DFB-Sportdirektor Rudi Völler im Interview: „Gendern ist nicht mein Ding“
DFB-Sportdirektor Rudi Völler über moderne Entwicklungen der deutschen Sprache, der politischen Aktionen und der Sozialen Netzwerke, die ihm nicht behagen.
Herr Völler, was können Sie besser: Bundestrainer in der Not im Jahr 2000 oder Sportdirektor 23 Jahre später?
Schwierige Frage. Ich habe ja in Leverkusen alles erlebt, als Spieler, Trainer, Sportdirektor, Geschäftsführer. Genauso beim DFB: U21-Spieler, A-Nationalspieler, Teamchef, jetzt Sportdirektor.
Den Job des Bundestrainers ohne Trainerlizenz hatten Sie sich ja damals gar nicht recht zugetraut.
Stimmt. Das sollte ich ja auch nur ein Jährchen machen, damit dann Christoph Daum übernehmen kann…
Der dann aber wegen seiner Kokain-Affäre das hohe Amt nicht antreten durfte.
So bin ich halt ein bisschen länger geblieben.
Rudi Völler im Interview: „Für Diversität und für Menschenrechte“ – trotz Binden-Wechsel
Und dann wurden Sie immerhin völlig unverhofft Vize-Weltmeister. Was streben Sie bei der EM 2024 an?
Wir wollen im nächsten Jahr im eigenen Land um den Titel mitspielen. Damals hatten wir auch einige herausragende Fußballer dabei, haben es aber vor allem mit deutschen Tugenden geschafft und ein paar Zweikämpfe mehr gewonnen als die Gegner.
Der deutsche Kapitän trägt künftig wieder schwarz-rot-gold. Sie haben das Thema angeschoben. Dafür gab es prompt Beifall von der AfD. Kam das Lob aus der falschen Ecke?
Ja. Aber grundsätzlich müssen wir uns als Nationalmannschaft auch nicht dafür rechtfertigen, dass unser Kapitän auf dem Weg zur EM in Deutschland eine schwarz-rot-goldene Binde trägt. Es gibt ohnehin doch keine Zweifel, dass ich und der DFB für freiheitlich-demokratische Werte stehen. Auch für Diversität und für Menschenrechte. Darauf haben der DFB und die Nationalmannschaft vor der WM in Katar ja auch immer wieder aufmerksam gemacht. Aber irgendwann ist es dann auch mal gut. Natürlich werden wir auch mal Aktionen starten und jeder Spieler kann dabei seine Meinung sagen. Aber zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort. Es gibt ja auch noch ein paar andere Themen.
Welche denn?
Die Erderwärmung aufgrund des Klimawandels zum Beispiel und was wir unseren Enkeln und Ur-Enkeln da hinterlassen. Aber ob man sich deshalb die Hände auf Straßen kleben muss, lass ich mal dahingestellt.

Rudi Völler im Interview: „Binden-Diskussion hat viel zu lange gedauert“
Das finden Sie nicht gut, um auf die Dringlichkeit aufmerksam zu machen?
Die Leute, die das bei uns in Deutschland tun, erleben schon noch eine bemerkenswerte Nachsicht vonseiten vieler Betroffener, die deswegen stundenlang im Stau stehen. Ich bin ja gefühlt halber Römer und rate den Aktivisten: Macht das bitte nicht im Süden von Europa. Da ist das Verständnis der Polizei und Bevölkerung nicht ganz so groß wie bei uns.
Der VfB Stuttgart hat am Samstag gegen den VfL Wolfsburg als Symbol für Vielfalt mit einem Brustring in Regenbogenfarben gespielt. Die Aktion hat der Stuttgarter Vorstand Alexander Wehrle, der aus seiner Homosexualität kein Geheimnis macht, natürlich unterstützt. Wehrle ist auch Aufsichtsratschef des DFB. Wie fanden Sie die Aktion des VfB?
Das kann jeder für sich entscheiden, das ist absolut okay. Ich habe mit Alex ein ausgezeichnetes Verhältnis. Wir telefonieren oft miteinander.

Aber konkret diese Aktion? Viele Stuttgarter Fans haben die Trikots ebenfalls getragen.
Man kann das machen, alles zu seiner Zeit. Ich fand aber, um noch einmal darauf zurückzukommen, dass beispielsweise die Binden-Diskussion bei der Nationalmannschaft einfach viel zu lange gedauert hat. Da hätte man früher einen Schlussstrich ziehen und den Fußball in den Vordergrund rücken müssen. Darüber waren wir uns intern alle einig.
Sie und Hansi Flick wollen, dass die Nationalmannschaft im Grunde nur Fußball spielt. Phillip Lahm will als Turnierdirektor auch Zeichen für Vielfalt, Freiheit und Demokratie setzt. Sollten Sie Lahm in seinem Ansinnen nicht aktiv unterstützen?
