Schwebende Lilien

Darmstadt 98 verschafft sich mit dem 6:0 gegen Aue allerbeste Chancen auf den Aufstieg in die Bundesliga. Die Südhessen strotzen wieder vor Selbstbewusstsein.
Es ist jetzt eigentlich alles ganz einfach für den Sportverein Darmstadt von 1898, jenen Traditionsklub, der in dieser Zweitligarunde so viele Widrigkeiten zu überwinden hatte - von zwei Corona-Ausbrüche über ständige Verletzungssorgen bis hin zu Topspielniederlagen. Zwei Partien noch für die Fußballer aus Südhessen, zwei Siege - und alles wäre geritzt.
Alles ist in diesem Fall gleichbedeutend mit dem Aufstieg in die Bundesliga, einer vor der Saison nicht für möglich gehaltenen Überraschung, nachdem die Mannschaft im vergangenen Sommer ja nicht nur ihren Trainer Markus Anfang, sondern auch entscheidende Stammspieler verloren hatte. Serdar Dursun etwa, den Toptorjäger, der – wie passend - am Samstag beim lockerleicht erspielten Darmstädter 6:0 (4:0)-Heimerfolg gegen den nun sicheren Absteiger Erzgebirge Aue zugegen war im Stadion am Böllenfalltor und sich offiziell von der Lilien-Anhängerschaft verabschiedete. Seine Botschaft: „Liebe Heiner, ich bin immer einer von euch.“ Nur ein Moment von vielen, der an diesem Abend die Darmstädter Fans emotional anfasste.
Machbares Restprogramm
Doch nun zum Sportlichen, zum Darmstädter Restprogramm: auswärts in Düsseldorf, daheim gegen Paderborn - dem Tabellenzweiten stehen die Türen zur Bundesliga dank manch Patzers der Konkurrenz (siehe Artikel oben) spätestens seit dem vergangenen Wochenende sperrangelweit offen. Sie müssen nur noch durchgehen, die Lilien, bestenfalls derart zielstrebig wie sie es auch gegen Aue taten.
Der wieder erstarke Stürmer Luca Pfeiffer (16. Spielminute), Doppelpacker Tim Skarke (18., 38.), der mit einem Fischerhut jubelnde Braydon Manu (19.) sowie in Hälfte zwei noch Mathias Honsak (74.) und Tobias Kempe (90.) schossen den Erfolg heraus, der bereits nach 20 Minuten abgesichert war. Die beste Offensive der Liga überrannte die überforderten Gäste und spielte dazu einfach auch noch tollen Fußball. Die Tore waren prächtig herausgespielt, uneigennützig wurden gute Abschlusspositionen mit Querpässen zu noch besseren aufgewertet. Da stand wieder mal eine Einheit auf dem Rasen, die größte Stärke der Darmstädter Fußballgemeinschaft. Das Team vereint Spieler, die für ihr eigenes Glück keine persönlichen Hoch-Momente benötigen, sondern sie auch gerne den Kollegen gönnen und dadurch selbst irgendwann erfahren dürfen.
„Ich bin unglaublich stolz. Es war ein schwieriges Spiel mit einem gewissen Druck“, sagte hinterher der Darmstädter Spielgestalter Tobias Kempe, der wie Kapitän Fabian Holland bereits zum zweiten Mal nach 2015 mit den Lilien ins Fußball-Oberhaus aufsteigen könnte - damals übrigens auch als Zweiter.
Die Mannschaft lebt
Sie hatten nämlich durchaus etwas zu verlieren in Darmstadt bei diesem Spiel gegen Aue, zum Beispiel die sie bereits (fast) die ganze Saison auszeichnende Leichtigkeit aufgrund dieser immer enger werdenden Tabellenkonstellation. Aber, so Anführer Kempe, nach den frühen und deshalb so wichtigen Toren „hat uns die Atmosphäre durchs Spiel getragen“. Es sei für ihn, Kempe, in jeder Woche einfach nur „geil zu sehen“, wie die Mannschaft lebe - und der Bundesliga entgegen schwebt.
Trainer Torsten Lieberknecht attestierte seiner Truppe denn auch „ein herausragendes Spiel vor einer herausragenden Kulisse“ und lag damit absolut richtig. Ebenso wie mit seiner Ansage für das verbleibende Spiele-Doppel auf dem Weg zum großen Traum: „Jetzt wollen wir einfach weitermachen, mit Düsseldorf kommt am nächsten Freitag ein absolutes Vollbrett.“
Durch ist natürlich noch lange nichts, der Trainer weiß das, die Spieler wissen das. Es würde zu dieser verrückten Liga passen, behielte sie im Aufstiegsrennen noch einige Irrungen und Wirrungen bereit. Freilich: In Darmstadt sollten sie sich freimachen von möglichen Verlustängsten. Vielmehr gilt: zwei Spiele, zwei Siege, und alles wäre geritzt. Eigentlich einfach.