„Spiele in den Arenen sind der falsche Ansatz“

Sofian Chahed. Trainer bei Turbine Potsdam, über das Pokalfinale, die große Kluft zum VfL Wolfsburg und neue Ideen für die Liga
Herr Chahed, bevor wir über das DFB-Pokalfinale der Frauen mit Turbine Potsdam reden: Wie erleichtert waren Sie am Montagabend als ehemaliger Spieler von Hertha BSC nach den Relegationsspielen gegen den HSV?
Sehr erleichtert. Aber wenn ich offen und ehrlich bin, war ich einer der wenigen, die daran geglaubt haben. Das 0:1 im Hinspiel war für die Hertha sogar besser, weil sie aktiv sein mussten im Rückspiel. Das wusste auch Felix Magath genau.
Turbine Potsdam und Hertha BSC unterhalten bekanntlich eine Kooperation, die auch finanzielle Unterstützung vorsieht. Hätte ein mit erheblichen wirtschaftlichen Folgen versehener Bundesliga-Abstieg auch Auswirkungen auf Turbine Potsdam gehabt?
Kurzfristig hätte sich wohl nichts getan, aber langfristig bestimmt. Insofern freue ich mich extrem, dass Hertha die Klasse gehalten hat. Die Zusammenarbeit ist zum einen finanzielle Hilfe, zum anderen aber auch im strukturellen Bereich wichtig. Wir bekommen Unterstützung bei der Videoanalyse, unsere Mitarbeiter hospitieren auf der Hertha-Geschäftsstelle, im Social-Media-Bereich arbeiten wir zusammen.
Die Lizenzvereine unter dem Männerdach schießen Millionenbeträge dazu, um konkurrenzfähig zu sein, denn durchschnittlich kommen an Einnahmen pro Frauen-Bundesligist gerade mal knapp 1,3 Millionen Euro rein, die Aufwendungen betragen aber fast das Doppelte. Hat Turbine Potsdam in seinen Strukturen überhaupt eine Zukunft?
Ich finde schön, dass Turbine Potsdam immer noch Turbine Potsdam ist, weil hier eine große Tradition im Frauenfußball dahintersteht. Aber nichtsdestotrotz wird es für uns die nächsten Jahre extrem schwer, weil der wirtschaftliche Aspekt eine ganz bedeutende Rolle spielt. Um Spielerinnen zu halten, braucht es professionelle Strukturen. Manches können wir uns einfach nicht leisten. Daher kann ich dann Spielerinnen wie Sara Agrez, die als unsere Kapitänin nun den nächsten Schritt beim VfL Wolfsburg macht, oder Melissa Kössler, die zur TSG Hoffenheim wechselt, sogar verstehen. Wir als eingetragener Verein dürfen nur das ausgeben, was wir einnehmen – und dementsprechend klein ist unser Budget. Die Lizenzvereine haben teils mehr als das Dreifache zur Verfügung.
Wäre es wünschenswert, sich ganz Hertha BSC anzuschließen, zumal ja auch Union Berlin bald in der Frauen-Bundesliga spielen und offenbar auch Viktoria Berlin seine Frauen-Abteilung ausgliedern möchte?
Ich als Trainer mache mir auch meine Gedanken. Ich bin froh, dass ich diese schwierige Entscheidung nicht treffen muss – dafür ist unser Präsidium zuständig. Natürlich besteht die Gefahr, dass wir den Anschluss verpassen, wenn andere Berliner Vereine in den Frauenfußball investieren. Nicht, dass wir am Bahnhof stehen bleiben und der Zug fährt ab – da müssen wir auf jeden Fall mit draufspringen.
Turbine Potsdam hat über Jahre den Frauenfußball national und international geprägt, aber der letzte Titel war die Meisterschaft 2012. Ein Pokalsieg zehn Jahre später käme doch sehr recht, oder?
Sicherlich. Doch Wolfsburg ist sieben Mal nacheinander Pokalsieger geworden, ist seit mehr als 50 Pokalspielen ungeschlagen – da liegt ein schöner Brocken vor uns (lacht). Die Kräfteverhältnisse bei den Frauen sind andere als bei den Männern, wenn der Vierte gegen den Ersten der Bundesliga spielt. Wolfsburg spielt als Meister komplett in einer anderen Liga – wir haben mit Platz vier im Rückblick das Optimale herausgeholt. Jetzt wollen wir im Pokalfinale unser Bestes geben, und ich kann versprechen, dass wir nicht den Bus vor unserem Tor parken werden (lacht).
Ziehen Sie eigentlich den Hut vor dem Kollegen Tommy Stroot, der jetzt seinen Vertrag bis 2025 verlängert hat, weil er auf Anhieb das Double gewinnen kann und bis ins Halbfinale der Champions League gekommen ist?
