VfL Bochum: Eine Sternstunde für Romantiker

Der Ruhrpottklub schafft einen wunderlichen Klassenerhalt, den Hertha BSC mit Felix Magath so gut wie sicher hat.
Als das „Wunder“ dann geschafft war, sah es in der Kabine des VfL Bochum so aus wie in jeder ex-beliebigen Umkleide eines Kreisligisten, der den Aufstieg gepackt hat: Halbnackte, sanges- und freudetrunkene Spieler, die Pulle Bier in den Händen, aufgereiht zum Gruppenfoto, nur ganz hinten stemmte einer der Bochumer Jungs seltsamerweise eine Kiste Mineralwasser in die Höhe, ist aber egal. Später ging es dann eh ins Bermuda-Eck, dem Kneipenviertel in Bochum, zum Weiterfeiern. Und es gab ja in der Tat Grund genug für Ausgelassenheit und Ekstase: Dass Aufsteiger VfL Bochum den Klassenerhalt geschafft hat, bereits zwei Spieltage vor Schluss nach einem fulminanten 4:3 (2:2) beim Reviernachbarn Borussia Dortmund, gehört zu einer der größeren Überraschungen dieser Saison. Der eher pummelige Trainer Thomas Reis sprach hinterher mit einigem Recht von „einem Wunder, es aus eigener Kraft“ hinbekommen zu haben. Chapeau.
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Gegenentwurf zum Glitzer
Der Klassenerhalt des sympathischen Underdogs von der Castroper Straße ist auch Wasser auf die Mühlen aller Fußballromantiker. Der VfL Bochum ist so etwas wie der Gegenentwurf zur Glitzerwelt des modernen Profifußballs, er hat Ecken und Kanten, ist manchmal dreckig und passt irgendwie gar nicht in das glatt Gebügelte. Im Bochum wird der Fußball gearbeitet, wird malocht für den Sieg, gerne im eigenen Stadion, wo Tore auch aus sehr weiter Entfernung erzielt werden. Wo aber zuweilen das Maß an Unterstützung von den Rängen in falschen Bahnen läuft, wenn es halbvolle Bierbecher auf Gegner oder Linienrichter regnet.
Das schmälert die Leistung der Mannschaft keineswegs, die mit Herzblut, Widerstandskraft und Leidenschaft ihrem Beruf nachgeht und spielerische Defizite wettmacht. Kein Team in der Liga spielt so viel Langholz, die Laufwerte sind eher mäßig, die Passquote ist schwächelnd, analysierte der „Kicker“. Diese Mannschaft ohne Stars, eine verschworenen Gemeinschaft, wurde die Begeisterung darüber getragen, nach bald elf Jahren in der zweiten Liga endlich im Oberhaus zu spielen. Sie hatten auf einmal was zu verlieren. Und sie wussten, anders als die prominenterer Konkurrenz, vom ersten Spieltag an, dass sie gegen den Abstieg ackern würden. Diese Wühl- und Kämpfermentalität hat geholfen, selbst schwerste Schlappen, etwa ein 0:7 gegen den FC Bayern, wegzustecken.
Den bodenständigen Weg, zu wissen, wo man herkommt und was man verkörpert, will der VfL weiter gehen. „Ob wir mit einem Lizenzspieler-Etat von 24, 25 oder 31 Millionen Euro an den Start gehen“, hat VfL-Geschäftsführer Ilja Kaenzig klug gesagt, „ist doch völlig egal - weil die anderen eh mehr Geld haben.“ Seit Jahren hat der VfL, mit dem zweitkleinsten Budget ausgestattet, für neue Spieler keine Ablöse gezahlt, viele sind ausgeliehen.
Die Bochumer, die sich auf Leistungsträger Torwart Manuel Riemann, Maxim Leitzsch (trotz Problemen bei Rückpässen), Gerrit Holtmann, Schütze des Tor des Jahres 2021, oder Torjäger Sebastian Polter verlassen, können nun ihre letzten beiden Saisonspiele (gegen Arminia Bielefeld und Union Berlin) genießen, anders als eben Bielefeld, VfB Stuttgart oder Hertha BSC, für die es um alles oder nichts oder um beides geht.
Dabei hat Hertha, selbst nach dem am Samstag leichtfertig verschenkten Sieg bei Arminia Bielefeld (1:1), die besten Karten, und vor allem vier Punkte Vorsprung vor dem VfB, der auf dem Relegationsplatz festsitzt. Vieles spricht dafür, dass die antiquierten Methoden von Felix Magath noch funktionieren, zumindest für eine überschaubare, kurze Zeit: Der Altmeister aus Aschaffenburg griff in Berlin in den Notfallkoffer eines Feuerwehrmannes, er stärkte einen Führungsspieler (Prince Boateng), obwohl er wusste, dass der längst keinen Bundesligafußball mehr spielen kann, aber prima dirigieren, aufrütteln und Freistöße ziehen. Dazu rasierte er eine Stammkraft (Ishak Belfodil), der ihm dann, später begnadigt, prompt ein wichtiges Tor schießt. Schließlich überraschte er alle, Gegner wie die eigenen Leute, mit ungewöhnlichen Aufstellungen. Zudem machte allein seine distanzierte, kühle Aura, seine leisen Töne den Berliner Profis Beine. Und er überhöhte die Aufgabe: Als er im März geholt wurde, sei er davon ausgegangen, dass es allenfalls zu einem Relegationsspiel gegen den Hamburger SV, den von ihm erwarteten Dritten aus Liga zwei, reichen würde. Natürlich wusste er: Der Kader der Hertha ist nicht so schlecht besetzt, wie es der Tabellenstand suggerierte, und er kannte den Spielplan mit vielen Partien gegen direkte Konkurrenz.
Derweil könnte dem VfB Stuttgart das im Grunde vernünftige Festhalten an Trainer Pellegrino Mattarazo auf die Füße falle. Offensichtlich sind die jungen Schwaben dem Druck nicht gewachsen, womöglich wäre in dieser Krise ein neuer Impuls, eine andere Ansprache, ein frischer Reiz eine durchaus denkbare Option gewesen. Es wäre ja nur darum gegangen, den GAU zu verhindern, die Liga mit aller Macht zu retten, nicht um eine grundsätzliche Korrektur. Ein Abstieg zerstört ja fürs Erste alle Aufbauarbeit. Und Mattarazo hätte ja danach wieder eingestellt werden können. Fest steht: Stuttgart hat mit den Bayern, die Magath vorsorglich vor sorgloser Herangehensweise warnt, und dem 1. FC Köln das knackigste Programm. Da könnte Bielefeld (in Bochum, gegen Leipzig) nochmal Morgenluft wittern. Ein Sieg und die Relegation ist zum Greifen nah.