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Reinhard Grindel spricht zu spät

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Von: Jan Christian Müller

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Weist die Rassismusvorwürfe von sich: DFB-Präsident Reinhard Grindel.
Weist die Rassismusvorwürfe von sich: DFB-Präsident Reinhard Grindel. © dpa

DFB-Präsident Reinhard Grindel reagiert auf Mesut Özils Anschuldigungen, doch es bleibt die Frage: Wie authentisch ist das alles noch?

Schon vor genau drei Wochen ist dem Deutschen Fußball-Bund dringend und konkret geraten worden, sich mit einer eindeutigen Aussage in Richtung Mesut Özil und der Öffentlichkeit zu positionieren, um verhärtete Fronten aufzuweichen. Es hat bedauerlicherweise 20 Tage gedauert, ehe der Verband den Rat befolgte. Und leider ist seitdem so viel kaputtgegangen, dass das am Donnerstag um 10.15 Uhr auf der DFB-Webseite veröffentlichte Statement von Präsident Reinhard Grindel zu spät kommt.

Grindel räumt Fehler ein

Der derzeit in Österreich urlaubende Verbandschef räumte in seiner persönlichen Erklärung den zentralen Kardinalfehler ein: „Rückblickend hätte ich als Präsident unmissverständlich sagen sollen, was für mich als Person und für uns alle als Verband selbstverständlich ist: Jegliche Form rassistischer Anfeindungen ist unerträglich, nicht hinnehmbar und nicht tolerierbar. Das galt im Fall Jérôme Boateng, das gilt für Mesut Özil, das gilt auch für alle Spieler an der Basis, die einen Migrationshintergrund haben.“

Jetzt fragt man sich konsequenterweise: Wie authentisch ist das, was Grindel da jetzt von sich gibt? Oder ist es bloß dem ungeheuren öffentlichen Druck geschuldete Taktik? Hätte der 56-Jährige diesen Satz Anfang Juli so formuliert, nachdem sich die Anti-Özil-Stimmung in den sozialen Netzwerken und vielen Kommentarspalten zu einer Feuerwalze gegen den Fußballspieler aufgeheizt hatte, wäre vielleicht noch mühsam etwas zu kitten gewesen in dem zerrissenen Verhältnis zwischen der im Übermaß beratergesteuerten Özil-Seite und dem Deutschen Fußball-Bund. Und: Grindel sowie Nationalmannschaftsmanager Oliver Bierhoff, der zwischenzeitlich ebenfalls mit Wucht in einen Shitstorm geriet, weil er sich nicht ausreichend schützend vor Özil gestellt hatte, hätten sich persönlich eine Menge erspart.

Es bleibt unergründlich, warum die beiden so medienerfahrenen Männer sich nach ihren unglücklichen Aussagen in zwei ansonsten sehr ausgewogenen Interviews Anfang Juli dermaßen beratungsresistent erwiesen haben und somit einer Trilogie der gnadenlosen Abrechnung am vergangenen Sonntag neue Nahrung gaben. Eine Abrechnung, die die Gräben noch tiefer aushob und die dem türkischen Autokraten Recep Tayyip Erdogan wunderbar in die Karten spielte. Der Präsident ist der eigentliche Sieger zwischen den Verlierern Deutschland, DFB und Mesut Özil. Vermutlich hat Europaexperte Alexander Graf Lambsdorff (FDP) recht, wenn er sagt: „Die Özil-Story ist für Erdogan wie ein Sommermärchen.“

Grindel von Kritik getroffen

Für den DFB-Präsidenten ist sie dagegen so schmerzhaft wie ein Vollspannstoß in die sensibelste Körperregion. „Ich gebe offen zu, dass mich die persönliche Kritik getroffen hat“, übermittelte der 56-Jährige, dessen Urlaubsfreude mit der Ehefrau und dem im Grundschulalter befindlichen Sohn erheblich getrübt ist. Der Ex-Bundestagsabgeordnete ist jetzt die umstrittenste Führungsfigur der Republik, noch vor jedem Regierungspolitiker.