Das ist doch selbstverständlich, das mache ich ja schon. Wir haben bereits mehrfach telefoniert. Ich war auch schon drüben im alten DFB, wo jetzt die Uefa und Philipp mit dem Organisationskomitee sitzen. Wir werden mit dem EM-Ok die eine oder andere Aktion umsetzen.
DFB-Sportdirektor Rudi Völler über Fußball in Italien: „Da wird man schon mal durchbeleidigt“
Wie ist eigentlich Ihr Verhältnis zu Lahm? Sie waren richtig sauer, als er vor zwölf Jahren in seinem Buch schrieb, Ihr Training sei „lustig, aber unsystematisch“ gewesen.
Da habe ich einen mitbekommen, klar. Das macht aber nichts. Ich selbst habe auch schon mal den einen oder anderen attackiert, wenn ich es für angemessen hielt, zum Beispiel Schiedsrichter Markus Merk. Aber ich wusste stets: Der Markus lässt sich nichts gefallen. Das Echo musste ich dann auch aushalten, genau wie Philipp bei mir. Das muss man in dem Geschäft akzeptieren. Aber ich kann Ihnen versichern: Ich hatte wegen Philipps Kritik keine schlaflosen Nächte. Unser Verhältnis ist völlig okay. Wie übrigens auch das zu Oliver Bierhoff.
Ihren Vorgänger beim DFB bezeichneten Sie einst als Maltafüßler, weil Sie sich über seine kritischen Analysen zum Niveau des deutschen Fußballs geärgert hatten…
… das sind Dinge, die passieren im Verlaufe einer langen Karriere. Da kommt meine römische Streitkultur so ein bisschen durch. Wenn in Italien im Fernsehen gestritten wird, nicht nur im Fußball, dann geht es hoch her. Da wird man schon mal durchbeleidigt. Im Vergleich dazu war die Nummer mit Waldemar Hartmann und mir vor 20 Jahren Kindergeburtstag.
Sie haben seinerzeit nach einem 0:0 auf Island vor laufenden TV-Kameras eine legendäre Wutrede gehalten. Danach waren sie noch populärer als davor. Schon bemerkenswert. Können Sie es sich erklären?
Ich bin schon oft danach gefragt worden und rede nicht mehr gerne drüber. Was ich versichern kann: Mit allen, mit denen ich mal Streit hatte in den vergangenen 30 Jahren, gibt es längst keine Probleme mehr. Aber das waren auch gar nicht so viele.
Zur Person
Rudi Völler empfängt zum Interview gut gelaunt im ersten Stock des neuen DFB-Campus. Er hat das gläserne Büro von Oliver Bierhoff übernommen - mit Blick auf den Trainingsplatz.
Beim Deutschen Fußball-Bund hat der 62-Jährige als Sportdirektor nun seinen dritten Job angetreten. Vorher war er ein Nationalspieler der Weltklasse mit dem WM-Titel 1990 als Höhepunkt, bei dem er gegen Argentinien den entscheidenden Elfmeter herausholte. Als Teamchef führte der gebürtige Hanauer Deutschland zur Vize-Weltmeisterschaft 2002. jcm
Rudi Völler selbstbewusst im Interview: „Wollen eine top Europameisterschaft spielen und ins Endspiel“
2004 nach dem EM-Vorrundenaus haben Sie sofort Schluss mit dem DFB gemacht. Was ist jetzt anders unter Hansi Flick nach dem WM-Vorrundenaus 2022?
Wir hatten diesmal viel mehr Pech. Das ist kein Schönreden. Deshalb ist es auch kein gespielter Optimismus, wenn ich sage: Wir wollen eine top Europameisterschaft spielen und bis ins Endspiel kommen.
Sie weichen aus, Herr Völler. Sie haben seinerzeit durchblicken lassen, dass Sie nicht mehr der Mann sein können, um die Nationalmannschaft zur WM 2006 zu führen. Dazu seien Sie zu sehr vorbelastet. Warum kann Flick das jetzt und Sie konnten es nicht?
Weil Hansi es vorher schon unter Beweis gestellt hat, dass er ein Top-Trainer ist. Mit Bayern München zum Beispiel beim Champions League-Sieg 2020.
Das hatten Sie ja auch mit der WM-Finalteilnahme 2002, die niemand Ihnen und Ihrer Mannschaft zugetraut hatte.
Hansi hat sich die Möglichkeit verdient, auch deshalb, weil er mehr Trainer ist, als ich es jemals war.
Die Entfremdung von der Nationalmannschaft scheint ziemlich groß.
Stimmt. Das spüre ich aktuell auch.
