Warum Nagelsmann nicht zu Tottenham gehen sollte

Gerade erst vom FC Bayern vor die Tür gesetzt, baggert der trainerlose englische Topklub schon um Julian Nagelsmann. Doch der wäre gut beraten, erst einmal eine Pause einzulegen. Ein Kommentar.
Mal stelle sich nur mal vor, Antonio Conte hätte noch eine Gallenblase. Wie wohl sein Ausbruch ausgefallen wäre nach dem 3:3 gegen den Tabellenletzten Southampton, könnte die Galle noch überlaufen?
Zugegeben: Diesen Kalauer konnten wir uns jetzt nicht verkneifen.
Aber dass der italienische Trainer jetzt nach einer wahren Suada über Spieler und Verein – „selbstsüchtige, egoistische Mannschaft“, „können nicht unter Druck spielen“, „Trainer wechseln, aber an der Situation im Klub ändert sich nichts“ – den Stuhl vor die Tür in 782 High Road, London, gestellt bekam, verwunderte ernsthaft niemanden – selbst wenn es sportlich bei Tottenham Hotspur so desaströs nicht läuft, Tabellenplatz vier in der Premier League, die erneute Champions-League-Qualifikation in greifbare Nähe. Aber die Erwartungshaltung ist ja immer eine andere. Mussten ja schon ganz andere Trainer erfahren.
Komisch, dass uns jetzt Julian Nagelsmann in den Sinn kommt.
Natürlich schießen die Spekulationen ins Kraut, der 17-Millionen-Mann Conte weg, der Sieben-Millionen-Mann Nagelsmann auf dem Markt – könnte man da nicht flugs kombinieren: Nagelsmann zu Tottenham? Und schon steht es in der Zeitung, hier und auch im „Guardian“.
Ist ja alles denkbar in diesem Geschäft des Heuerns und Feuerns. Aber ist es auch sinnreich? Wir wissen nicht, ob Julian Nagelsmann schon Kontakte nach Nordlondon geknüpft hat (oder hat knüpfen lassen), ob er überhaupt schon auf den nächsten Zug hüpfen will oder ob er, er hat ja Tagesfreizeit jetzt, noch ein wenig Ski oder Longboard fährt. Das muss er ganz allein entscheiden.
Es wäre dennoch einigermaßen überraschend, wenn Nagelsmann – sollte er tatsächlich ein Kandidat sein – schon bereit wäre für die nächste, nicht minder anspruchsvolle Aufgabe. Er ist ja mit dem Kopf noch in München, so holterdiepolter die Trennung über die Bühne ging. Ist es überhaupt sinnvoll, die Pferde so schnell zu wechseln? Er sollte das in München Erlebte erst einmal sacken lassen, Zeit verstreichen lassen und sich fragen, warum es nicht geklappt hat mit ihm und den Bayern. Ein wenig Selbstreflexion gepaart mit Selbstkritik tut jedem gut, auch Nagelsmann. Aus Niederlagen, und der Rausschmiss bei den Bayern ist für das Trainertalent eine, lernt man viel – wenn man sich darauf einlässt.
Und Nagelsmann, dessen Qualifikation ja außer Frage steht, muss nicht hektisch auf dem Markt agieren und sich ins nächste Abenteuer stürzen. Er bleibt im obersten Regal. Ein Trainer seiner Provenienz kann wählen. Und ganz so schlechte Arbeit hat er bei den Bayern nicht geleistet, sogar mit intakter Galle.