Definitiv. Wolfsburg hat für mich eigentlich den etwas schlechteren Kader als der FC Bayern, aber sie haben Spielertypen, die in den entscheidenden Momenten voll da sind. Sie haben bis auf den Ausrutscher beim FC Barcelona (1:5, Anm. d. Red.) immer ihre Leistung gebracht – und da hat Tommy Stroot seinen Anteil.
Zwei Endspiele in Köln haben vor leeren Rängen stattgefunden. Vor der Corona-Pandemie war der DFB schon froh, wenn knapp 20 000 Zuschauer kamen. Wolfsburgs Torhüterin Almuth Schult wünscht sich 25 000, eher 30 000 Fans zu ihrem Abschied. Was wäre aus Ihrer Sicht denn eine angemessene Kulisse?
Zur Person
Sofian Chahed, 39, ist seit 2020 Trainer beim Frauen-Bundesligisten Turbine Potsdam. Zuvor arbeitete der ehemalige Bundesligaspieler von Hertha BSC und Hannover 96 im Nachwuchsbereich der Hertha. Der gebürtige Berliner hat vier Mal für die tunesische Nationalelf gespielt. FR
20 000, 25 000 fände ich schön, aber das Interesse ist eben nicht so groß wie bei den Männern. Ich weiß, dass der DFB über alle Kanäle probiert, Karten zu verkaufen. Von uns kommen auf jeden Fall zwei Fanbusse mit.
Um das Interesse in der Frauen-Bundesliga zu erhöhen, sollen in der nächsten Saison vermehrt Highlight-Spiele in den großen Arenen stattfinden. Halten Sie das für gut?
Nein. Es macht viel mehr Spaß in einem kleinen, gut besuchten Stadion als in der Münchner Arena vielleicht vor 7000, 8000 Zuschauern zu spielen. Ich halte das für den falschen Ansatz. Ich habe bei Hertha BSC viele Spiele in einem halbleeren Olympiastadion bestritten; es hat damals viel mehr Spaß gemacht, auswärts beim FC St. Pauli oder Dynamo Dresden anzutreten. Nur wenn ein Stadion voll ist, kommt Stimmung rüber. Für ein Heimspiel in der Champions League gegen den FC Barcelona mag das der richtige Weg sein, aber nicht für die Bundesliga.
Sie haben von 2016 bis 2020 als Jugendtrainer bei Hertha BSC gearbeitet, ehe Sie den Schritt in den Frauenfußball unternommen haben. War das eine ganz bewusste Entscheidung?
Ja, ich habe damals bei Hertha eben nicht die nächsten Schritte als Trainer machen können. Als die Anfrage von Turbine kam, habe ich mich ernsthaft damit beschäftigt und ganz bewusst dafür entschieden. Die Umstellung war nicht schwer. Es ist Fußball, der Ball ist rund und das Ziel ist dasselbe: ein Tor mehr schießen als der Gegner, auch wenn die Voraussetzungen beispielsweise bei der Athletik andere sind.
Im Frauenfußball werden nur Bruchteile der Summen wie bei den Männern bewegt. Dadurch wirkt vieles aber auch bodenständiger. Nehmen Sie das auch als Vorteil wahr?
Ja, die Frauen sind nicht so abgehoben wie teilweise die Männer. Das macht einfach Spaß und wirkt ehrlicher. Dennoch glaube ich, dass es anspruchsvoller ist, ein Frauenteam zu trainieren als eine Männermannschaft. Viele Spielerinnen bei uns arbeiten nebenher noch, machen ein Studium oder verdienen sich etwas dazu – ich arbeite nicht mit Vollprofis wie bei Wolfsburg oder Bayern.
Haben Sie vor, bald wieder im Männerfußball zu arbeiten?
Ich habe für drei weitere Jahre in Potsdam unterschrieben, weil ich mich hier sehr wohlfühle. Es könnte irgendwann auch mal wieder zurückgehen, aber dafür gibt es jetzt keine konkreten Pläne.
Speziell international hat sich der Frauenfußball in dieser Saison durch das neue Format der Champions League enorm entwickelt, oder?
Es macht richtig Spaß, auf diesem Topniveau die Spiele zu gucken. Das Champions-League-Finale zwischen Olympique Lyon und FC Barcelona hat mich letzte Woche beeindruckt – wir sehen in vielen Bereichen im Frauenfußball eine Verbesserung.
Würden Sie denn dazu raten, die Frauen-Bundesliga bald schon zu vergrößern?
Wir müssen aufpassen, dass es genügend Konkurrenz gibt. Im unteren Bereich der Frauen-Bundesliga ist technisch und taktisch noch viel zu tun. Und wenn das Gefälle zu groß wird, ist niemandem geholfen. Ich will Carl-Zeiss Jena nicht zu nahe treten, aber sie sind leider sang- und klanglos abgestiegen (Letzter mit fünf Punkten und 9:88 Toren, Anm. d. Red.). Erst mal muss die Kluft zwischen den Topvereinen und dem Rest verkleinert werden, danach können wir darüber nachdenken, die Liga zu vergrößern.
Interview: Frank Hellmann
