Trapattonis legendäre Wutrede: „Ein Stück Fußballgeschichte“

Vor genau 25 Jahren hält Giovanni Trapattoni seine legendäre „Flasche leer“-Wutrede. Der einstige Bayern-Medienchef Markus Hörwick erinnert sich.
Herr Hörwick, stimmt es, dass Sie am 10. März 1998, als die Wutrede von Giovanni Trapattoni in den 19-Uhr-Nachrichten die erste Meldung war, eine Wette gewonnen haben?
Nein. Diese Geschichte war viel zu ernst, um an diesem Tag Wetten abzuschließen. Das war ein echter Tsunami, der da über uns hereingebrochen ist. Aber dass die Rede die erste Meldung in den Nachrichten war, das stimmt.
Sie waren 33 Jahre lang beim FC Bayern – wie oft kam es vor, dass der Klub die Nachrichten eröffnet?
Ohne es zu garantieren: ich glaube, genau einmal. Als Franz Beckenbauer Bayern-Trainer wurde, war es eine Meldung, in der Hoeneß-Daum-Affäre ging es mal heiß her – und sonst halt nach Champions-League-Siegen. Aber mit einer Trainerrede auf Platz eins zu kommen, das ist einmalig gewesen.
War dieser Arbeitstag der kurioseste Ihrer Laufbahn?
Absolut. Und das beweist allein die Tatsache, dass 25 Jahre später immer noch ein wahnsinniger Hype um eine dreieinhalbminütige Pressekonferenz gemacht wird. Trapattoni ist diese Woche in allen Medien, als wäre es gestern passiert.

Giovanni Trapattonis legendäre Rede: „‘Flasche leer‘ reicht und alle wissen Bescheid“
Es waren halt dreieinhalb besondere Minuten.
Das ist ein Stück deutsche Fußballgeschichte. „Flasche leer“ reicht und alle wissen Bescheid.
Sie hatten lange vor der Pressekonferenz ein komisches Gefühl. Was war anders?
Ich war nicht nervös, aber es gab eine krasse Disharmonie zwischen meinem Kopf und meinem Bauchgefühl. Nicht ohne Grund habe ich Trap, als er auf dem Weg aus Mailand an die Säbener Straße war, dreimal angerufen.
Wie war Anruf eins?
Da war er gerade losgefahren. Ich wollte einfach ausloten, was ist. Und er hat erzählt, was er alles Schönes mit seinen Enkeln und seiner Frau erlebt hat, er machte den Eindruck, dass alles in Ordnung war. Lediglich ein Satz fiel mir auf: „Für die Pressekonferenz hast Du eingeladen, oder?“ Da hat mein Bauch ein ungutes Gefühl entwickelt.
Sie riefen also noch einmal an.
Diesmal habe ich ihm irgendeinen Schmarrn über den nächsten Gegner Bochum erzählt. Er war gerade am Brenner, machte wieder einen ganz normalen Eindruck. Aber ich legte auf – und das Bauchgefühl war nicht weg.
Giovanni Trapattoni kippte Uli Hoeneß eine halbe Flasche Rotwein übers Hemd
Also noch mal angerufen.
Diesmal war er hinter Rosenheim. Wieder gab er mir den Anschein: alles in Ordnung, ganz relaxt. Aber er fragte nochmal nach der Pressekonferenz. Und dann kam der Zeitpunkt, an dem wir in seiner Trainerkabine waren – und die Sekunde, in der ich wusste: Der Bauch war besser als der Kopf.
Gab es die Überlegung, ihn aufzuhalten?
Wenn unsere Trainerkabine einen Schlüssel gehabt hätte, hätte ich abgesperrt und den Schlüssel zum Fenster rausgeworfen.
War die Wortwahl ähnlich wie drei Tage zuvor, als er im Hotel die Spieler rund gemacht hat?
