Traumtore, Gänsehaut und Spott für den Ex bei Darmstadt 98

Die Lilien fertigen Werder Bremen samt Trainer Markus Anfang mit 3:0 ab. Präsident Rüdiger Fritsch widerspricht dem ehemaligen Chefcoach.
Beide Trainer standen sie in ihrer Coaching Zone, nur fünf, sechs Meter voneinander entfernt und schauten zu Boden. Sie hörten ja, was da gerade geschah wenige Sekunden vor dem Abpfiff des Spiels. Hauptsache jetzt keine Gefühlsregung erkennen lassen, so verschieden diese wohl auch ausgefallen wären. Torsten Lieberknecht und Markus Anfang, der Darmstädter und der Ex-Darmstädter, sie nahmen nur noch wahr und regten sich nicht. „Lieberknecht, Lieberknecht, Lieberknecht“ hallte es also in diesem Moment freudig durchs mit 13 000 Fans erstmals wieder vollbesetzte Stadion am Böllenfalltor, flugs gefolgt vom vor Hohn und Spott triefenden Gesang in Richtung des anderen Übungsleiters: „Siehst du Anfang, so wird das gemacht, so wird das gemacht.“
Den Fans des Fußballzweitligisten SV Darmstadt 98 war es ein innerliches und auch nach außen posauntes Fest, am Sonntag nicht nur den Bundesligaabsteiger SV Werder Bremen mit 3:0 (1:0) nach Hause geschickt zu haben, sondern auch ihren im Sommer etwas überraschend in den hohen Norden abgewanderten Ex-Coach Anfang. Das hatten sie ihm nicht verziehen, das ließen sie ihn spüren, obwohl Anfang gerade erst vor ein paar Monaten eine herausragende Rückrunde mit den Lilien zu Ende gebracht hatte. So schnell geht’s eben manchmal im Fußball.
Bereits im Vorfeld der Begegnung hatten sich Ex-Trainer und Ex-Präsident ein verbales Fernduell über die Medien geliefert. Markus Anfang sagte da, er sei schon einst bei seinem Amtsantritt in Darmstadt mit den Bossen darüber einig gewesen, bei einem Angebot eines größeren Vereins die Südhessen verlassen zu dürfen. Davon gepiekst, platzte Rüdiger Fritsch, der Lilien-Präsident. Er widersprach und trieb Anfang damit in die Rolle des Flunkerers. Und die Wahrheit? Wer weiß das schon genau, eine schriftlich fixierte Ausstiegsklausel in Anfangs Vertrag soll es jedenfalls nicht gegeben haben. Freunde, das scheint klar nach diesem Verbalscharmützel, werden Anfang und Fritsch künftig eher nicht mehr.
Lieberknecht-Sprechchöre
Auf dem Rasen ging es vom Anpfiff weg ebenfalls recht ruppig zur Sache. Nach 14 Minuten waren drei Spieler verwarnt. Vor den beiden Toren jedoch tat sich lange Zeit wenig. Teile der Darmstädter Fans nutzten die Zeit, ihren ehemaligen Coach mit im Fußball leider wohl üblichen Beschimpfungen zu besingen. Es war freilich kein schlechtes Fußballspiel, bloß neutralisierten sich die Mannschaften meist irgendwo in der Mitte des Feldes. Erst nach einer halben Stunde verlagerte sich das Spielgeschehen vermehrt in die Bremer Hälfte, ohne dass sich ein Tor der Gastgeber abzeichnete – bis, ja bis Fabian Holland nur Sekunde vor dem Pausenpfiff draufknallte. Halblinke Position, 25 Meter, Brustannahme, Dropkick, ziiiiisch, 1:0 für Darmstadt (45.), ein Traumtor.
In der zweiten Hälfte erhöhten die Gäste den Druck, mit Niclas Füllkrug kam ein zweiter Mittelstürmer, ehe doch auf der anderen Seite der Ball im Netz zappelte. Der Hauptakteur: Nicolai Rapp, noch so eine Ex-Lilie in Diensten der Bremer. Der Mittelfeldmann leitete das Tor mit einem Traumpass ein, allerdings im wahrsten Sinne des Wortes. Rapp wollte im Spielaufbau zum eigenen Torhüter zurück passen, übersah dabei den Darmstädter Angreifer Luca Pfeiffer, der das Geschenk annahm und freistehend einschoss (65.). Leichtes Spiel für den Torjäger, ganz im Gegensatz zum 3:0 nur sechs Minuten später, als Pfeiffer mit einem herrlichen Volleyhammer aus spitzem Winkel nachlegte und den Endstand erzielte (71.). Es war bereits das 24. Tor der Darmstädter in dieser Saison, ligaspitze, sie sind damit noch treffsicherer als Spitzenreiter FC. St. Pauli.
Nach dem Abpfiff eilte Lieberknecht direkt zu Gegenüber Anfang, eine lange Umarmung. Motto: Mach‘ dir nichts draus, Markus. Ein wichtiger Moment, dem ein emotionaler Abschluss folgte. Als die Spieler schon längst auf dem Weg in die Kabinen waren, trat Lieberknecht noch alleine vor die Fans. Sprechchöre ertönten, der Trainer, sichtlich angefasst, schob den Ärmel seines Pullis nach oben und bedeutete eine Gänsehaut. Die Rufe wurden immer lauter: „Lieberknecht, Lieberknecht, Lieberknecht“.