft im Moment die Machbarkeit für dieses sportpolitische Großprojekt.

Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) zeigte sich weniger begeistert, es hieß, eine übergeordnete Stelle sei „kein Königsweg“. Wie stehen Sie dazu?

Ich habe das vernommen, beleuchte es aber gerne von der anderen Seite: Es gibt in den Sportverbänden eine Vielzahl an Leuten, die die Idee für goldrichtig halten. Auch der DOSB befürwortet einige unserer Punkte. Wir müssen aber eine Diskussion führen. Und wenn es ein Akteur anders sieht als wir, ist er dazu angehalten, in seiner besonderen Verantwortung selbst Alternativen zu liefern. Wir brauchen einen Wettstreit der Argumente und Ideen für großangelegte Reformen auf Systemebene. Den Status quo zu erhalten, das kann nicht die Antwort sein. Klar ist: Neben der langfristig angelegten Strukturdebatte herrscht akuter Bedarf zum Aufbau einer Anlaufstelle für Betroffene.

Woran merken Sie das?

Zur Person

Maximilian Klein , 28, geboren im saarländischen Neunkirchen, ist als Beauftragter für Internationale Sportpolitik für den Verein „Athleten Deutschland“ tätig. Er ist Mitautor eines Impulspapiers, das Ende Februar vorgestellt wurde und ein Unabhängiges Zentrum für Safe Sport in Deutschland fordert. Aktuell absolviert er in den USA sein Masterstudium in Public Policy an der Harvard Kennedy School in Cambridge.

„Athleten Deutschland“ wurde 2017 gegründet, um den Anliegen der Leistungssportlerinnen und -sportler eine unabhängige Stimme zu verleihen. FR

Es melden sich schon jetzt immer wieder auch Betroffene bei uns.

Was passiert in solchen Fällen?

Meist haben wir ihnen professionelle Hilfe vermittelt. Und man kann an diesen Fällen erkennen, wie die Personen vergeblich versucht haben, Unterstützung zu erhalten, dass sie sich nicht getraut haben, sich an sportinterne Ansprechpersonen zu wenden oder dass sie von Zuständigen im Sportsystem enttäuscht wurden. Es gibt derzeit keine strukturierten Prozesse, die sicherstellen, dass die Betroffenen jene Hilfe bekommen, die ihnen zusteht und die sie brauchen. Aktuell ist das eher eine Frage des Zufalls.

Der „Spiegel“ hat in naher Vergangenheit mehrere Fälle von psychischer und sexueller Gewalt im Sport öffentlich gemacht. Wie schwer ist solch ein Schritt an die Medien für Sportlerinnen und Sportler? Die große Aufmerksamkeit muss doch eine Riesenhürde sein, oder?

Man darf nicht unterschätzen, was der Schritt in die Öffentlichkeit über die Medien für Sportlerinnen und Sportler bedeutet: Es braucht viel Mut und ist oft der letzte Ausweg, weil man das Gefühl hat, andernorts nicht gehört zu werden. Es trug aber dazu bei, dass Gesellschaft und Politik ein besseres Bewusstsein für das Problem entwickelt hat, es wurde verstanden. Jetzt sollte nicht auf den nächsten Fall gewartet werden, bis gehandelt wird.

In Deutschland gibt es bisher nur eine Studie, die das Ausmaß im Leistungssport untersucht hat. Dazu wurden vor fünf Jahren mehr als 1500 Athlet:innen befragt. Das Ergebnis: 86 Prozent gaben an, psychische Gewalt erfahren zu haben, 37 Prozent berichteten über sexualisierte Gewalt, 30 Prozent über physische Gewalt. Wie schätzen Sie die Lage in Deutschland im internationalen Vergleich ein?

Unsere Erfahrungen decken sich mit anderen Ländern. Es sind Probleme über die Landesgrenzen hinweg. Aber wir sehen dort ähnliche Lösungsansätze. In Kanada, Australien, den USA, der Schweiz – überall gibt es die Tendenz, unabhängige Aufsichtsstrukturen aufzubauen, damit Präventionsmaßnahmen wirksam umgesetzt, Untersuchungen eingeleitet und am Ende auch Sanktionen ausgesprochen werden.

Interview: Daniel Schmitt

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