SV Darmstadt 98: Ein Hamburger steuert Richtung Bundesliga

Der Zweitliga-Spitzenreiter SV Darmstadt 98 erwartet den HSV zum Spitzenspiel. Der gebürtige Hamburger Carsten Wehlmann steckt hinter der klugen Kaderplanung bei den Lilien.
In Hamburg ist Carsten Wehlmann immer wieder gerne. Wenn der 50-Jährige wie vergangenen Sonntag das Volksparkstadion besucht, um den Hamburger SV zu beobachten, dann hat er seinen Heimathafen angesteuert. Bei ihm vereinen sich viele der Klischees, die mit dem Tor zur Welt in Verbindung gebracht werden. Sein Vater war Kapitän, er hat eine Ausbildung zum Schifffahrtskaufmann gemacht.
„Was Anständiges gelernt“ zu haben, wie er sagt, hat ihm für die Zeit nach der aktiven Karriere viel gegeben. Erst als Sportkoordinator, inzwischen als Sportlicher Leiter hat Wehlmann, obwohl nicht immer wohl gelitten bei den Fans, großen Anteil daran, dass die Südhessen als Spitzenreiter ins Zweitliga-Gipfeltreffen mit dem Hamburger SV (Samstag 20.30 Uhr/Sport1 und Sky) gehen.
Kein Kader wirkt so klug komponiert, keine Mannschaft so gefestigt wie die trotz Verletzungsproblemen mit vier Punkten Vorsprung führenden Darmstädter. Wehlmann aber hält Aufstiegsparolen weiterhin für deplatziert, „bei uns läuft niemand jeden Tag mit der Tabelle herum“. Aber er hätte auch nichts dagegen, wenn das derzeitige Tabellenbild am Ende so bliebe. Als einer der besten Zweitliga-Torhüter zog es den im Hamburger Stadtteil Eidelstedt aufgewachsenen 1,91-Meter-Mann zur Jahrtausendwende vom FC St. Pauli zum damals in der Champions League spielenden HSV, wo allerdings mit Hans-Jörg Butt ein Publikumsliebling zwischen den Pfosten stand, der auch noch Elfmeter schoss.
Wehlmann ist der Macher
Weil sich der Ersatzkeeper gleich im August 2000 einen Trümmerbruch am Finger zuzog, machte er nie ein Profispiel für die Rothosen, aber missen möchte er die aufregende Zeit auf keinen Fall. „Da hat man schon eine andere Welt mitbekommen. Grundsätzlich bin ich bodenständig geblieben und aufgewachsen, um die Dinge realistisch einzuschätzen“, sagt Wehlmann heute.
Diesen pragmatischen Ansatz hat er auf seinen Arbeitgeber übertragen. Wehlmann gibt einen jener Manager, die gerne unter dem Radar fliegen. Als Sprücheklopfer eignet sich dieser Macher mitnichten. Ruhig und sachlich, typisch norddeutsch eben, erledigt er sein Handwerk. Auch seinetwegen leuchten die Lilien.
Und das Team mit einem Team ohne Stars. Bester Torschütze ist aktuell Philipp Tietz (acht Treffer), der wie die meisten ablösefrei kam. Den 25-Jährigen entdeckte der in Mainz wohnende Wehlmann fast um die Ecke beim Drittligisten SV Wehen Wiesbaden. Spieler in den Nischen entdecken und geduldig ihr Potenzial heben, lautet ein Darmstädter Prinzip.
Ein Prozess, der immer nachhaltiger werden soll, anders als vor ein paar Jahren, als man am Böllenfalltor immer auch über Leihgeschäfte die Konkurrenzfähigkeit des Kaders herstellen musste. Noch letzten Sommer kam Tietz‘ Sturmpartner Luca Pfeiffer abhanden, weil eine feste Verpflichtung für die Darmstädter nicht darstellbar war.
Niemand ist unersetzlich, das wissen sie inzwischen. Unter Trainer Torsten Lieberknecht hat der Darmstädter Kader auch aus sich selbst heraus eine Tiefe entwickelte, die man ihm auf den ersten Blick gar nicht zutraut. Einer wie Angreifer Braydon Manu, 25, ist nach schwierigen Jahren nun ein wichtiger Mann, hat in 18 Einsätzen fünf Tore und fünf Vorlagen geliefert. Marvin Mehlem, ebenfalls 25, hat seinen Status als ewiges Talent abgeschüttelt und zeigt konstant gute Leistungen als Kreativkraft und Fleißbiene.
Zwei Beispiele nur, stellvertretend für den Darmstädter Weg, der auch der Weg von Carsten Wehlmann ist: mit Geduld und Vertrauen an Lösungen arbeiten. Ruhiges, sachliches Handwerk eben. Sehr gut möglich, dass es bald in der Bundesliga auf den Prüfstand kommt.