Es ist erstaunlich, wie ungnädig Grindel zerlegt wurde für einen Satz, den er nach dem WM-Aus formulierte, den freilich vor dem Turnier viele Menschen, und beileibe nicht nur Rechtsausleger, genauso von ihm gefordert hatten: Er erwarte von Özil, dass dieser sich „auch in seinem eigenen Interesse öffentlich äußern sollte“. Unterschlagen wurde in vielen Veröffentlichungen Grindels Nachsatz: „Es gehört zur Fairness, einem verdienten Nationalspieler, der einen Fehler gemacht hat, diese Chance zu geben.“

Der Furor, mit dem große Teile der Öffentlichkeit und später auch die Özil-Seite reagierten, hier sei einer zum alleinigen „Sündenbock“ für das WM-Aus gemacht worden, ließ diese wichtigen Anmerkungen Grindels schlicht außer Acht. Und interessant ist vor diesem Hintergrund auch, wie vergleichsweise glimpflich Anfang dieser Woche Bayern-Präsident Uli Hoeneß mit seiner Fundamentalkritik an Özil („Hat seit Jahren einen Dreck gespielt und keinen Zweikampf mehr gewonnen“) davonkam. Man stelle sich nur vor, Grindel hätte auch nur im Ansatz ähnlich niveaulos gesprochen – er hätte seine Bergwanderungen in Österreich als Ex-Präsident verrichten können.

Stattdessen kämpft der angeschlagene Mann weiter um sein Amt, das ihm inklusive der Berufungen in die Regierungen der Uefa und Fifa ein beträchtliches sechsstelliges Einkommen garantiert, ihm aber bislang nicht annähernd die erhoffte Anerkennung in der Gesellschaft und der Fußballbranche einbrachte. Sondern vor allem Hohn und Spott.

Worauf Grindel nun vor allem hofft, wird in den abschließenden Worten seiner Erklärung deutlich: „Wir alle haben das große gemeinsame Ziel, den Zuschlag für die Ausrichtung der EM 2024 zu bekommen.“ Die Entscheidung fällt die Uefa am 29. September zwischen den Kandidaten Deutschland und Türkei. Die „FAZ“ berichtet, die Uefa registriere aktuell den Versuch des türkischen Bewerbers, „die Verwerfungen um Özil gezielt zu nutzen, um unter Funktionären eine Antipathie gegen Deutschland zu wecken“. Insoweit haben Özil und seine türkischen Berater mit ihrem konkreten Rassismusvorwurf an Grindel einen für den DFB sehr unfruchtbaren Boden bereitet. Einen Boden, den die unzähligen unerträglichen Kommentatoren mit ihren viralen Kampagnen gegen Özil als Sinnbild für ihre Abneigung gegen Türken weiter austrocknen.

Erdal Keser, der ehemalige Leiter des Europabüros des türkischen Fußballverbandes, sagte der dpa, er würde „vielleicht nicht von Rassismus sprechen, sondern von Türkenfeindlichkeit“. Normalerweise sei „der Fußball dazu da, um Brücken zu bauen. Derzeit wird er dafür genutzt, um die Leute politisch gegeneinander aufzuwiegeln“.

Grindel will sich der Debatte zum Thema Integration stellen 

Glaubt man Grindel, dann will er sich dem Thema stellen: „Wir müssen die Debatte zum Thema Integration und den veränderten Resonanzboden in unserer Gesellschaft zum Anlass nehmen, unsere Arbeit in diesem Bereich weiterzuentwickeln und zu fragen, wo und wie wir neue Impulse setzen können.“ Er wolle sich „als DFB-Präsident dieser Debatte nicht entziehen“.

Unterdessen hat sich Ex-Nationalspieler Christoph Metzelder in die Diskussion eingeschaltet. Der Ex-Nationalspieler sagte, Özil habe „sicher auch vielen Mädchen und Jungen mit Migrationshintergrund aus der Seele gesprochen, die diese innere Zerrissenheit zwischen unterschiedlichen Ländern und Kulturen Tag für Tag erleben“. Aber er befürchte aufgrund der Art und Weise der „Abrechnung“ nun, „dass sich Mesut mit seiner Erklärung mehr und mehr gedanklich von seinem Heimatland verabschiedet“.

Dabei wäre der Profi des FC Arsenal „gerade jetzt mehr denn je gefordert! Wenn er Doppelmoral und Rassismus in Deutschland anprangert und das einfach so stehen lässt, mag das für ihn Befreiung und Katharsis sein, für unsere Gesellschaft ist es aber ein fürchterlicher Katalysator.“ Metzelder schließt: „Gewinner werden die Kräfte sein, die Pluralität und Offenheit in unserem Land weiter zersetzen wollen.“ Verlierer seien „nicht nur der DFB, sondern vor allen Dingen die Mädchen und Jungen mit Migrationshintergund, die gerade jetzt starke Vorbilder wie Mesut oder Ilkay benötigen“, um gegen den wachsenden Rassismus in unserer Mitte anzukämpfen.

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