Schiris im Visier: „Ich bring dich um“

Der DFB wirbt um mehr Respekt gegenüber Schiedsrichtern, doch das Gegenteil passiert auf Amateur-Fußballplätzen und viele fragen sich: „Warum tue ich mir das an?“.
Als der Mainzer Fußballprofi Anton Stach neulich zum Start ins vom DFB ausgerufenen „Jahr der Schiris“ die Begegnung VfR Nierstein gegen den TSV Mommenheim in der Bezirksliga pfiff, kam der Nationalspieler auch mit seinen Assistent:innen ins Gespräch. „Jo und Sophie haben erzählt, dass sie an der Linie oft beleidigt werden.“ Stach bewegt das: „Sie lieben ihr Hobby, und dass man dann dafür angegangen wird, kann ich absolut nicht nachvollziehen.“
Kaum waren Stach und sein Freiburger Kollege Nils Petersen für deren freiwilligen Einsätze an der Pfeife in Nierstein nahe Mainz zur Befriedung des Verhältnisses zwischen Unparteiischen und Klubs gebührend belobigt worden, wurden neuerliche Exzesse gegen Referees öffentlich: ein Spieler in Hessen, der einen Schiri mit zwei gezielten Attacken niederschlug, ein Vater, der einem jugendlichen Referee in Frankfurt drohte, ihn zu köpfen, Spieler in Niedersachsen, die einen Schiedsrichter während eines Spiels der zweiten Kreisklasse derart aggressiv drangsalierten („Du Hurensohn. Ich bring dich um“) und mit einer Glasflasche bedrohten, dass dieser seine Karriere nun geschockt aussetzt.
Ex-Fifa-Schiedsrichter Michael Weiner sagt: „Die Entwicklungen in den letzten Jahren sind brutal. Wir müssen uns als Gesellschaft klar positionieren. Das geht so nicht.“ Weiner hat festgestellt: „Wir nehmen diese Vorfälle ausschließlich im Fußball wahr.“ Auch Deniz Aytekin, einer der Besten seines Fachs hierzulande, spricht von „bedenklichen Entwicklungen“. Die „wahren Helden“ seien die Schiris in den Amateurligen. Denn die müssen nicht nur die schlimmsten Entgleisungen ertragen, sondern auch ein Grundrauschen der Unverschämtheiten.
„Es gibt im Schiedsrichterwesen ein Imageproblem, ständig wird skandalisiert, auf dem Platz, am Stammtisch, in den Medien“, sagt DFB-Abteilungsleiterin Moiken Wolk, die selbst eine der besten Schiedsrichterinnen hierzulande war. Immer mehr Schiris stellten sich die Frage: „Warum tue ich mir das an?“
Der Frankfurter Schiri-Chef Goran Culjak nimmt nach der „verstörenden Tat“ eines Vaters, die am 25. Mai vorm Verbandssportgericht verhandelt wird, kein Blatt vor den Mund: „Wir Schiedsrichter werden nicht ausreichend geschützt. Wir wollen nicht mehr das notwendige Übel, sondern respektierter Teil des Fußballs sein. Wir haben Spielabbrüche im Wochenrhythmus. Es muss endlich von den Verbänden gehandelt werden. Jeder Spieler, Trainer, Funktionär und auch Verein muss wissen: Tätlichkeiten gegen Schiedsrichter werden nicht mehr geduldet. Muss denn ein Schiedsrichter bluten, ins Krankenhaus eingeliefert werden, womöglich noch tot auf dem Platz liegen?“
In den Niederlanden ist das schon passiert. Jugendliche prügelten im Jahr 2012 derart brutal auf einen Assistenten ein, der ehrenamtlich beim Spiel seines Sohnes an der Linie eingesprungen war, dass dieser bald darauf verstarb.
Elf Jahre ist das her. Und doch hat Andreas Kotira, Schiedsrichterobmann beim Verband Niederrhein, festgestellt, „dass die Zustände immer schlimmer werden“. Er fordert den fürs Schiedsrichterwesen zuständigen DFB-Vizepräsidenten Ronny Zimmermann auf, „sich mal mit den Herausforderungen auf den Aschenplätzen auseinanderzusetzen“ und das Thema „zur Chefsache zu machen“. Zimmermann weist darauf hin, dass die Vereine „bei den Spielen das Hausrecht“ haben. „Fehlverhalten ist konsequent und im Ansatz zu unterbinden.“ Der Frankfurter Culjak sieht die Bringschuld ebenfalls vor allem an der Basis, nicht oben im Dachverband. „Da müssen sich die Landesverbände, Kreise und Vereine schon an die eigene Nase fassen.“
Ralf Klohr ist der Erfinder der erfolgreichen Fairplay-Liga im Kinderfußball, in der Kinder ohne Eingriff von Referees, Trainern oder Eltern selbst die Entscheidungen treffen. Der 60-Jährige sieht einen Großteil der Verantwortung durchaus in der Verbandsspitze und denkt dabei vor allem an den seit einem Jahr amtierenden Präsidenten höchstpersönlich: „Ich setze auf Bernd Neuendorf. Er weiß, was in unserer Gesellschaft los ist.“

