Tuchel beim FC Bayern: Flach diagonal, die Ecken abgeschnitten

Eine Kopfnuss, einen Tritt in den Hintern, und das Spielfeld diamantenförmig abgesteckt: Thomas Tuchel geht an seinem ersten Trainingstag bei den Bayern gewaltig auf Tuchelfühlung.
Der Zauberer kam gleich mal zu spät. Um 11:06 Uhr, handgestoppt, betrat Thomas Tuchel den Trainingsplatz in der für die Außenwelt weitgehend abgesperrten Säbener Straße, sechs Minuten nach dem offiziellen Beginn. Er stülpte sich Mütze und Handschuhe über, weil es, dem Tief über Spitzbergen sei dank, plötzlich „zapfig kalt“ (Bayern-TV) geworden war in München, drei Grad plus. Wahrscheinlich aber auch nicht viel kälter als die Bayern-Bosse, als sie ihrem vormaligen Trainer Julian Nagelsmann den Stuhl vor die Tür gestellt haben. Dann noch geschwind Stoppuhr und Pfeife vor die magere Brust gehängt und los ging´s mit der neuen Ära. Die Ära Thomas Tuchel. Ob sie wohl länger anhält als jene seines Vorgängers? Julian Nagelsmann war ja bei den Bajuwaren einst als Langzeitprojekt angelegt worden.
Thomas Tuchel also, erstes Training, das die Öffentlichkeit 15 volle Minuten beobachten durfte und Kiebitze per Blick durch Löcher im Sichtzaun, dann wurde dicht gemacht. Ganzgeheimtraining, wie das so üblich ist mittlerweile, aber zuvor hat man doch ein paar sehr erhellende Dinge mitbekommen. Etwa, dass das lockere Warmlaufen von einem echten Professor angeleitet wird, Professor Dr. Holger Broich gab das Tempo vor, allerdings folgten dem studierten Leistungsdiagnostiker nur elf Bayern-Profis.
Der große Rest hatte andere Aufgaben, Belgien Paroli bieten oder ähnliches. Elf Bayern-Spieler, darunter eine handvoll Amateure, und Leroy Sané, Eric-Maxim Choupo-Moting, Joao Concalo, Bouna Sarr und der ewige Thomas „Radio“ Müller hatten also das exklusive Vergnügen, mit dem Heiland im Trainingsanzug arbeiten zu dürfen. Der sehr asketische Mann hat ja eine ganz besondere Herangehensweise an den Fußball und seine Spieler, Bouna Sarre bekam etwa zur Begrüßung eine Kopfnuss, Leroy Sané einen Tritt in den Allerwertesten. Das macht er gerne, der lustige Herr Tuchel, auch Mbappé begrüßte er so einst bei PSG, Aubameyang ebenso in Dortmund, und bestimmt wird Tuchel die Ecken des Spielfeldes trainingshalber abschneiden, um den Raum zu verengen und in einer diamantförmigen Raute diagonal flach nach vorne spielen zu lassen, so wie Thomas Tuchel stets spielen und trainieren lässt, tuchelmäßig kompliziert. Und nie, nie, niemals elf gegen elf übers ganze Feld. Sein Credo: Wer das Spiel vom Samstag im Training kopieren will, hat schon verloren. Oder so ähnlich.
Der Erfolg gibt dem Fußball-Nerd ja Recht, den Champions-League-Pokal hat er in der Tasche, er hat Artisten (Neymar, Messi) gezähmt und Mainz 05 etabliert, einem Streit mit dem Führungszirkel pflegt er nur sehr selten aus dem Weg zu gehen, insbesondere dann, wenn er ihn in Fußballfragen allenfalls für semikompetent hält (Salihamidzic?).
Und ihn dürfte auch nicht groß stören, dass er gleich mit einem Endspiel beginnen darf. Da kann man, besser: muss man Borussia Dortmund gleich mal zeigen, wo der Bartel den Most holt. Dass er erst am Freitag seinen kompletten Kader zur Verfügung hat, birgt bei einem wie Tuchel keine Gefahr. Der Mann wird ja wohl binnen eines Tages den verwöhnten Kickern Beine machen können. Offiziell sagt der Coach des Zweitplatzierten (sic!) FC Bayern was anderes: Die Herausforderung am Samstag könnte „nicht höher sein“, das Spiel, flötet er, „hat eine ganz neue Brisanz bekommen“, sie ergebe sich „durch unseren Rückstand in der Tabelle und den außergewöhnlichen Ergebnislauf des BVB“. Aha.
480 Kilometer Luftlinie von der Säbener Straße entfernt in Dortmund-Brackel betonte Sportdirektor Sebastian Kehl, dass das alles unwichtig sei. „Ich weiß nicht, ob der FC Bayern mit Thomas Tuchel besser sein wird als vorher unter Julian Nagelsmann“. Dass der neue Münchner mal ein am Ende in Dortmund ungeliebter Trainer war, lächelte Kehl schnell weg. „Das spielt überhaupt keine Rolle.“ Ganz bestimmt nicht. mit sid