Die unheimliche Macht des Bildes

Die Pfiffe in Leverkusen zeigen, dass die deutsche Nationalmannschaft die Debatte um den Erdogan-Besuch von Ilkay Gündogan und Mesut Özil vor der WM nicht los wird.
Am Sonntagabend hat sich aus gegebenem Anlass dann auch noch die Kanzlerin öffentlich in die Debatte eingeschaltet. Schließlich geht es um eine Angelegenheit von nationaler Bedeutung. Also sprang Angela Merkel am Sonntagabend bei Anne Will nicht nur Mesut Özil und Ilkay Gündogan bei, sondern gleich dem ganzen DFB. „Ich glaube, die beiden Spieler haben nicht bedacht, was das Foto auslöst mit dem Präsidenten Erdogan“, so Merkel. Sie sei überzeugt, dass beide die deutschen Fans in keiner Weise enttäuschen wollten. Sie habe es sehr berührend empfunden, das Gündogan trotzdem gesagt habe, er spiele gerne für Deutschland und sei gerne Mitglied der Nationalmannschaft. „Ich finde, wir brauchen die jetzt alle, damit wir gut abschneiden.“ Gündogan und Özil gehörten zur Nationalmannschaft, „und deshalb würde ich mich freuen, wenn mancher Fan auch klatschen könnte“.
Rund 50 Stunden zuvor hatte das Spiel gegen Saudi-Arabien noch gar nicht angefangen, die Pfiffe gegen Gündogan waren ergo noch lange nicht orkanartig durchs Stadion in Leverkusen gezogen, als Oliver Bierhoff kurz die Contenance verlor. Der Manager der deutschen Fußball-Nationalmannschaft gab dem verdutzten ARD-Moderator Alex Bommes fast in Rudi-Völler-Scheißdreck-Manier kontra, als dieser das Thema Gündogan/Özil/Erdogan mit Verweis auf das große öffentliche Interesse vertiefen wollte: „Ihr beendet’s doch nicht. Weil ihr keine Themen habt oder weil ihr was anderes angehen wollt.“ Bierhoff sagte dann noch, er rate den Spielern: „Redet nicht mehr darüber. Beantwortet keine Fragen mehr dazu. Konzentriert euch auf den Sport.“ Bierhoff ist einer mächtigsten Männer im deutschen Fußball, aber so mächtig, ein derart heikles Thema totzukriegen, ist der 50-Jährige dann doch nicht.
Wie hätte der DFB diese Lawine aufhalten sollen?
Denn als Gündogan später von Bundestrainer Joachim Löw eingewechselt wurde, konnte auch Bierhoff spüren, dass es unter diesem Umständen auch für schlachtengestählte Vollprofis schier unmöglich ist, sich auf ihren Sport zu konzentrieren. Als Gündogan kam, war das Thema plötzlich sehr lebendig, dafür aber das deutsche Spiel ziemlich tot. Jedes Mal, wenn der Ball nur in die Nähe des Mittelfeldspielers gelangte, wurde derart heftig gepfiffen, dass bald nicht nur Gündogan selbst, sondern zunehmend auch alle Mitspieler ihre Linie verloren. Ein Stimmungskiller vor dem Abflug nach Moskau am Dienstag, der als Rucksack mit ins Turnier geschleppt werden dürfte.
Vor der WM kocht die Debatte um die beiden türkischstämmigen Nationalspieler, beide nur mit deutschem Pass, wieder hoch, nachdem ihr Fotoshooting in London die ohnehin aufgeladene Integrationsdebatte mitten in die Mannschaft getragen hat. Der DFB ist heillos überfordert, den Fall öffentlich aufzuarbeiten. Nicht die Thematisierung in den Medien ist das Problem, sondern der Umgang der Protagonisten. Ligapräsident Reinhard Rauball hat das Krisenmanagement von Verbandsseite in der „Bild am Sonntag“ nun gerügt: „Das Thema ist in der Tat unterschätzt worden. Und ich glaube auch, dass man es nicht alleine mit den Maßnahmen und Erklärungen, die bisher erfolgt sind, aus der Welt schaffen kann.“ Der richtige Zeitpunkt für eine solche Maßnahme sei „entweder schon vorbei oder sehr schwer nachzuholen“. Damit macht er es sich freilich arg einfach.
