WM in Katar: Das Symbol alles Schlechten

Fanexperte Michael Gabriel erklärt, warum das Turnier in Katar als Symbol alles Schlechten im Fußball interpretiert wird.
Frankfurt – Es gibt gerade eine Menge zu tun für Michael Gabriel. Der Leiter der Koordinationsstelle der Fanprojekte plant aus seinem Frankfurter Büro im Schatten des Waldstadions heraus mit seinem kleinen Team gerade die bevorstehende Fußball-WM in Katar. Sie werden vor Ort sein, um die wenigen Leute aus Deutschland, die ins Scheichtum düsen, zu begleiten, wenngleich: „Die Zuschauerzahlen aus Deutschland in Katar werden so niedrig wie nie zuvor bei einem Turnier sein. Und die Gründe liegen auf der Hand: Das Turnier wird aus vielen Gründen abgelehnt: die Menschenrechtssituation, die schlechten Rahmenbedingungen für Fans, die gekaufte Vergabe und die Kosten. Auch die Unterkunftssituation stellt ein großes Problem dar.“
Das hat auch Nationalspieler Joshua Kimmich schon festgestellt: „Freunde und Familienangehörige wollen gerne zur WM kommen. Aber als Privatperson ist es offenbar sehr schwierig, überhaupt ein Hotel zu bekommen. Ich hoffe da auf ein bisschen Unterstützung des DFB.“ Der Verband hat seine im Fanclub Nationalmannschaft organisierten Anhänger:innen mangels Unterkünften in Doha in Dubai untergebracht. Sie werden dann zu jedem Spiel rüber nach Katar geflogen. Klingt verdächtig nach einer Notlösung.
WM 2022 in Katar – „Symbol dafür, dass man sich im Fußball alles kaufen kann“
Gabriel ist gut vernetzt und weiß: „Es gibt unter den Fußballfans in Deutschland eine tief sitzende massive Ablehnung dieses Turniers.“ Er habe „noch keinen Fan getroffen, der die Vergabe der WM nach Katar für eine gute Idee hält. Diese WM wird als Symbol alles Schlechten im Fußball interpretiert, als Symbol, dass der Ausverkauf immer weitergeht zulasten des Sports und seiner Fankultur. Als Symbol dafür, dass man sich im Fußball alles kaufen kann und die Werte des Sports nichts zählen.“
Mit der Fan-Botschaft, die die deutschen Fanvertreter in Katars Hauptstadt Doha während der Weltmeisterschaft aufbauen werden, stehen sie ziemlich alleine da. „Es gibt keine Zivilgesellschaft in Katar, mit der man kooperieren könnte. Das ist ein elementarer Unterschied zu allen Turnieren bisher. Wir sind in Russland mit unserer Fan-Botschaft von dortigen Fanorganisationen unterstützt worden, auch waren wir in Kontakt mit Menschen aus der LGBTIQ-Community. Ähnliches gibt es in Katar natürlich nicht.“ Komplizierte Zeiten.
„Alle Fans, die dann doch hinfahren, stellen sich die Frage, was für ein Turnier sie erwartet“, weiß Gabriel. „Es gibt keine wirkliche Fußballtradition in Katar. Es wird spannend, ob und wie die Fans ihre Fankultur in Katar ausüben können: zusammenkommen, zusammen feiern, singen und auch Alkohol konsumieren.“
Seit 1992 in der Fanbetreuung bei großen Turnieren
Der 58-Jährige, seit der EM 1992 in Schweden in der Fanbetreuung bei großen Turnieren, kennt die Erwartungshaltung unter Fans an den Deutschen Fußball-Bund. Der Verband müsse klarmachen: „Dies ist kein Turnier wie jedes andere. Die Spieler und der DFB machen da ja jetzt schon einiges und auch während des Turniers wäre es sicher positiv, wenn das kontinuierlich deutlich gemacht würde.“ Es würde „sehr positiv wahrgenommen“, dass der DFB die Forderung nach einem Entschädigungsfonds unterstützt, der die Familien von verletzten oder getöteten Arbeitern entschädigt“.
Ein WM-Boykott würde „von der übergroßen Mehrheit nicht verlangt.“ Denn: „Die meisten Fans verstehen schon, dass die Spieler nur alle vier Jahre einen solchen Höhepunkt erleben.“ Spieler und Fans seien in eine Situation gezwungen worden, die sie sich nicht ausgesucht hätten. „Die Rahmenbedingungen, der Vergabeprozess und die Menschenrechtssituation werden von den Fans scharf kritisiert.“
So etwas sollte besser in vergleichbarer Form nie wieder passieren. Zuletzt hatte Saudi-Arabien Interesse an einer WM-Ausrichtung 2030 bekundet. Der einstige österreichische U20-Nationalspieler Gabriel ist sich ziemlich sicher: „Eine WM-Vergabe an Saudi-Arabien ist vor dem Hintergrund der Vergaben an Russland und Katar und den damit verbundenen kritischen Diskussionen im Prinzip nicht vorstellbar.“ Andererseits ist er nicht naiv: „Wir bewegen uns im Fußball im Fifa-Kosmos, deshalb würde ich nicht meine Hand dafür ins Feuer legen, dass es nicht doch passieren kann.“
Gabriel sieht emotionale Distanz zur Nationalmannschaft
Der DFB müsste sich dann tatsächlich eine große Frage beantworten: „Er hat sich eine Menschenrechts-Policy auferlegt, an der wir auch mitarbeiten durften. Es gibt im deutschen Sport dahingehend eine positive Entwicklung mit deutlichen gesellschaftspolitischen Positionierungen, auch in Bezug auf die Werte des Sports. Die Frage, ob Teilnahme an einem Turnier in Saudi-Arabien oder Boykott, würde sich vor diesem Hintergrund noch deutlicher stellen. Die Antwort, die die Fanorganisation darauf erwarten würde, scheint mir eindeutig.“ Ein klares Nein nämlich.
Ohnehin ist Gabriels Eindruck, eine „gewisse Distanz“ zur Nationalmannschaft scheine „nach wie vor vorhanden“, wiewohl aus Jogi-Land ja inzwischen Hansi-Land geworden ist und seit mehr als einem Jahr keine Spiele mehr verloren werden. Mit Blick auf die Europameisterschaft 2024 sieht der Sozialarbeiter „eine Chance, dass man sich emotional wieder annähert“. Jedoch: „Der harte Kern, der regelmäßig zu Länderspielen fährt, ist gebröckelt, die Zahlen gehen runter. Wenn man das zum Maßstab nimmt, ist schon zu erkennen, dass da noch ein Weg zu gehen ist.“
Die Weltmeisterschaft in Katar wird die vom DFB herbeigesehnte Annäherung eher nicht bringen, glaubt Gabriel: „Es gibt ernstzunehmend viele Leute, die sagen: Wir gucken keine WM-Spiele. Es wird sich weisen, ob die WM in Katar die Kraft haben wird, dann doch wieder einen Sog auszulösen, wenn der Ball mal rollt. Ich persönlich bin da eher skeptisch.“
WM 2022 und Fan-Gewalt – Gabriel sieht wenig Potenzial für Randale
Immerhin müssten sich die friedfertigen Anhänger:innen im Wüstenemirat keine Sorgen machen: „Es ist nicht zu erwarten, dass da Leute hinfahren, um Randale zu machen. Unter Gewaltgesichtspunkten kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass das in Katar ein Problem darstellen wird.“ (Jan Christian Müller)
