Union Berlin gegen RB Leipzig: Kult gegen Kommerz

Vor dem Bundesligadebüt von Union Berlin überlagert die kritische Haltung gegenüber dem Konstrukt RB Leipzig. Der Stimmungsboykott an der Alten Försterei löst eine interne Debatte aus.
Mit den Anfeindungen gegen das bei Union Berlin äußerst ungeliebte Konstrukt von RB Leipzig ist das so eine Sache. Die einen äußern die Ablehnung ziemlich unverblümt, die anderen eher subtil. Auf dem Instagram-Account der Vereinigung „UnionBerlin_Fanseite“ steht zu einem Bild von Union-Trainer Urs Fischer nämlich nur: „Wenn du realisierst, dass dein Kader doppelt so groß ist wie RB Leipzig Mitglieder hat…“ Eine versteckte Anspielung darauf, dass der vor zehn Jahren aus der Taufe gehobene Red-Bull-Verein es bei 17 stimmberechtigten Mitgliedern belassen hat, um sich gegen jede ungeliebte Einflussnahme abzusichern. Aber gleichzeitig äußert diese Gruppe auch Zweifel, ob es beim Aufsteiger der richtige Weg ist, so viele Neuzugänge nach Berlin-Köpenick gelotst zu haben, dass viele der verdienten Helden beim Bundesliga-Debüt gegen den Brause-Klub (Sonntag 18 Uhr) gar nicht auf dem Rasen stehen werden.
Ohnehin ist die Vorfreude auf den Auftakt an der Alten Försterei arg gedämpft. Union Berlin gegen RB Leipzig: Kult gegen Kommerz, Gut gegen Böse, Arm gegen Reich. So sehen es zumindest die einflussreichen Ultragruppierungen. Und um den Klassenkampf-Theorien noch mehr Nachdruck zu verleihen, wollen die Fans die Anfangsviertelstunde schweigen. Bei den Ultras von „Wuhlesyndikat 2002“ als Initiator des Protestes heißt es: „Es schmerzt, das erste Bundesligaspiel unseres Vereins in einem solchen Rahmen begehen zu müssen. Und doch liegt hier die große Chance, zu beweisen, dass wir genau deshalb ein Gewinn für die Bundesliga sind – weil wir bereit sind, für unsere Werte und unsere Art der Vereinskultur zu kämpfen.“
Union Berlin hat schon in der zweiten Bundesliga klar Position gegen RB Leipzig bezogen
Sie wollen nicht akzeptieren, „dass RB scheinbar in Teilen unserer Fanszene und Öffentlichkeit ein Stück weit ‚angekommen‘ ist. Zugleich warf die Gruppierung die Frage auf: „Jubeln und feiern wir alle Kritiken und Proteste der Vergangenheit weg, jetzt wo wir ‚oben‘ und Teil des Ganzen sind?“
Die Antwort der Ultras lautet nein, und Union-Präsident Dirk Zingler ist damit völlig einverstanden. „Wir haben gegen Leipzig klar Position bezogen in der zweiten Liga, und ich halte es für sehr ehrlich, das auch in der ersten zu tun. Es ist schmerzhaft für uns, dass es am ersten Spieltag ist.“ Zur Erinnerung: Im September 2014 erschienen die Union-Anhänger zu einem Heimspiel gegen RB Leipzig komplett in schwarz.
Aber kurioserweise stehen nicht alle Spieler dahinter. Das Schweigen sei „nicht gut für uns Spieler“, schrieb Torhüter Rafal Gikiewicz in einer Instagram-Nachricht: „Wir Spieler, zusammen mit euch Fans, müssen unserem Gegner zeigen, dass das unser Platz ist, unser Haus. Sie müssen spüren: Welcome to Hell.“ Auf die besondere Atmosphäre sei der Außenseiter im Überlebenskampf zwingend angewiesen. Auch Trainer Fischer hat ein „komisches Gefühl“, wenn er an die zu erwartende Geisterstimmung denkt. „Normalerweise ist das Stadion ein Tollhaus.“
Fans von Union Berlin haben intern eine heftige Debatte ausgelöst
Doch es gab viel Gegenwind für den Querdenker Gikiewicz, der seinen Beitrag inzwischen wieder von seiner Instagram-Seite genommen hat. Rapper „Finch Asozial“, Union-Fan, kommentierte den Post des Polen so: „Man sollte sich vielleicht von seinen Mitspielern mal aufklären lassen, wofür Union steht und warum so eine Aktion gegen RB so wichtig ist! Der Tag an dem wir aufhören gegen solche Konstrukte zu kämpfen, ist der Tag an dem der Fußball stirbt!“
Die einflussreichen Fans, die für ihren Verein nicht nur am Stadion mitgemauert, sondern auch Blut gespendet haben, um einst das Überleben abzusichern, haben intern eine heftige Debatte ausgelöst, die viel von der Begeisterung auf die Bundesliga überlagert. Neven Subotic, der einst bei Borussia Dortmund zu den Stützen des Meisterteams zählte, hat sich als Union-Neuzugang seine Gedanken gemacht. Der 30-Jährige findet, dass „diese Kapitalentwicklung nicht unbedingt förderlich für den Fußball“ sei. Deshalb unterstützt er die Aktion, auch wenn sie im schlimmsten Fall Punkte kosten könnte. „Ein Protest, der nicht wehtut, ist ein Luxusprotest“, findet Subotic: „Wir zahlen den Preis, die Fans zahlen den Preis – und der ist hoch.“
Vereinsboss Zingler warnt: Union Berlin nicht als absoluten Gegenpart von RB Leipzig aufbauen
RB Leipzig will sich von der Anti-Stimmung auf den Rängen nicht aus dem Konzept bringen lassen. „Die Jungs freuen sich, wenn sie irgendwo hinfahren können, wo es laut ist. Es kann einen auch pushen, wenn das Stadion gegen einen ist“, sagte RB-Trainer Julian Nagelsmann.
Immerhin: Vereinsboss Zingler warnte zugleich davor, Union Berlin als absoluten Gegenpart von RB Leipzig aufzubauen: „Wir sollten darauf achten, dass uns von außen kein Heiligenschein aufgesetzt wird.“ Man sei „nicht wirklich so viel anders als andere Profivereine“. Ein bemerkenswertes Eingeständnis eines Unternehmers, der in Berlin eine florierende Logistikfirma betreibt, bei der mehr als 200 Fahrzeuge Beton, Baustoffe und Stahl ausfahren. Ohne das damit verdiente Geld wäre Union Berlin nie und nimmer Bundesligist geworden.
Tatsächlich wundert sich ja nicht nur Friedhelm Funkel, Trainer von Fortuna Düsseldorf, welche Wirtschaftskraft der Neuling bei seinen Aktivitäten auf dem Transfermarkt aufgebracht hat. Bereits in der Saison 2017/2018 setzte Union Berlin in der zweiten Liga 46,3 Millionen Euro um und stemmte Personalkosten von 19 Millionen. Ganz so minder bemittelt wie sich der Emporkömmling darstellt, ist er nicht. Aber definitiv können die Fans im Osten der Hauptstadt weiterhin kräftig mitreden und den Kurs mitbestimmen. Anders als in Leipzig.
Von Frank Hellmann
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