Wie hätte der DFB denn diese Lawine aufhalten sollen? Rauball fürchtet gar, dass das Thema „dauerhaften Schaden bei den beiden Sportlern hervorruft“. Auf jeden Fall ist für die Mission Titelverteidigung unnötiger Ballast an Bord, wenn am Dienstag LH 2018 Richtung Moskau startet.
Auch DFB-Präsident Reinhard Grindel, der das Thema schon tags darauf bei der Kadernominierung im Dortmunder Fußballmuseum herunterdimmen wollte, kommt mit Beschwichtigungen dieser Art nicht weiter: „Beide haben das Recht, wenn sie für Deutschland kämpfen, von Deutschland unterstützt zu werden.“ Eine Argumentation, die offensichtlich zu kurz greift. Grindel behauptete, beide Spieler hätten ihren „Fehler“ eingesehen.
Löw: „Ilkay hat sich mehrfach der Öffentlichkeit gestellt“
Eine Botschaft, die bislang öffentlich nicht angekommen war. Wenn es denn überhaupt so ist. Denn verbrieft ist laut türkischen Medien, dass Gündogan in Dursunbey, der Heimatstadt seiner Familie, zusammen mit seinem Vater Irfan und seinem Bruder Ilker den Bau eines Einkaufszentrums plant. Investitionsvolumen: rund fünf Millionen Euro. Gute Beziehungen zur Politik sind bei derartigen Projekten jedenfalls förderlich, die vehemente Kritik in Deutschland wäre dann bloß ein Kollateralschaden. Allerdings einer, der womöglich den WM-Titel kosten könnte.
Joachim Löw hatte vor der Einwechslung von Gündogan bei der WM-Generalprobe noch so sehr das Publikum zur Unterstützung auffordern können – es nutzte nichts. „Das hat mich schon geschmerzt“, sagte der enttäuschte Bundestrainer: „Wenn ein Nationalspieler ausgepfiffen wird von der Einwechslung über alle Aktionen bis zum Ende, dann gefällt mir das natürlich nicht.“
Eine zumindest lose Bande zwischen Löw und den beiden seinerzeit auch vom türkischen Fußballverband umworbenen Spielern geht über das rein Sportliche hinaus. Das berichtete zuletzt der „Focus“. Gündogan und Özil, heißt es da, seien „auf sehr eigene Art verbunden. Sie werden von denselben Firmen betreut und beraten. Die Unternehmen heißen „ARP Sportmarketing und Family & Football“, zu deren Klienten auch Jogi Löw gehöre. Löw wird seit seiner Zeit als Trainer von Fenerbahce Istanbul Ende 1990 vom Türken Harun Arslan beraten. Arslan betreut die beiden Agenturen. Zum Beraterteam gehört laut Homepage auch Ilhan Gündogan, der Onkel von Ilkay.
Löw stellte sich am Wochenende entschieden vor Gündogan: „Ilkay hat sich jetzt mehrfach der Öffentlichkeit gestellt. Er hat gesagt, dass er sich absolut mit den Werten von Deutschland und den Werten, wie wir hier leben, identifiziert, dass er keine politische Botschaft senden wollte“. Irgendwann müsse auch mal Schluss sein. Unmutsäußerungen hätten auch Mesut Özil erreicht, der wegen einer Knieprellung nicht zum Einsatz kam. Der 27 Jahre alte Gündogan twitterte am Samstag: „Letztes Spiel vor der Weltmeisterschaft und immer noch dankbar, für dieses Land zu spielen.“ Özil ging wieder wortlos: Der 29-Jährige glaubt, mit dem Besuch beim Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier genügend Abbitte geleistet zu haben. Offenbar scheint aber die Macht des Bildes mit Überreichen eines – im Fall Gündogan sogar handsignierten – Trikots an Erdogan zu erdrückend.
Die deutsche Delegation hofft nun, dass sich bei den WM-Spielen die mitreisenden Fans auf
die Unterstützung beschränken. Sicher ist das nicht. „Ich bin selbst gespannt, welche Reaktionen es in Russland noch geben wird“, sagte Löw. Die Mitspieler des aus Gelsenkirchen stammenden Duos appellierten darauf, die beiden nicht noch weiter auszugrenzen. „Jetzt wissen wir alle, dass das nicht sehr gut ankam in Deutschland. Ab jetzt bitte ich die Leute einfach darum, daran zu denken, dass wir Weltmeister werden wollen – und dafür brauchen wir den Illy ebenso wie den Mesut“, erklärte Stürmer Mario Gomez stellvertretend. Besser hätte es Oliver Bierhoff nicht formulieren können.