1. Startseite
  2. Sport
  3. Fußball

Torwartdebatte beim FC Bayern: Das Sommer-Theater

Erstellt:

Von: Jan Christian Müller

Kommentare

Vergebliche Flugshow: Yann Sommer beim ersten Gegentor in Manchester.
Vergebliche Flugshow: Yann Sommer beim ersten Gegentor in Manchester. © IMAGO/Revierfoto

Der Torhüter des FC Bayern ist zum Streitthema geworden. Dabei ist die Diskussion um Yann Sommer als Vertreter von Manuel Neuer vielschichtig - und nicht immer gerecht

Es ist zuletzt eine ganze Menge ausgeschüttet worden über Yann Sommer. Er ist das zuvor nicht gewohnt gewesen. Fast zehn Jahre lang war er nicht nur der bestaussehendste Torwart der Fußball-Bundesliga, sondern hat sich im gehüteten Mönchengladbach auch sportlich allerhöchste Anerkennung erworben. Zwar bloß 1,83 Meter groß, aber versehenen mit der Sprungkraft eines schwarzen Panthers, der Ballbehandlung eines Feldspielers und der Ruhe eines: Schweizers!

Seit drei Monaten ist der am Genfer See geborene 82-fache Nationalspieler nun Angestellter des FC Bayern. Geholt im Winter in der Not, weil Manuel Neuer sich das rechte Schienbein beim Skiwandern gebrochen hatte. Sommers guten Ruf ließen sich die Bayern acht Millionen Euro Ablöse kosten, weil sie es Neuers angestammten Stellvertreter Sven Ulreich nicht zutrauten, die Lücke verlässlich zu schließen. Das ernüchternde Zwischenfazit: Bisher hat Sommer im Vergleich zu Ulreich kein Upgrade erkennen lassen. Der Mann, der am vierten Spieltag dieser Saison noch als Gladbach-Keeper beim 1:1 in München den FC Bayern mit 19 Paraden in den Wahnsinn trieb, bekommt die grellere mediale Ausleuchtung in der bayerischen Hollywood-Version gerade zu spüren.

Auch an diesem Mittwoch (21 Uhr/Dazn), im Rückspiel der Champions League gegen Manchester City, wird das so sein. Das 0:3 im Hinspiel hat Yann Sommer laut überwiegender Expertenmeinung qua Körpergröße mitzuverantworten, wie auch das 1:1 am Samstag gegen die TSG Hoffenheim.

In beiden Fällen gelangte er bei Schüssen in Richtung des aus seiner Sicht rechten Winkels nicht mehr abwehrentscheidend an den Ball. Tadel in unterschiedlich scharfen Nuancen gab es unter anderem von der belgischen Torwart-Ikone Jean-Marie Pfaff, von den Ex-Nationalhütern Roman Weidenfeller und René Adler sowie den TV-Experten Peter Neururer und Didi Hamann. Die Lektüre Sozialer Netzwerke sollte Sommer derzeit besser aus Selbstschutz unterlassen.

Eine Verteidigungslinie ist gleichwohl ebenso sichtbar. Der Schweizer Nationaltrainer Murat Yakin konterte Hamanns Kritik, Sommer sei in Manchester „heillos überfordert“ gewesen, als „unverständlich“ und „respektlos“, ganz ähnlich äußerte sich Mönchengladbachs Sportchef Roland Virkus. Bayern- Trainer Thomas Tuchel entgegnete der Kritik nach dem Tor durch Rodris Weitschuss in Manchester mit Ironie: „Wenn Yann 30 Zentimeter größer wäre und vorher schon in der Ecke gestanden hätte, hätte er den Ball gehalten.“

Weit oben in der Rangliste

Noch in diesem Winter schaffte es Sommer vor dem Frankfurter Kevin Trapp hinter seinem Schweizer Nationalmannschaftskollegen Gregor Kobel (Borussia Dortmund) auf Platz zwei der Torwart-Rangliste im Fachblatt „Kicker“, weit vor Manuel Neuer, den die gestrengen Juroren nach einer durchschnittlichen Bundesligasaison und einer auffällig schwachen Weltmeisterschaft zu Recht nur auf Rang sieben platzierten.

Jedoch: Wenn Sommer für den FC Bayern weiter so spielt wie seit seiner Verpflichtung (mit Vertrag bis 2025), dürfte er es in diesem Frühjahr gar nicht in das Besten-Tableau schaffen.

Denn abgesehen von den Gegentoren in Manchester und gegen Hoffenheim, die Weltklassekeeper in Topform mit einiger Sicherheit entschärft hätten, wirkte Sommer auch in der Champions League in Paris und in der Bundesliga in Stuttgart keinesfalls souverän, jeweils musste Verteidiger Matthijs de Ligt nach Sommer-Patzern in höchster Not klären. Beim 2:3 an seiner alten Wirkungsstätte in Mönchengladbach unterließ es Sommer, bei einem langen Pass auf Alassane Plea seinen Strafraum zu verlassen und so von vorne herein die Situation zu vermeiden, die in der Folge zum Platzverweis von Bayern-Stopper Dayot Upamecano führte.

Den insgesamt ausbaufähigen Eindruck, den Sommer bislang in München hinterlassen hat, können auch einzelne beeindruckende Großtaten, besonders in Eins-zu-Eins-Situation, nicht kaschieren. Die Statistik bestätigte das: Sommer liefert mit lediglich 58,5 Prozent abgewehrten Bällen die schlechteste Quote aller Bayern-Keeper der vergangenen 30 Jahre, Ulreich kommt auf 66,5, Neuer auf 74,4 Prozent.

Wahr ist aber auch, dass der 37-jährige Neuer schon vor seinem Unfall geraume Zeit nicht mehr jenes Niveau präsentierte, mit dem er das Torwartspiel weltweit auf eine neue Stufe gehoben hat. Der Zahn der Zeit nagt sichtbar auch am vormaligen Welttorhüter. Nicht nur bei der WM 2022 in Katar agierte Neuer bei Gegentoren gegen Japan und Costa Rica nicht so, wie man es in besten Tagen von ihm gewohnt war.

Wenig Demut bei Neuer

In seinem mit Anlauf zur Abrechnung mit Ex-Trainer Julian Nagelsmann geratenen Interview waren angemessene Töne von Selbstkritik wenig herauszulesen. Ebenso wenig wie die im Profifußball vielzitierte Demut angesichts eines selbstverschuldeten Unfalls, der dem Klub allein für den Transfer von Sommer inklusive Gehalt eine zweistellige Millionenbetrag kostet - und nun wohl auch die Qualifikation für das Halbfinale der Königsklasse.

Der „Kicker“ merkte zuletzt an, einer wie Alphatier Neuer mit seinem Erscheinungsbild führe schon im Kabinengang zu einer gewissen Verzagtheit bei den Gegnern. Tuchel sagt: „Ich bin mir zu hundert Prozent sicher, dass der Manu es noch mal wissen will.“ Es darf dringend vermutet werden: Yann Sommer erlebt gerade keine Frühlingsgefühle.

Auch interessant

Kommentare