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Hansi Flick in Takatukaland

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Von: Jan Christian Müller

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Sieht auch die positiven Dinge: Bundestrainer Hansi Flick. Foto: dpa
Sieht auch die positiven Dinge: Bundestrainer Hansi Flick. Foto: dpa © dpa

Das zarte Pflänzchen ist schon zertreten, die Aufbruchstimmung dahin: Die DFB-Auswahl wird teilweise vorgeführt, der Bundestrainer sieht positive Dinge. Das kann nicht gut gehen. Der Kommentar.

Die Älteren unter uns – und hoffentlich auch die Jüngeren – kennen das Pippi-Langstrumpf-Lied noch auswendig: „Zweimal drei macht vier, und drei macht Neune – ich mache mir die Welt, wie sie mir gefällt.“

Hansi Flick hat die schöne Weise nun ins Fußballdeutsch übersetzt. Bei ihm hört sich das nach bloß einem Sieg in sechs Spielen der Nations League, einem dürren Erfolg in drei Spielen zum WM-Aus, einem 2:0 gegen Peru und einem 2:3 gegen Belgien in den beiden ersten Testspielen 2023 so an: „Wir haben mit Ball enorm gute Qualität.“ Oder: Die Trainingseinheiten seien „sehr konzentriert, sehr fokussiert“ und mit „sehr hoher Intensität“ verlaufen. Oder: „Wir sind mit den Erkenntnissen sehr zufrieden.“ Oder: „Es gefällt mir, wie Kimmich die Mannschaft anführt.“ Oder: „65 Minuten war das von uns ein gutes Spiel.“

Tja, 65 Minuten war das auch ein halbwegs gutes Spiel bei der Weltmeisterschaft gegen Japan. Es ging allerdings 1:2 verloren. Und mit Verlaub: 65 Minuten reichen halt nicht, wenn man nach 25 Minuten schon dem Herrgott oder sonst wem danken kann, dass man gegen die Co-WM-Enttäuschung Belgien nicht schon nach ein paar Ballstafetten 0:3 oder 0:4 hinten liegt, sondern nur 0:2.

Okay, Flick ist rhetorisch ehrlicherweise nicht nur durchs Takatukaland von Pippi Lotta Viktualia gestreift, sondern hat en passant noch ein paar harte Facts erwähnt. Es habe ihm zum Beispiel geraume Zeit „die Geilheit“ gefehlt, Bälle zu erobern und „Zweikämpfe anzunehmen“.

Das war in der Tat offenkundig und konnte somit nicht verschwiegen werden. Und sicher war es auch allemal ehrenwert, dass die deutsche Fußballmannschaft sich nach all der Konfusion nicht hängen ließ, sondern vom eilig eingewechselten emotional und physical Leader Emre Can noch rechtschaffen vorangetrieben wurde. Aber bei allem Lob, das danach auf den Dortmunder niederprasselte: Er spielt jetzt ein paar Monate auf wirklich sehr passablem Niveau, nachdem er zuvor jahrelang bis auf einige lichte Momente nicht mehr als gehobenen Schnitt präsentiert hatte. Dass das mehr als bloß eine gute Phase im Profileben des Emre Can ist, gilt es noch zu beweisen. Für die WM war er nicht gut genug, jetzt soll er bei der EM die Kartoffeln aus dem Feuer holen? Nun ja.

Und sicher befindet sich auch der als Münchner Vereinscoach (zu?) hochgelobte Bundestrainer in einer Art Beweispflicht. Es gibt gerade nämlich keine bösen Bindendebatten, die Unruhe stiften und Leistung mindern. Es gibt keine hinterlistige Fifa, die Pressekonferenzen in der DFB-fernen Hauptstadt des WM-Gastgeberlandes ausrichtet. Es gibt keine nörgelnden Fans und Medien, die sich für Menschenrechte einsetzen statt für die Kraft des Fußballs, sondern fette Unterstützung in den Stadien und brave Wegbegleitung im Gros der veröffentlichten Meinung. Es sind keine Spieler verletzt, sondern einige der Besten einfach mal zu Hause gelassen worden. Es gibt keine Ausreden mehr, dass andere Schuld sind.

Und es wäre hilfreich, wenn schlichte Fachfragen wie etwa jene, weshalb die ihr halbes Profileben gemeinsam Fußball spielenden internationalen Klassespieler Joshua Kimmich und Leon Goretzka es wiederholt nicht hinkriegen, ihre Arbeit zum Vorteil des Gemeinwesens aufzuteilen, vom Bundestrainer nicht bloß abmoderiert, sondern mit ein wenig Tiefe beantwortet würden. Oder besser noch: Wenn auf dem Platz eine Idee erkennbar wäre, die dieses auch Fußballlaien offenkundige Defizit einer Lösung zuführt.

Sommermärchen 2.0?

Die Fans in Mainz und Köln haben sich bei den beiden Auftaktländerspielen nach der WM angestrengt, dem Team hilfreich zu sein. Flick hat sich dafür angemessen bedankt. Beide Male waren die Arenen dann doch noch ausverkauft worden, wenn auch erst spät, aber immerhin. Die Nationalmannschaft und der DFB, die über viele Jahre hinweg sportlich, wirtschaftlich und emotional abgewirtschaftet haben, bekommen noch immer Liebe ab. Die Leute werden sehr genau beobachten, wie viel davon zurückgegeben wird. Ein Sommermärchen 2.0 kommt 2024 nicht mal eben um die Ecke geflitzt.

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