Auf jeden Fall. Damals hatte er auf Mehmet Scholl und Mario Basler geschimpft, allerdings ohne sie beim Namen zu nennen. Mit den Händen hat er so gefuchtelt, wie es die Italiener gerne machen. Im Hotel war die Flasche allerdings nicht leer, sondern voll – und so hat er Uli Hoeneß in seiner Rage aus Versehen einen halben Liter Rotwein über das Hemd geschüttet.
Haben Sie ihm so einen Ausbruch zugetraut?
Trapattoni? Niemals! Ein Gentleman-Trainer. Er war damals die viel größere Ausgabe von einem Ottmar Hitzfeld, der sich auch immer im Stile eines Gentlemans gab, ruhig, im Trenchcoat an der Seitenlinie, nie ein böses Wort über die Spieler. Das war ein absoluter Tabubruch.
Zur Person
Markus Hörwick , 66 Jahre alt, war lange 33 Jahre der Pressesprecher und Mediendirektor beim deutschen Fußball-Rekordmeister FC Bayern München. Vor genau 25 Jahren erlebte er im März 1998 auch die „Mutter aller Wutreden“ mit, jene von Kulttrainer Giovanni Trapattoni.
War er danach, als die Luft raus war, wieder der Alte?
Das schon. Ein paar Tage später, wir spielten dann gegen Rom, hat er mich zu sich gerufen und gefragt: „Warum hast Du mich nicht gestoppt?“ Ich habe gesagt: „Trap, glaubst Du, dass Du zu stoppen gewesen wärst?“ Und er: „Nein, glaube ich nicht.“ Dazu dieses typische Trapattoni-Lächeln.
Von Ihnen gibt es das Bild mit verschränkten Armen, an die Wand gelehnt. Hatten Sie die Konsequenzen schon im Kopf?
Ich konnte da schnell eins und eins zusammenzählen. Der Gentleman-Trainer, der dermaßen ausflippt. Dazu die Wortwahl. Es war ja eh schon eine unglaubliche Spannung in diesem Presseraum, weil wir drei Spiele verloren hatten. Dazu, dass sich zwei derart exponierte Spieler wie Scholl und Basler öffentlich über den Trainer beschweren. Das gab es selten.
Wie lange hat es gedauert, bis Sie über die ganze Sache lachen konnten?
Lange. Wir lachen heute über die Wortschöpfungen, über den Kultstatus – aber all das konnte man sich ja damals noch nicht ausrechnen.
Giovanni Trapattonis legendäre Rede: „Am Nachmittag aber wussten alle, dass ich Recht hatte“
Konnten Sie die Lage intern beruhigen?
Nach der Pressekonferenz bin ich bewusst in der Trainerkabine geblieben, damit da ja nichts passiert. Erst als Trap auf dem Platz stand, habe ich mich so langsam getraut, mich zu entfernen. Ich bin dann rüber ins alte Gebäude, da lief gerade die Präsidiumssitzung. Und zum einzigen Mal in meiner Bayern-Zeit bin ich zur Tür rein, ohne anzuklopfen. Uli Hoeneß, Franz Beckenbauer, Karl-Heinz Rummenigge, Karl Hopfner – die haben mich angeschaut, als ob ich irre wäre. Ich habe gesagt: ‚Leute, es ist etwas passiert, das wir heute Abend im TV sehen werden.‘
Die Reaktionen?
Uli Hoeneß sagte sofort: ‚Ach komm, jetzt übertreib doch nicht schon wieder.‘ Ich war ja immer der Halb-Journalist, der alles übertreibt. Am Nachmittag aber wussten alle, dass ich Recht hatte.
Was würde passieren, wenn ein Trainer heute derart ausrasten würde?
Der wäre noch nicht in seiner Trainerkabine, da wären schon die ersten Tweets raus. Jeder Journalist hätte sein Handy hochgerissen und die dreieinhalb Minuten gefilmt. Es wäre viel verloren gegangen, weil es sich verbreitet hätte wie ein Lauffeuer. Das hätte aber dem Ganzen die Wucht genommen, die es damals hatte. Das Besondere war ja, dass es erst am Abend die ersten Aufnahmen gab. Das schlug dann geballt ein. (Interview: Hanna Raif)