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Ein Spiel der Illusionen

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Von: Frank Hellmann

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Einchecken mit Mundschutz.
Einchecken mit Mundschutz. © rtr

Beim Notbetrieb der Bundesliga geht es ab dem Wochenende auch um sehr viel Symbolik.

Welcome back“ heißt es in Versalien. Und: „Die Bundesliga ist zurück“. Dazu jubelt ein Fan mit erhobenen Armen und geballten Fäusten. Es ist dem Rechteinhaber Sky nicht zu verdenken, dass in Werbetrailern der Eindruck erzeugt wird, dass es mit der Bundesliga ab dem Wochenende so weitergeht wie bisher. Nach der ungewöhnlichsten Pause der Liga-Geschichte soll der Ball ab Samstag wieder rollen. Aber selbst Christian Seifert als Geschäftsführer der Deutschen Fußball-Liga (DFL), die mit dem wichtigsten TV-Partner eine Vorabzahlung auf die dringend benötigte letzte Fernsehrate ausgemacht hat, fremdelt mit der Annahme, dass man einfach so weiterspielen darf. Seifert sagte im ZDF: „Ich glaube, das entspricht nicht der Realität. Was Sie da sehen werden, ist ein absoluter Notbetrieb an Bundesliga.“ Eine gespenstische Fiktion, die mit der Wirklichkeit eines auf Gefühl und Nähe angelegten Unterhaltungsbetriebs wenig zu tun hat.

Für den surreal anmutenden Alltag haben die 36 Lizenzvereine am vergangenen Donnerstag ein 36-seitiges Organisationsrundschreiben erhalten, das weitere Details regelt. Sogar der Ball wird künftig mit Desinfektionsmittel eingesprüht. Die neuen Richtlinien gehen weit über organisatorische Vorgaben hinaus. Plötzlich heißt es: „Bei Torerzielung sind gemeinsames Jubeln, Abklatschen und Umarmung zu unterlassen. Kurzer Ellbogen- oder Fußkontakt ist erlaubt.“

Tim Meyer, Urheber des viel zitierten Hygiene- und Sicherheitskonzepts, hatte am 24. April noch festgehalten: „Spezifische Vorgaben für solches Verhalten auf dem Spielfeld möchten wir nicht erteilen.“ Er würde ungern noch Verhaltensweisen auf dem Platz inkludieren. Begründung: „Die Zuschauer würden den Fußball nicht mehr als authentisch empfinden.“

Bislang war reguliert, dass nur noch vier Balljungen am Spielfeldrand stehen, keine Einlaufkinder die Spieler anfassen, keine Greenkeeper in der Halbzeitpause den Rasen festtreten. Jetzt scheint es zusätzlich darum zu gehen, fürs Fernsehen symbolhaltige Bilder zu produzieren, die sich in der Corona-Zeit der Rücksichtnahme fügen. Aber 163 Geisterspiele in erster und zweiter Liga bis Ende Juni erfordern so viel Vorsorge und Vorsicht, dass durchaus die Sinnfrage erlaubt sein muss. Es scheint unmöglich, dass es gelingt, ein Spiel ohne Emotionen, aber voller Illusionen zu erzeugen. Das Satiremagazin „Extra 3“ stellte treffend fest: „In Stadien, in die kein Fan reinkommt, spielen Spieler, die kaum trainiert haben, für einen Bezahlsender, den fast keine Sau sieht und den man öffentlich nur in Kneipen gucken kann, die erstmal noch zu haben.“

Keine Stimmung vom Band

Die DFL hat „Leitplanken für akustische und optische Maßnahmen“ erlassen. Auf das künstliche Erzeugen einer Atmosphäre durch „Klangteppiche, digitale Overlays oder großflächige Nutzung der Tribünen als Werbefläche“ soll verzichtet werden. Pappkameraden wie im Borussia-Park von Mönchengladbach oder aber Zaunfahren sind gerade noch erlaubt. Gegen das Einspielen von Anfeuerungsrufen etwa über eine App waren die Fanorganisationen Sturm gelaufen.

Es mutet beinahe absurd an, dass die Teams extra in zwei Mannschaftsbussen zum Training und Spiel reisen, Mundschutz tragen, aber auf den Trainings- und Spielfeldern sollen dieselben Akteure eng am Gegenspieler kleben. Jeder Stellungsfehler eines Verteidigers kann als gelungene Interpretation der Abstandregeln ausgelegt werden. Der Spagat betrifft auch die Trainer. Sitzen sie auf der Bank, sollen sie Nasen-und-Mund-Schutz tragen. Rufen sie in der Coaching Zone rein, dürfen sie die Maske abnehmen – aber nur, wenn der „Trainer einen Mindestabstand von 1,50 Meter von allen anderen Personen einhält“, wie es im Kapitel zur Technischen Zone heißt. Verzichtet der Coach in der Kabine bei seiner Ansprache an die Spieler nicht ohnehin auf den Stoff?

Die Fußballlehrer spüren längst den Widerspruch, in dem sie ihre Mannschaft in Windeseile auf Vordermann bringen sollen. „Um es mal ganz deutlich zu sagen: Unser Kabinenleben bei Werder hat nullkommanull mit dem zu tun, wie es vor Corona war“, sagt Bremens Trainer Florian Kohfeldt. „Wir dürfen in den nächsten Wochen auf keinen Fall den Fehler machen, das zu vergleichen. Jeder Vergleich mit der Normalität hilft nicht weiter.“ Die Marketingstrategen benutzen die Parallele trotzdem – anders sind Geisterspiele wohl nicht zu verkaufen.

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