Während der Leiter des Kinderfußballs in seinem Verein SG Mußbach in der Nähe von Neustadt an der Weinstraße für sein Fairplay-Ligaprojekt vom DFB mit dem Egidius-Braun-Preis 2011 ausdrücklich belobigt wurde, konnte er sich im Verband mit seinem Vorschlag, sein Konzept vom Kinder- in den Jugendfußball weiterzuentwickeln, bisher nicht durchsetzen.
Im Projekt „Miteinander“ schlägt Klohr vor, dass im Jugendfußball der zehn- bis zwölfjährigen D-Junior:innen die jungen, unerfahrenen und deshalb oft überforderten Referees von allen Entscheidungen an den Außenlinien (Einwurf, Abstoß, Eckstoß) befreit werden. Die Spieler:innen sollen sich in diesen Situationen, die 70 Prozent der Entscheidungen ausmachen, trotz Schiris auf dem Platz untereinander einigen. „Dadurch bekommen sie eine ganz andere Haltung dazu. Sie können diese Entscheidungen nicht auf dem Schiri abladen, sondern müssen ihn unterstützen. Auch Trainer und Eltern spüren, dass ihre Kinder Mitverantwortung übernehmen müssen.“
Klohr glaubt, mit seinem „Bildungs- und Präventionsprojekt“ das Problem fehlenden Respekts gegenüber Unparteiischen an der Wurzel zu bekämpfen zu können. „Wir kleben immer nur Pflaster drauf, wenn es akute Probleme gibt, dabei benötigen wir eine Heilsalbe, die auch nach innen wirkt.“
Seit 2012 kämpft Klohr um sein Vorhaben und wird seit geraumer Zeit dabei von Silke Sinning unterstützt. Die Sportwissenschaftlerin aus Hessen ist seit einem Jahr als Vizepräsidentin im DFB unter anderem für Bildung verantwortlich und will das Thema in einem persönlichen Gespräch am 22. im Mai mit Präsident Neuendorf intensiv erörtern. „Ich stehe dem Projekt sehr positiv gegenüber“, sagt die 54-jährige Professorin und weist darauf hin, dass „Miteinander“ schon in einigen Kreisen in Hessen getestet wird.

Das auch wissenschaftlich begleitete Projekt fördere „das Demokratieverständnis, das Fairplay-Verständnis und das Verständnis für gegenseitigen Respekt“. Sie habe die Hoffnung, „dass sich was tut“ nach dem Gespräch mit dem Präsidenten.
Die verbandskritische Interessengemeinschaft (IG) Schiedsrichter formuliert dagegen reichlich desillusioniert: „Die Appelle auf Fairplay, Respekt und Wertschätzung kommen unten an der Basis gar nicht an.“ Die IG erwartet „eine klare Ansage auf härtere Strafordnungen“. Denn: „Appelle verpuffen doch seit Jahren. Die kann man ja nicht mehr hören. Man ist schon taub vor lauter Appellen.“ Man erwarte von Neuendorf, dass dieser eine einheitliche Rechtssprechung im gesamten Gebiet des DFB durchsetze. Derzeit würden die Landesverbände nach tätlichen Angriffen aus Referees noch viel zu unterschiedliche Urteile sprechen, vor allem zu milde. Der Frankfurter Culjak ärgert sich zudem, dass die betroffenen Schiedsrichter:innen nicht transparent von den Verbandsgerichten über die Urteile informiert werden.
Udo Penßler-Bayer nimmt als Vorsitzender des DFB-Schiedsrichterausschusses die Bundesligisten in deren Vorbildfunktion mit die in die Verantwortung: „Der Profifußball liefert durch anmaßendes Trainer- und Spielerverhalten noch zu häufig schlechte Vorbilder.“ Silke Sinning ist es wichtig, im Verhältnis zu Unparteiischen dies klarzustellen: „Es geht nicht darum, seinen Mund zu halten, sondern darum, respektvoll miteinander umzugehen.“ Der Mainzer Anton Stach hätte da ein Thema, das er in seinem Verein durchaus mal ansprechen könnte.