Zombies in Köpenick

In Berlin dürfen 4500 Fans ins Stadion und schlagen, weil sie nicht singen dürfen, verzweifelt auf mitgebrachten Küchenutensilien herum – das kann nicht die Lösung sein. Ein Kommentar.
Sprache unterliegt ständigem Wandel, auch in Zeiten einer Pandemie. Am Samstag zum Beispiel, in Berlin-Köpenick, unterzog sich das zuletzt häufig gebrauchte Wort Geisterspiel einer semantischen Erweiterung, vielleicht sogar Umschreibung.
Bislang dachte man ja, ein sogenanntes Geisterspiel bedeute, dass kein Publikum in die Sportstätte darf. Doch am Samstag beim Bundesligaspiel des Kiezklubs 1. FC Union gegen den SC Freiburg durften, trotz bundesweit rasant ansteigender Corona-Infektionszahlen, rund 4500 Fans ins Stadion an der Alten Försterei kommen, und sie sorgten für eine Atmosphäre, die einen gruseln ließ. Wie vorgeschrieben trugen sie ihre Masken, verzichteten auf größere Zusammenrottungen, wozu das biedere 1:1 auch nicht wirklich einlud, und weil im Rahmen der Berliner Infektionsschutzverordnung Gesang und Sprechchöre jeglicher Art untersagt waren, sorgten sie anderweitig für Lärm; Zombie-Fans aus einer Zwischenwelt zwischen früher und heute, schweigend und pfeifend und stöhnend, als hätte man ihnen die Zungen am Eingang herausgeschnitten, und verzweifelt auf mitgebrachten Küchenutensilien herumschlagend, auf dass Union endlich die Freiburger Defensive bezwingen würde und, nebenbei, Corona vielleicht einfach verschwände, wenn man nur wild genug auf eine Bratpfanne eindrischt. Massenhafter Exorzismus, von Geistern an Geistern vollzogen.
Wenn das die neue Normalität ist, dann wird sie wohl nicht lange halten. Schon jetzt ist es ja schwer vermittelbar, dass im zweitgrößten Bundesligastadion in München kein Mensch sein darf, während im kleinsten Stadion in Berlin sich tausende Menschen tummeln, wenn auch diszipliniert. Auch in Stuttgart, Bremen und Leverkusen waren die Fans am fünften Spieltag ausgesperrt. In Dortmund durften 300 Zuschauer kommen, in Leipzig 999. In Wolfsburg waren dagegen sogar 6000 Personen zugelassen.
Wenn die Pandemie ausschließlich negative Konsequenzen hat, dann gehört nun auch dazu, dass man mal dem Turbokapitalisten Karl-Heinz Rummenigge zustimmen muss, Boss beim FC Bayern, der sagte: „Was wir brauchen, ist eine bundesweite einheitliche Lösung nach gewissen Parametern, die für alle gelten.“ Es ist ein Wunsch, der schnell in Erfüllung gehen könnte, aber nicht auf die Art, wie Rummenigge es vorschwebt. Die Testphase für Publikum beim Fußball endete an diesem Wochenende, und die dramatische Entwicklung der Infektionszahlen macht einen erneuten Komplettausschluss in den Stadien wohl unumgänglich. Sogar in Berlin-Köpenick.