Zwischen Traum und Wirklichkeit

Der VfL Wolfsburg ist in der Champions League letztes deutsches Aushängeschild – und im Spitzenspiel der Frauen-Bundesliga gegen den FC Bayern auch der Favorit auf die Meisterschaft
Noch ist Tommy Stroot einer größeren Öffentlichkeit eher unbekannt. Der vor der Saison vom VfL Wolfsburg verpflichtete 33-Jährige ist einer jener Trainer, die im deutschen Frauenfußball akribisch ihren Job machen. Seine Torhüterin Almuth Schult hat ihn einmal gefragt: „Willst du nicht auch mal nach Hause gehen zu deiner Familie und nicht zwölf Stunden hier im Trainerbüro sitzen?“ Glücklicherweise gibt es Abende wie am Donnerstag in der Women’s Champions League, an denen die viele Arbeit im stillen Kämmerlein belohnt wird – und auch der Fußballlehrer laut seine Freude hinausschreit. „Genießt den Moment: Barcelona!“, rief Stroot nach dem beeindruckenden Viertelfinale gegen den FC Arsenal (2:0) seinen Spielerinnen zu. Im Halbfinale kommt es nun an den letzten beiden April-Wochenenden zu Duellen gegen den Titelverteidiger FC Barcelona, der mit seinem Zuschauerweltrekord – 91 553 Fans gegen Real Madrid – weltweit in aller Munde ist. Für die am Saisonende scheidende (und vermutlich in den USA ihre Karriere fortsetzende) Schult ist es „pure Vorfreude, dass wir als nächstes im Camp Nou antreten dürfen.“ Für jüngere Mitspielerinnen wie Lena Oberdorf geht ein „Kindheitstraum in Erfüllung“.
Titelanspruch in München
Wolfsburg hat bereits fünfmal im Finale der weiblichen Königsklasse gestanden, 2013 und 2014 gewonnen. Doch viel Zeit zum Feiern blieb nicht, denn es folgt gleich das Spitzenspiel in der Frauen-Bundesliga: Die Niedersachsen erwarten den einen Punkt zurückliegenden Meister FC Bayern (Sonntag 14 Uhr/BR und NDR). Anders als bei den Männern gibt es bei den Frauen einen Meisterschaftskampf, der seinen Namen noch verdient. Die verdammt kurze Atempause findet Stroot gar nicht schlimm: „Schlafen, regenerieren, arbeiten, und dann kommt der nächste Spieltag. Das ist das Geilste überhaupt: Uns machen diese Spiele eine Riesenfreude.“
Doch welche Spuren haben die kräftezehrenden Höhepunkte in den großen Arenen hinterlassen? Wolfsburg spielte erstmals seit acht Jahren wieder im Bundesligastadion der Männer: 11 293 Zuschauende, darunter Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg, waren von einem perfekten Angriffspressing beeindruckt. Die zur Unzeit von einem Corona-Ausbruch zerrütteten Bayern hatten einen Tag zuvor vor 27 262 Fans im Pariser Prinzenpark beim 2:2 nach Verlängerung gegen PSG nicht minder stark aufgespielt. Den Münchnerinnen fehlten allein die personellen Alternativen, sonst wäre der dritte Halbfinaleinzug nach 2019 und 2021 möglich gewesen.
Trainer Jens Scheuer musste sich damit trösten, „dass wir in beiden Spielen gezeigt haben, dass wir das bessere Kollektiv sind“. Der 43-Jährige hat in seiner dritten Saison auf dem Bayern-Campus verinnerlicht, dass auch die Frauen-Abteilung über kurz oder lang nur an Titel gemessen wird. Der Widerstandsgeist seiner Spielerinnen war beachtlich und kommt nun am Mittellandkanal erneut auf den Prüfstand – auch wenn der klare Favorit nun Wolfsburg heißt. Seine Nationalstürmerin Klara Bühl empfahl, die „Köpfe nach oben zu nehmen und nach vorne zu schauen“. Nach der Länderspielpause treffen Bayern und Wolfsburg, die sich die nationalen Titel seit 2015 untereinander aufteilen, auch noch im Halbfinale des DFB-Pokals am Ostersonntag aufeinander.
Der Beweis ist erbracht, dass diese beiden Topvereine mit ihren vielen deutschen Nationalspielerinnen international auf höchstem Niveau konkurrenzfähig sind. Die englische Profiliga mag bei der Vermarktung einen Vorsprung haben, was die sportliche Zwischenbilanz des neuen Formats der Champions League angeht, steht die höchste deutsche Frauen-Spielklasse deutlich besser da. Zumindest ihre beiden Aushängeschilder. Turbine Potsdam, Eintracht Frankfurt und TSG Hoffenheim dürfen sich allein um den dritten Champions-League-Rang balgen – mehr geht (noch) nicht.
Für Bundestrainerin Voss-Tecklenburg ist es „beeindruckend, wie weit Wolfsburg und Bayern vor dem Rest der Liga sind. Sie können Herausforderungen und Rückschlägen besser Stand halten.“ Es deutet auch wenig darauf hin, dass an dieser Dominanz so schnell gerüttelt wird: Wolfsburg hat für die neue Saison ja nicht nur Toptalent Jule Brand aus Hoffenheim verpflichtet, sondern auch die Torwartfrage geklärt: Merle Frohms als Nummer eins der DFB-Frauen steigt in Frankfurt vorzeitig aus ihrem Vertrag aus, um nach Wolfsburg zurückzukehren. Solange die beiden Topvereine weiter die besten Spielerinnen aufsaugen wie ein Schwamm das Wasser, wird sich an der nationalen Hierarchie auch nicht viel ändern.