DFB-Sportdirektor Rudi Völler im Interview: „Ich werde übrigens nicht gendern“
Es wird doch verdammt schwer, die Leute wieder so zu begeistern wie 2006?
Es ist sicher nicht selbstverständlich, daran trägt der DFB natürlich eine Mitverantwortung. Aber am Ende, das habe ich bei meiner Willkommensrede auch den Spielern gesagt, kommt es darauf an, auf dem Platz zu begeistern. Da muss erkennbar sein, dass sich jeder zerreißt. Wie bei den Argentiniern und den Marokkanern. Die waren bei der WM auf einer Mission. Auch wir müssen die EM als Mission begreifen.
Welche Mannschaft ist stärker: Diejenige, die Rudi Völler Anfang des Jahrtausends trainiert hat oder die aktuelle?
In der Breite sind wir jetzt sicherlich besser aufgestellt. Damals durften nicht viele ausfallen. Michael Ballack, Bernd Schneider, Oli Kahn, Didi Hamann – um nur einige zu nennen – die brauchten wir.
Legenden Ihrer Zeit, genau wie Sie. Die Alten kennen Sie und mögen Sie. Aber viele der Jungen wissen gar nicht so genau, wer dieser Völler ist. Wollen Sie nicht mit Social Media dagegenhalten? Instagram? Facebook? Twitter zumindest?
Um mich dort den Jungen aufzudrängen? Auf keinen Fall, das brauche ich nicht. Früher hat man sich ein Fußballspiel oder eine politische Sendung angeschaut und hatte eine Meinung, ob es gut war oder schlecht. Heute müssen viele erst in den sozialen Netzwerken nachschauen, wie die Grundstimmung ist. Und erst danach entscheiden sie, wie sie es gefunden haben.
Das mögen Sie auch nicht jetzt nutzen, um Menschen anzusprechen, die dort unterwegs sind?
Nein. Das können meine Kinder gern tun. Ich aber nicht. Ich werde übrigens auch nicht gendern. Gendern ist nicht mein Ding. Ihr Journalisten müsst das ja tun, oder?
DFB-Sportdirektor Rudi Völler im Interview: „Ich kann auch mal Tacheles reden“
Ja, bei uns in der Redaktion schon.
Also, ich habe da meine klare Meinung. Ich komme aus der Brüder-Grimm-Stadt. Es ist ja bekannt, dass Wilhelm und Jacob Grimm nicht nur Märchen gesammelt und erzählt, sondern die deutsche Sprache mitgestaltet haben und sogar noch geschliffen. Deshalb kann ich als Hanauer mit voller Überzeugung sagen, dass ich an der alten Schreibweise festhalten werde.
Die Stoßrichtung hinter dem Gendern ist okay?
Jeder soll machen, was er will. Das akzeptiere ich natürlich. Aber ich mache nicht jeden Trend mit, das sollte man auch mir zugestehen.
Florian Wirtz hat dieser Tage gesagt, Sie seien „sehr ehrlich“ im Umgang mit den Spielern. Klingt so, als würden Sie Bundestrainer Hansi Flick bei einer klaren Ansage in der Kabine mal behilflich sein können?
Das ist ein sensibles Thema. Da muss man als Sportdirektor oder Geschäftsführer schon Grenzen einhalten. Ich habe in Leverkusen durchaus schon mal eine Rede gehalten, wenn ich dachte, dass es gerade passt. Aber selten.
Beim DFB sind jetzt wieder völlig unverhofft zu einem neuen Job gekommen, genau wie damals. Diesmal war es eine innere Eingebung von Ligaboss Aki Watzke. Würden Sie zustimmen: Ihr Jobprofil ist es, als Rudi Nationale für gute Laune im Land zu sorgen?
Ich bin nicht beleidigt, wenn man das so beschreibt. Aber Sie kennen mich ja auch ein bisschen: Ich kann auch mal Tacheles reden und den Finger in die Wunde legen. Das gefällt sicher nicht jedem, das habe ich schon oft erlebt. Aber das habe ich der Task Force, die mich auserwählt hat, auch ehrlich so gesagt. Mich gibt es nur zu hundert Prozent.
Wer bekommt das nun zu spüren?
Es gibt immer wieder Themen, bei denen DFB und Klubs nicht in einem Boot sitzen oder zumindest nicht in eine Richtung rudern.
Zum Beispiel?
Bei Abstellungen oder Einsatzzeiten wird es immer mal Reibereien geben. Es ist mein Anspruch, dass die Vereine mitspielen, gerade jetzt mit Blick auf die EM 2024 im eigenen Land. Es wissen alle, dass sie nicht nur nehmen können, sondern auch was geben müssen. Ohne dass ich dazu jetzt ins Detail gehe: Das wird man schon noch merken in den nächsten Monaten.